Das qualitative Interview. Manfred Lueger
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In diesem Zugangsprozess wird auch die Eignung verschiedener Verfahrensweisen im Forschungsfeld geprüft (vgl. z.B. Lueger 2000). Das betrifft die ersten Entscheidungen sowohl bezüglich der Erhebung als auch der Interpretation. Am Beginn sind dies meist sehr offene Gespräche mit externen Expert*innen (um etwa die Zugangsmöglichkeiten und die Rahmenbedingungen einer Forschungsarbeit zu erkunden) oder mit sogenannten Gatekeepern im sozialen Feld (um [23]sich im Verlauf der Eröffnung des Zuganges einen ersten Überblick zu verschaffen).
Für die in dieser Phase geführten ersten Gespräche ist zu berücksichtigen, dass sie eine wichtige Funktion für die Aushandlung einer für das soziale System verträglichen Vorgangsweise übernehmen und ein positives Forschungsklima herstellen sollten. Daraus folgt, dass der sozialen Dimension der Forschungsorganisierung in den ersten Gesprächen besonderes Augenmerk geschenkt werden sollte. Im Zuge dessen erhält man erste Informationen über den Umgang eines sozialen Systems mit externen Personen und über interne Prozesse. In dieser Phase ist daher die Überlegung folgender Fragen nützlich:
•Wer könnte (speziell wenn dem Forschungsteam das zu untersuchende System sehr fremd ist) vertrauenswürdige Informationen zur ersten Orientierung über das zu untersuchende soziale System geben (externe Expert*innen)?
•Wer sind erste Ansprechpartner*innen im sozialen System (z. B. Gatekeeper, die den Weg in das System erschließen)?
•Wie kontaktiert man diese Personen?
•Wann erscheint der Zeitpunkt zur Kontaktaufnahme geeignet und welche Zeitstrukturen könnten hier von Bedeutung sein?
•Wo sollen die erste Kontaktnahme und das erste Gespräch stattfinden (unter der Annahme, dass die Erhebungssituation Effekte für das produzierte Material hervorruft)?
•Auf welche Weise könnte das System bereits bei der Kontaktaufnahme Systeminformationen produzieren (z. B. Umgang mit einem Forschungsansinnen) und was muss daher bei der Strukturierung der ersten Kontaktsituation beachtet werden?
•Welche Informationen sollte man dem untersuchten System über das Forschungsvorhaben geben, um ein Vertrauensverhältnis zu den potenziellen Gesprächspartner*innen aufzubauen?
•Welche organisatorischen Maßnahmen zur Sicherung des Vertrauensverhältnisses werden ergriffen?
•Welche Informationen benötigt man aus dem sozialen Feld, um eine sinnvolle Auswahl von Gesprächspartner*innen treffen zu können?
•Welche Informationen sind zur erfolgreichen Kontaktierung von Gesprächspartner*innen erforderlich?
•Wie lassen sich unterschiedliche Formen von Expertisen im fokussierten sozialen System und in dessen Umwelt identifizieren?
•Wie kann die Forschungsfrage nach den ersten Erfahrungen reformuliert werden?
Auf inhaltlicher Ebene holt man in den Gesprächen Informationen über die Selbstbeschreibung des sozialen Systems ein und versucht Wege zu bestimmen, wie man sich jenes Wissen aneignen kann, das für ein Verständnis des Systems nötig ist.
[24]Diese Phase ist abgeschlossen, wenn man den weiteren Zugang für die Analyse geregelt hat und über eine grobe Vorstellung über die Struktur des sozialen Systems verfügt. Bereits in diesem Schritt erfolgen die ersten grundlegenden Analysen der in den Einstiegsgesprächen gewonnenen Materialien, um den Übergang in die Hauptforschungsphase systematisch planen zu können.
