Das qualitative Interview. Manfred Lueger

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das qualitative Interview - Manfred Lueger страница 7

Автор:
Серия:
Издательство:
Das qualitative Interview - Manfred Lueger

Скачать книгу

die sich nach außen hin abschließen (z. B. eine Haftanstalt, die Entwicklungsabteilung eines Automobilkonzerns).

      Forschungsseitig setzt dies voraus, sich über das eigene Erkenntnisinteresse Klarheit zu verschaffen und damit auch die Eignung einer qualitativ orientierten Forschungsstrategie zu prüfen (siehe Kap. 7). Um eine möglichst offene Vorgangsweise zu gewährleisten, bedarf es einer sehr vagen Frageformulierung oder Themenstellung, in deren Zentrum das Interesse an der sozialen und kollektiven Form der Herstellung von Wirklichkeit und deren Folgen für die soziale Dynamik in einem sozialen System steht. Man stellt Fragen nach Bedeutungen, Kontexten, Konstellationen, Relevanzen, Prozessen, um herauszufinden, warum und wozu ein bestimmter Kontext die Akteur*innen motiviert, welche Entwicklungskräfte und Dynamiken in bestimmten physischen und sozialen Umgebun-[20]gen aufzuspüren sind und was dabei genau vor sich geht, was typische Muster sind und wie diese vor welchem Hintergrund entstehen oder auch, warum jemand etwas als Faktum betrachtet, also wie Bedeutungen entstehen und verändert werden und wie diese mit welchen Folgen von wem in die Argumentation eingebracht werden und wie sie dabei das soziale Feld verändern.

      Die Zentrierung auf ein soziales Problem (wie dies mitunter im Fall von Auftragsforschung vorkommt) ist dafür wenig hilfreich, weil jede Problemdefinition bereits eine Betrachtungsperspektive einschließt und damit die Sicht auf die Funktionsweise eines sozialen Systems einschränkt. Tauchen in der Forschungskonzeption Problemstellungen auf, so ist in der Analyse jedenfalls zu erkunden, warum etwas aus welcher Perspektive überhaupt als Problem betrachtet wird (d. h. was ein ‚Problem‘ zu einem ‚Problem‘ macht). Eine solche Problemreflexion ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine differenzierte Analyse. Zu vermeiden ist auch eine einfache Suche nach Faktoren oder Motiven oder Kausalitäten. Die interpretative Sozialforschung erweitert solche Fragestellungen in der Regel, indem man nicht bloß nach Faktoren fahndet, sondern erkundet, was diese zu Faktoren macht, inwiefern sie relevant wofür sind und in welche Prozesse sie eingebunden sind; bezüglich der Motive erkundet man den Kontext ihrer Entstehung und ihre Bedeutung für individuelle oder soziale Vorgänge; Kausalitäten werden als dynamische Konstellationen analysiert, deren Geschichte, Bedingungen, Verläufe oder Folgen sowohl für die direkt oder indirekt betroffenen Akteur*innen als auch für die Umwelt genauer in den Blick genommen werden.

      Qualitative Studien sind erfahrungsgemäß immer wieder mit verschiedensten Interessen konfrontiert: beispielsweise im Rahmen von Forschungsaufträgen, aber auch bei der Begutachtung von Qualifizierungsarbeiten oder von Beiträgen, die in Fachzeitschriften zur Veröffentlichung eingereicht werden, und nicht zuletzt von jenen Gatekeepern, die über den Zugang zu manchen Forschungsfeldern entscheiden). Die empirische Forschungsarbeit muss sich von solchen Einflussnahmen freispielen, um sich nicht vereinnahmen, methodische Einschränkungen auferlegen oder sich in die soziale Dynamik des Feldes verstricken zu lassen. Eine gut überlegte Artikulierung der Forschungsfrage kann viel zum Aufbau einer Vertrauensbeziehung beitragen.

      Darüber hinaus ist es wichtig, in dieser Vorbereitungsphase die erforderlichen Kompetenzen (z. B. in Hinblick auf Erhebungs- und Interpretationsmethoden) zu bestimmen, um ein geeignetes Forschungsteam zu bilden bzw. um ein unterstützendes Forschungsumfeld zu schaffen (z. B. Kolleg*innen; eventuell kann eine Supervision hilfreich sein). Im Fall von Forschungsteams ist eine gemeinsame methodologische Perspektive notwendig (um sich nicht über Gebühr in Grundsatzdiskussionen zu verlieren), das Team sollte aber bezüglich der methodischen und inhaltlichen Kompetenzen sowie hinsichtlich der Anforderungen des Untersuchungsgegenstandes möglichst heterogen zusammengesetzt sein. Entschei-[21]dend ist hier die Steigerung des Forschungspotenzials, ohne zu viel Reibungsflächen zu schaffen.

