Sozialraumorientierung 4.0. Группа авторов
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Mit dieser Haltung lässt sich gut und leicht arbeiten, vorausgesetzt, der leistungsberechtigte Mensch hat einen Willen, der uns Fachkräften gut gefällt, den wir nachvollziehen können und der uns keine Sorgen bereitet. Was aber, wenn der Wille aus unserer Perspektive problematisch oder gar „gefährlich“ ist? An dieser Stelle wird es für manche Fachkräfte heikel. Sie sprechen dann von der Fürsorgepflicht, die sie sich für bestimmte Menschen/Menschengruppen zuschreiben. Bei einem Menschen in der teilbetreuten Wohngruppe, der endlich alleine in seinen eigenen vier Wänden leben möchte und dem das auch von allen zugetraut wird, ist es leicht, am Willen orientiert zu arbeiten. Bei einem Menschen in der teilbetreuten Wohngruppe, der für sich entscheidet, nicht mehr mit seiner Assistentin einkaufen gehen zu wollen (weil die ihm immer nur gesundes Zeug einreden will), sondern mit der freundlichen Nachbarin (die genauso gerne Chips und Tiefkühlpizza kauft wie er), wird es ein wenig schwieriger. Bei einem Menschen im Wohnheim, der abends liebend gerne seine vier bis fünf Wurstbrote isst, obwohl der Arzt mahnt, dass er immer dicker wird und das Risiko von lebensbedrohlichen Krankheiten steigt, ebenfalls.
Und bei einem Menschen im Wohnheim für Senioren, der viel trinkt, schnupft, raucht und sich aus Sicht der Fachkräfte nicht mehr selbst regulieren kann, kommt man möglicherweise an ethische oder auch rechtliche Grenzen der Willensorientierung – bis hin zur Grenze in den Kontext der Abwendung von Selbst- oder Fremdgefährdung. Hier nicht aus der Haltung zu fallen erfordert eine ständige Reflexion der eigenen fachlichen Einstellung. Am Beispiel der vier bis fünf Wurstbrote: „Wie gehen wir damit um, dass wir am Willen orientiert arbeiten und Herr X. immer dicker wird, der Arzt von drohender Fettleber spricht, er selbst aber mit seiner Ernährung vollauf zufrieden ist?“. So – oder so ähnlich – könnte eine Leitfrage der kollegialen Beratung zur Klärung eben solcher Haltungsfragen lauten. Es wäre natürlich ganz pragmatisch, Herrn X. im Wohnheim von vier bis fünf Wurstbroten auf drei bis vier Wurstbrote runterzubringen und ihm dafür noch etwas Rohkost anzubieten. Wäre das auch ethisch vertretbar und würde man dann auch noch am Willen orientiert arbeiten?
B. Aufgaben
Kontextklärung
Wie im Beitrag bereits erläutert, braucht die Arbeit mit dem Willen eine konsequente Abgrenzung zu Zwangskontexten in der Sozialen Arbeit. Es macht einen Unterschied, ob ich selbst interessiert daran bin, mein Leben auf eine bestimmte Art zu gestalten oder zu verändern, oder ob die Aufforderung dazu von außen an mich herangetragen wird und ich dem nachkommen muss und andernfalls mit Konsequenzen konfrontiert werde. Daraus resultiert die Aufgabe, Kontextklärung auf Basis geltenden Rechts vorzunehmen, sofern Selbst- oder Fremdgefährdung vermutet wird, droht oder akut im Raum steht.
