Die Befragung. Armin Scholl

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Die Befragung - Armin Scholl

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von großer Bedeutung für die angewandte Medienforschung ist die 1954 gegründete »Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse e.V.« (AG.MA), damals noch unter dem Namen »Arbeitsgemeinschaft Leser-Analyse e.V.« (AGLA). Sie ist ein Zusammenschluss von Unternehmen der deutschen Werbewirtschaft zur Erforschung der Massenkommunikation (vgl. ADM / AG.MA 1999: 164f.). Zunächst wurden vergleichbare Daten zur Größe und Struktur der Leserschaft von Publikumszeitschriften erhoben, heute zum Publikum aller Medienbereiche (→
www.utb-shop.de, Kapitel 1.2). Um die steigende Internetnutzung erforschen zu können, wurde 2002 die »Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung« (AGOF) von Online-Vermarktern und Online-Werbeträgern gegründet. Sie ist 2004 der AG.MA beigetreten (vgl. www.agof.de; Welker / Werner / Scholz 2005: 11).

      Eine Sonderstellung nimmt das 1947 gegründete »Institut für Demoskopie Allensbach« ein. Die Gründerin Elisabeth Noelle-Neumann steht für die Verbindung zwischen akademischer (Grundlagen-)Forschung und angewandter kommerzieller Markt- und Meinungsforschung. Dafür ist auch kennzeichnend, dass das IfD zahlreiche methodische Experimente durchgeführt hat und in diesem Bereich weltweit führend sein dürfte (vgl. Meyen 2002: 67ff.).

      Trotz der Zusammenschlüsse der Institute und der Verbindung zur universitären Forschung ist die angewandte private Meinungsforschung kommerziellen Interessen ausgesetzt. Insbesondere die harte Konkurrenz führt dazu, dass die Umfragen in der Regel nicht vergleichbar sind, weil die Fragebögen und die Zusammensetzung der Interviewerstäbe unterschiedlich sind. Die Abhängigkeit vom Auftraggeber mündet in einen Zielkonflikt, sich einerseits durch hohe Qualität von der Konkurrenz abzuheben, aber andererseits die Kosten zu senken.

      Eine besondere Problematik (aber auch Chance) ergibt sich durch die vor politischen Wahlen durchgeführten Wahlumfragen zur Prognose der Wahlergebnisse. Hier konkurrieren die kommerziellen Institute direkt, und die Ergebnisse sind durch den tatsächlichen Wahlausgang überprüfbar. Immer wieder diskutiert wird auch der Zweck solcher Wahlumfragen: Machen sie die Demokratie transparenter und geben den Wählern eine rationale Informationsgrundlage für ihre Wahlentscheidung, oder werden sie von Politikern zu manipulativen Zwecken instrumentalisiert? Sie sind auf jeden Fall ein Element der öffentlichen Meinungsbildung neben den Medien, aber auch in den Medien, die immer wieder auf demoskopische Ergebnisse zurückgreifen.

Einordnung, Definition und Ziele der Befragung

      Die Befragung gehört zu den sozialwissenschaftlichen Methoden wie die Beobachtung (von Personen, Handlungen, Ereignissen) und die Inhalts- oder Textanalyse (von mündlichen und schriftlichen Texten, von Bildern, Fotos oder Filmen). Oft wird in Lehrbüchern zwischen empirischen und nicht-empirischen Methoden getrennt. Dabei werden empirische Methoden als Sammlung und Systematisierung von Erfahrungen über die (soziale) Realität charakterisiert, während nicht-empirische Methoden das Verstehen singulärer Sachverhalte aufgrund der eigenen Erfahrung des Forschers oder seines theoretischen Wissens zum Ziel haben. Die empirischen Methoden lassen sich wiederum in quantitative und qualitative unterscheiden (vgl. Brosius / Haas / Koschel 2012: 2ff.). Eine solche Unterscheidung beruht auf einem engen und exklusiven Empiriebegriff.5

      In einem weiten Empiriebegriff wird dagegen Empirie als komplementäres Gegenstück zu Theorie verstanden (vgl. Loosen / Scholl / Woelke 2002: 38f.). Während Theorie demnach die rein gedankliche – spekulative oder logisch strenge – Beschäftigung mit einem Forschungsgegenstand ist, erfordert Empirie immer den direkten forschungspraktischen Bezug auf einen außerwissenschaftlichen Forschungsgegenstand.6 Hermeneutische Methoden wären dann insofern empirisch, als sie den Forscher systematisch an einen bestimmten Forschungsgegenstand, etwa ein Gedicht oder ein aufgezeichnetes Gespräch, »koppeln«.

