Das qualitative Interview. Manfred Lueger

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Das qualitative Interview - Manfred Lueger

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sind sie meist aufmerksame Beobachter*innen des systemspezifischen Kontextes, weil sie die verschiedenen (auch widersprüchlichen) Anforderungen und Teilperspektiven zu einem Ganzen zusammenfügen müssen. Dieses Wissen ist daher stärker relational geprägt, reflexiver und abstrakter als konkretes Handlungswissen. Explizierbar ist dieses Wissen vor allem, wenn die offizielle Sicht eines sozialen Systems angesprochen ist, es unterliegt aber vielfach Thematisierungsschranken, insbesondere wenn die Person mit widersprüchlichen Interessen oder Erwartungen zwischen den verschiedenen Bereichen konfrontiert ist.

      c)Die externe Expertise: Diese Gruppe verfügt über fundiertes theoretisches Wissen über den Gegenstandsbereich, den sie von verschiedenen Seiten und in verschiedensten (intra- und interdisziplinären) Facetten beleuchten kann (z. B. Volkswirt*innen als Expert*innen über die Entwicklung des Arbeitsmarkts in einem Wirtschaftssektor, Organisationssoziolog*innen). Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, dieses Reflexions- und Sonderwissen in die Forschungsarbeit zu integrieren. Im Forschungsprozess kann es zur Planung beitragen, bei der Ausarbeitung spezifischer Kontextannahmen helfen und im Nachhinein als Kontrastmaterial für die Ergebnisse dienen. Externen Expert*innen mit wissenschaftlich abstrahiertem und systematisch produziertem Sonderwissen kommt in interpretativen Analysen sozialer Systeme eine eher randständige Bedeutung zu, weil ihnen vielfach praktisches Erfahrungs- bzw. Handlungswissen abgeht. Eine solche Expertise reproduziert primär das bereits verfügbare Wissen, kann aber das Augenmerk auf interessante und ungeklärte Aspekte richten oder eventuelle blinde Flecken bewusst machen.

      Mit Forschungsgesprächen lassen sich zwei wichtige Erkenntnisbereiche abdecken: Vordergründig wird der kommunikative Zugang zum Feld gesucht, wobei Beschreibungen und Begründungen als Ausdrucksgestalt für die zugrundeliegenden Selektionsmechanismen des untersuchten Systems dienen. Darüber hinaus werden Mitglieder eines sozialen Systems als feldinterne Expert*innen mit spezifischen Forschungssettings konfrontiert: In diesen müssen sie selbst initiativ werden (z. B. angeregt durch offene Fragen) und demonstrieren ihre spezifischen Handlungskompetenzen als Sonderform der Expertise, indem sie zumindest partiell die Organisierung des Forschungsprozesses übernehmen (siehe das Beispiel in Abschnitt 2.4).

      Das in sozialen Systemen gehandhabte Erfahrungswissen ist ein sozial angeeignetes Wissen, das die internen Differenzen zwischen Personengruppen spiegelt. Die Aussagen in Gesprächen repräsentieren folglich die systemspezifische Wissensverteilung, die zugleich Grund und Folge systeminterner Kooperationsbeziehungen und Grenzziehungen ist.

      Die bisherigen Ausführungen strichen jene Anforderungen heraus, die bei der Durchführung und Analyse von Expert*innengesprächen in einem interpretativ orientierten Forschungsdesign zur Analyse sozialer Systeme von zentraler Bedeu-[33]tung sind. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Aktualisierung der jeweiligen Expertise spezifische verfahrenstechnische Vorkehrungen der Erhebung (z. B. Fokussierung auf spezifische Expertisen) und Interpretation erfordert. Darüber hinaus entfaltet sich die Leistungsfähigkeit von Forschungsgesprächen erst im Kontext einer adäquaten Forschungsorganisierung.

      Gespräche nehmen (neben der teilnehmenden Beobachtung) als unmittelbare Kommunikation zwischen Forscher*innen und Personen aus der interessierenden Lebenswelt eine Schlüsselstellung in qualitativen Studien ein. Grundsätzlich kann dieses Gesprächsmaterial drei Funktionen erfüllen:

      a)Genaue Deskription eines bestimmten Phänomens (auch im Vorfeld oder in der Folge quantitativer Analysen):

      Dies ist wichtig, um ein Phänomen genau abgrenzen und in seiner Vielfalt darstellen zu können. Zudem eignen sich deskriptive Interviews zur Analyse der Vielfalt der Perspektiven bezüglich eines sozialen Phänomens und zur Analyse der spezifischen Arten von Beschreibungen. Insbesondere in der explorativen Forschungsphase sollte dieser Funktion besondere Beachtung geschenkt werden.