Informieren
Nicht jeder Wille hat etwas mit Sozialer Arbeit zu tun und nicht jeder Kontakt zum helfenden System bedeutet, dass Menschen, die Kontakt suchen oder für die Kontakt hergestellt wurde, einen Willen haben, der etwas mit Sozialer Arbeit zu tun hat. Das bedeutet in vielen Fällen, dass Fachkräfte darüber aufklären, wie Soziale Arbeit (im Unterschied zu so gut wie allen anderen Dienstleistungssektoren unserer Gesellschaft) vorgeht und welche Konsequenz das für die Leistungsempfänger bedeutet. Gerne auch, indem Soziale Arbeit Verantwortung für die potentiellen Missverständnisse übernimmt:
„Es tut mir leid, wenn ich Ihnen den Eindruck vermittelt habe, ich könnte Ihr Problem mit Ihrem Sohn lösen. Das kann ich tatsächlich nicht. Das Einzige, was ich Ihnen anbieten kann, ist, dass ich Sie dabei unterstütze, herauszufinden, wie Sie Ihre Situation verbessern können. Wären Sie daran interessiert? Auch wenn das für Sie als Mutter richtig harte Arbeit bedeuten könnte?“ Kommen Menschen auf Sozialarbeitende zu, weil andere Instanzen das von ihnen einfordern oder erwarten, gilt es darüber zu informieren, was Hilfe im Kontext von Freiwilligkeit bedeutet. Auch hier wieder gerne, indem die Fachkräfte Verantwortung für das vorliegende Missverständnis übernehmen: „Es tut mir leid, dass wir Ihnen offensichtlich den Eindruck vermittelt haben, dass Sie mit uns zusammenarbeiten müssen. Das müssen Sie tatsächlich nicht. Niemand kann Sie in Ihrer Situation verpflichten, mit uns zu arbeiten. Wenn Sie wollen, können wir uns jetzt schon voneinander verabschieden. Für Sie führt das zu keinerlei Konsequenzen.“
Problemkonstruktionen als subjektive Sichtweise erfassen
Auch wenn Sprachfiguren wie „Was ist das Problem?“ suggestiv eine Opfer- und Inkompetenzwahrnehmung unterstützen und ungünstige Realitätskonstruktionen stärken (s. dazu Schmidt 2004, S. 90), ist der Versuch, die Problemkonstruktion des hilfesuchenden Menschen zu verstehen und zu würden, in vielen Fällen der Einstieg in die Willenserkundung.
Unterstützung von Selbsthilfekräften
Weil der Wille Ressourcen voraussetzt und sich Menschen in der Zusammenarbeit mit Sozialarbeitenden nicht immer in einem ressourcenvollen Zustand befinden, geht mit der am Willen orientierten Arbeit die Unterstützung von Selbsthilfekräften und das Fischen von persönlichen, sozialen und sozialräumlichen Ressourcen einher. Wenn ich diesen Zusammenhang in Trainings zum Fachkonzept Sozialraumorientierung betone, dann finden die Teilnehmenden in der Regel viele gute Worte, die den Prozess und das Ziel dieser Arbeit umschreiben: Es geht um Befähigung, um ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, um Empowerment oder um Selbstermächtigung. Im weiterführenden Dialog wird mit Fachkräften immer wieder deutlich, dass das diesen Umschreibungen zugrunde liegende Prinzip der konsequenten Ressourcenorientierung allen Fachkräften und allen Organisationen zu eigen zu sein scheint. Alle arbeiten ressourcenorientiert.3 Frage ich weiter nach, wie das in der Praxis konkret passiert (nicht nur auf dem Papier oder im Aktenschrank, sondern als tatsächlich gelebte Praxis), wird es oft still. Darauf wissen nicht viele eine Antwort. Die Aufgabe der Unterstützung von Selbsthilfekräften scheint präsent zu sein (und auch die Verbindung zur Ressourcenorientierung wirkt klar), dennoch gibt es in der Berufsfeldpraxis Engpässe in der konsequenten Umsetzung.
C. Drei Hinweise
Reflexion
Die Orientierung am Willen erfordert in vielen Fällen ein kontinuierliches Schärfen von Haltung und ein Überprüfen eigener Menschenbilder und ethischer Fragestellungen. Wenn es heikel und herausfordernd wird, weil Menschen aufgrund individueller Lebensentwürfe und Lösungswege unbequem werden, zu scheitern drohen oder gesellschaftliche Normen verletzen, braucht es reflexive Einheiten (z. B. in Form von kollegialer Beratung) zur Klärung von Haltungsfragen.
Disruptives Denken
Menschen wollen nicht immer das, was anderen Menschen (und Institutionen) gut in den Kram passt. Und so kommt es bei der konsequent am Willen orientierten Arbeit zwangsläufig zu Spannungsfeldern zwischen den Klienten/innen und Mitarbeitenden bzw. Verantwortungsträgern/innen öffentlicher und freier Träger, beispielsweise, wenn der Wille eines einzelnen Menschen nicht mehr mit dem Leistungskatalog oder der Struktur der Einrichtung kompatibel ist. Beispiel: Frau Y. will nicht mehr in die Werkstatt gehen, muss aber gehen, weil das Wohnheim tagsüber personell nicht besetzt ist. Die pragmatische Lösung ist: Frau Y. geht in die Werkstatt. Ethisch vertretbar? Am Willen orientiert? Eine zweite pragmatische Lösung könnte sein: Man stellt sich die Frage, ob Frau Y. noch in die Einrichtung passt oder ob es nicht besser ist, für sie einen neuen Platz in einer anderen Einrichtung zu suchen. Am Willen orientiert? Zu einfach?