c)Die zyklische Hauptforschungsphase
In der dritten Phase erfolgt der intensive, nunmehr explizit zirkulär angelegte Forschungsprozess. Die einzelnen Forschungszyklen verkörpern hierbei den Kerngedanken qualitativer Sozialforschung und treiben die inhaltliche und methodische Entwicklung des Forschungsprozesses voran. Das Grundprinzip ist, die Organisierung der Forschung möglichst mit den Strukturierungsleistungen des Feldes zu verkoppeln, um sich zumindest temporär und partiell der Logik des Feldes auszusetzen. Gleichzeitig erfordert die Auslegung des Materials immer wieder ein Zurücktreten hinter die eigenen Erfahrungen und die distanzierte Analyse des gesamten Forschungshandelns. Die Basiskomponenten dieser Phase reflektieren besonders deutlich die zentralen Elemente interpretativer Sozialforschung und die methodologischen Basisüberlegungen, nämlich (a) das unentwegte Ineinandergreifen von Erhebung und Interpretation; (b) die permanente Reflexion des Forschungsstandes auf inhaltlicher und methodischer Ebene; (c) die Abgrenzung von klaren Lehrbuchmethoden zugunsten einer flexiblen und variablen Gestaltung der Erhebungs- und Interpretationsverfahren; (d) die kontinuierliche sorgfältige Überprüfung und Modifikation der vorläufigen Ergebnisse; (e) die laufende Erstellung von vorläufigen Teilanalysen.
Die Dynamik des Forschungsprozesses wird gleichsam entlang der kontinuierlichen inhaltlichen Entwicklung der Erkenntnisse über das soziale System und die während der Forschungsarbeit gesammelten methodischen Erfahrungen angetrieben. Dieser Entwicklungsprozess wird unterstützt durch aufbauende, aber dennoch voneinander relativ getrennte Analysezyklen, auf deren Basis über die methodische und inhaltliche Reorganisierung und Modifikation des jeweils nächsten Zyklus entschieden wird. Jeder Analysezyklus setzt sich hierbei aus Erhebungen, Interpretationen, die Prüfung der bisherigen Vermutungen (u. a. Kontrollinterpretationen durch andere Interpret*innen, Anwendung anderer Methoden; siehe Kap. 6) und die Bündelung der gewonnenen Erkenntnisse in Zwischenresümees zusammen. Die vorläufigen Ergebnisse helfen bei der systematischen und theoretischen Aufarbeitung des Wissens über das soziale System, unterstützen die methodische Kontrolle des Forschungsprozesses und die kritische Diskussion im Forschungsteam.
In jedem Zyklus wird nur wenig Material systematisch analysiert (auch wenn deutlich mehr Material erhoben werden sollte). Das erfordert eine sorgfältige Auswahl des zu interpretierenden Materials aus dem Pool insgesamt verfügbarer Materialien und strategische Entscheidungen über eine möglichst sinnvolle Erhebung. In diesem Prozess übernehmen die Reflexionsphasen zwischen den Ana-[25]lysezyklen eine wichtige Unterbrechungsfunktion: In diesen wird eine inhaltliche und methodische Standortbestimmung durchgeführt, wobei anhand der spezifischen Stärken und Schwächen der eingeschlagenen Forschungsstrategie und der gewählten Verfahren über die weitere Vorgangsweise entschieden wird. Der Reflexionsprozess unterstützt die Entwicklung und Steuerung des Forschungsprozesses, durchleuchtet die Rahmenbedingungen der Forschungsdurchführung (etwa die Wechselwirkung zwischen Forschung und Gegenstandsbereich, teaminterne Kooperationsstrukturen, die Anwendbarkeit von Forschungsverfahren, die Bedeutung von externen und internen Erwartungshaltungen) und fördert den kontrollierten Aufbau von Wissensstrukturen bzw. theoretischer Konzeptionen durch immer wieder zu etablierende gewissenhafte Prüfverfahren.
Dem theoretischen Sampling (vgl. Glaser/Strauss 2010: 61ff.) kommt hierbei als Auswahlstrategie für das neu einzubeziehende Material eine Schlüsselstellung zu. Im Rahmen des theoretischen Samplings wird die Durchführung und die Interpretation von Gesprächen (bzw. die Erhebung und Interpretation anderer Materialien) von zwei Entscheidungsprinzipien geleitet:
•Das erste Prinzip besagt, dass man Materialien erheben bzw. analysieren sollte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit geeignet