      b)Die Inspektion eines sozialen Phänomens in seinem Kontext bzw. im Zusammenhang mit anderen Phänomenen, seine Entwicklung, Stabilisierung und Veränderung im Verlauf der Zeit:

      Über die Deskription hinaus können hier Faktoren herausgefiltert werden, die zum Verständnis der Struktur und des Prozesses des Phänomens beitragen. Dabei werden die Erklärungsmodelle von Mitgliedern der untersuchten Systeme erkundet und mit den tatsächlichen Operationsweisen des Systems verglichen. Im Zuge dessen lässt sich ergründen, wie bestimmte Ordnungsmuster zustande kommen, sodass die darin auftretenden Phänomene als sinnvoll gelten können, und welche Gründe das System veranlassen, sich so zu organisieren, dass es bleibt, wie es ist. Dieser Materialtyp wird in der vorliegenden Arbeit besonders berücksichtigt und spielt in der Hauptforschungsphase eines Forschungsprozesses eine wichtige Rolle.

      c)Die Reflexion bestimmter Thematiken und die Generierung neuer Sichtweisen zu diesen:

      Interviews, die solches Material produzieren, werden zumeist in Aktionsforschungen, partizipativer Forschung, Beratungsprojekten oder familientherapeutischen Prozessen zu Interventionszwecken eingesetzt. Dabei greifen Inspektion und Intervention permanent ineinander. Als Sonderform von Gesprächsmaterial bleibt dieser Aspekt hier ausgeklammert, weil er weniger zur Analyse als vielmehr zu Veränderungen in Systemen beiträgt (etwa im Kontext von Beratungsgesprächen). Es sei aber an dieser Stelle auf die ausführlichen theoretischen und praktischen Darstellungen zur rekursiven Informationsschöpfung von Deissler (1986) verwiesen.

      [34]Die drei Funktionen gehen stufenweise ineinander über, indem die Inspektion eine beschreibende Verständigung voraussetzt und Reflexion der genauen Untersuchung im Rahmen der Inspektion bedarf. Von der Beschreibung bis zur Reflexion erhöht sich der Komplexitätsgrad von Gesprächen, wobei auch die Anforderungen an die Interpretation höher werden. Im Fall eines deskriptiven Interviews ist noch eine reduktive Zusammenfassung der manifesten Inhalte möglich (etwa eines Expert*innengesprächs; siehe die Themenanalyse in Abschnitt 5.4; oder die Zusammenfassung des manifesten Inhalts, ohne diese zu interpretieren; siehe Abschnitt 5.5). Inspektive und reflexive Gespräche dagegen bedürfen aufwendiger Analyseverfahren (siehe Abschnitte 5.1, 5.2 oder 5.3).

      Bisher waren die Ausführungen eher abstrakt gehalten, um die Grundlagen einer qualitativ orientierten Forschungsstrategie unter besonderer Berücksichtigung von Gesprächsanalysen als zentrale Methode herauszuheben. Dieser Abschnitt soll nun exemplarisch vorführen, wie sich die Grundlagen qualitativer Forschung in die Forschungspraxis übersetzen lassen. Der Fall einer an der Schnittstelle zwischen autonomer Forschung und Auftragsforschung angesiedelten interpretativen Unternehmensanalyse (vgl. dazu auch Lueger 1997) wurde gewählt, um auch jene Schwierigkeiten zu verdeutlichen, die bereits im Zuge der Formulierung einer Forschungsfrage auftreten können. Darüber hinaus zeigt das Design, wie trotz ungünstiger Bedingungen (etwa kein größeres Forschungsteam, starkes Misstrauen seitens des Forschungsfeldes) eine sinnvolle Analysestrategie entwickelt werden kann. Die zusammenfassende Darstellung der Durchführung der Studie erfolgt entlang der oben vorgestellten Forschungsphasen.

      a)Die Planungsphase als Aushandlung der Forschungsthematik

      Den Ausgangspunkt der Studie bildeten zwei verschiedene Erkenntnisinteressen: Forschungsseitig griff die Studie eine grundlagentheoretische Fragestellung nach den Bedingungen und Möglichkeiten von sozialer Ordnung in Organisationen im Kontext alternativer Sicht- und Handlungsweisen auf. Die Analyse sollte sich daher mit

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