      In diesem fiktiven Probierstadium zur kognitiven Strukturierung des Forschungsfeldes verschafft man sich aus einer Außenperspektive einen ersten Überblick über den Forschungsgegenstand (eventuell auch unter Einbeziehung von Expert*innenmeinungen) und klärt die eigenen Erwartungen und Vorannahmen. Im Zuge dessen ist zu prüfen, welche Vor- und Nachteile mit unterschiedlichen Feldzugängen verbunden sind: Bildet die Geschäftsführung eines Unternehmens die entscheidende Kontaktstelle, so kann dies gravierende Probleme nach sich ziehen, wenn diese Geschäftsführung gerade ein Personalabbauprogramm vorbereitet. Auch wenn das Untersuchungsvorhaben mit diesem Programm nichts zu tun hat, könnte ein bereits vorhandenes Misstrauen gegenüber der Geschäftsführung auf das Projektteam übertragen werden. In einer solchen Situation kommt es daher darauf an, das Vertrauen der Mitarbeiter*innen zu gewinnen. Dies bedeutet, dass man – egal ob die Geschäftsführung, die Gewerkschaft, außenstehende Vermittlungsinstanzen etc. den Eintritt in das Forschungsfeld ermöglichen – mit Zuschreibungen konfrontiert ist, die man selbst nur bedingt steuern kann. Aber man kann darauf achten, welche möglichen Zuschreibungen auftauchen könnten und welche Strategien sich anbieten, ungünstige Zuschreibungen zu vermeiden oder aufzufangen.

      Um ein System kennenzulernen, ist es wichtig, sich mit den Handlungsweisen des Feldes vertraut zu machen. Dafür bietet sich an, Strukturierungsleistungen des Feldes für die Forschung zu nutzen: Wie ein soziales Feld mit externen Forscher*innen umgeht, sagt beispielsweise viel über die Strukturierung der Außengrenze eines sozialen Systems aus (vgl. Lau/Wolff 1983). Man sollte daher bereits während der Planung darauf achten, dass der Forschungseinstieg das erste Analysematerial verfügbar macht. Um dieses Material auch forscherisch nutzen zu können, sollte man auf die Dokumentation dieses Einstiegs vorbereitet sein. Darüber hinaus könnte man bereits im Vorfeld überlegen, wie man die Akteur*innen in einem sozialen System in den Forschungsprozess einbindet, indem man etwa bestimmte Agenden (wie die Zusammensetzung von Gesprächsrunden) an Akteur*innen im sozialen System überträgt oder mit diesen die Vorgangsweise im Studienverlauf diskutiert. Hinsichtlich der Durchführung von Gesprächen ist zu prüfen, welche Vor- und Nachteile dieses Verfahren in Hinblick auf die Untersuchung einer Forschungsfrage aufweist. Dabei sind Fragen zu klären wie:

      •Inwiefern sind Gespräche anderen möglichen Verfahren (wie etwa Beobachtung oder Artefaktanalysen) überlegen?

      •Welche Differenzierungen des Untersuchungsgegenstandes vermittelt dieser nach außen und welche Schlüsse sind daraus für den Forschungszugang zu ziehen?

      •[22]Welche Gruppen von Akteur*innen in einem sozialen System bzw. dessen Umfeld kommen für Gespräche in Frage und welche Besonderheiten des Feldes könnten dabei aus dem Blick geraten?

      •Gibt es mögliche Zugangsrestriktionen und wie kann man diese überwinden?

      •Welche Erwartungen, die mögliche Ansprechpartner*innen an die Forscher*innen herantragen könnten, sind antizipierbar und welche Konsequenzen hat das für den Zugang zum Feld?

      •Welche Kompetenzen werden für die Forschungsdurchführung benötigt, um eine adäquate Durchführung und Analyse der Gespräche zu gewährleisten, und wie können eventuelle Kompetenzdefizite beseitigt werden?

      •Welche Möglichkeiten zur Anregung von Strukturierungsleistungen bestehen?

      b)Die Orientierungsphase

      Diese Phase setzt die in der Planung vorgesehenen Schritte erstmals um. In heiklen Forschungsfeldern (etwa im Fall von Zugangsrestriktionen in abgeschlossenen Bereichen wie Haftanstalten, Ministerien, Schulen oder Forschungsabteilungen in Unternehmen, aber auch in Familien) ist diese Eröffnung des Kontaktes zum untersuchten sozialen System besonders wichtig, weil in deren Verlauf Kommunikationsschnittstellen etabliert und Möglichkeiten der weiteren Forschungsorganisierung im Feld erschlossen werden.

      Ersten Beziehungen kommt eine besondere Bedeutung zu, weil sie den Rahmen für Folgekontakte schaffen und Zuschreibungen auslösen, die den Zugang zu weiteren Kontaktstellen oder -personen verändern (d. h. erleichtern oder eventuell blockieren). In dieser Phase spielt sich das Forschungssystem auf drei Ebenen ein: (a) Forschungsseitig bedarf es in vielen

Скачать книгу