      Der Vorteil eines weiten Empiriebegriffes besteht darin, dass er keine Trennung zu nicht-empirischen Verfahren vollziehen muss, was trotz gegenteiliger Bekundungen in der Regel praktisch auf den Ausschluss dieser Verfahren aus dem Lehrkanon des sozialwissenschaftlichen Fachs Kommunikationswissenschaft hinausläuft. Der Nachteil besteht darin, dass die notwendigen Unterscheidungen dann auf Binnendifferenzierungen verlegt werden müssen. Diese werden im nächsten Kapitel mit der ebenfalls gängigen Gegenüberstellung standardisierter und offener Befragungsmethodologie nachgereicht.

      [21]Die Befragung hat die (Alltags-)Kommunikation als Grundlage und benutzt diese für die Gewinnung von Informationen über das Forschungsobjekt. Gleichzeitig ist (öffentliche) Kommunikation der Forschungsinhalt der Kommunikationswissenschaft. Daraus ergeben sich besondere Chancen, aber auch Risiken für diese Methode. Die Chancen bestehen darin, dass sie prinzipiell an die alltägliche Kommunikation anknüpfen und in allen Teilen der Bevölkerung eingesetzt werden kann. In westlichen Kulturen ist die (wissenschaftliche) Befragung mittlerweile so weit etabliert, dass sie als Sozialtechnik mit ihren Regeln allgemein bekannt und auch weitgehend akzeptiert ist.

      Allerdings ist die (sozial)wissenschaftliche Befragung nicht identisch mit informellen Gesprächsformen und bedarf insofern einer gewissen Transferleistung der alltäglichen Gesprächssituation auf die wissenschaftliche Befragungssituation durch die Forscher (Interviewer) und durch die Befragten. Diese Übertragungen sind einerseits erwünscht, um die Auskunftsbereitschaft der Befragten überhaupt zu sichern; sie sind andererseits riskant, weil bestimmte soziale Normen, wie sie in Gesprächen praktiziert werden, nicht zu gültigen Informationen über den Befragten führen. So ist es in alltäglichen Konversationen üblich, nichts über sich zu kommunizieren, was den Eindruck bei den Gesprächspartnern negativ beeinflussen könnte. Man versucht in der Regel, sich selbst gut darzustellen oder zumindest keinen Anlass zu geben, dass ein schlechter Eindruck entsteht (»impression management«). Abgesehen von offenen Provokationen und witzig-ironischen Gesprächsformen verläuft das Gesprächsverhalten im Rahmen dessen, was sozial erwünscht ist oder dafür gehalten wird.

      Bei der Befragung geht es dagegen um valide, authentische Informationen des Befragten über sich selbst, über andere oder über Organisationen, die der Befragte repräsentiert, aber nicht darum, einen möglichst guten Eindruck von sich (oder der eigenen Organisation) beim Interviewer oder bei der Forschungsinstitution zu hinterlassen. Die Befragungssituation ist deshalb vom Prinzip her weitgehend entlastet von den konformitätserzeugenden sozialen Regeln. Weder der Forscher noch der Interviewer haben irgendeine Möglichkeit, das Auskunftsverhalten des Befragten oder die Auskunftsinhalte der Antworten zu sanktionieren, die Befragung beruht auf der Freiwilligkeit der Teilnahme und der Auskunftserteilung. Die einzige Ausnahme von dieser Regel sind (die nicht-wissenschaftlichen) Volkszählungen, bei denen die Auskunft vom Gesetzgeber erzwungen werden kann. Für die (sozial)wissenschaftliche Befragung stehen dagegen nur Appelle und Überzeugungsversuche zur Verfügung, die den Befragten zur Teilnahme an der Befragung und zur ehrlichen Auskunft bewegen sollen.

      [22]Das Ziel der (sozial)wissenschaftlichen Befragung besteht zusammengefasst darin, durch regulierte (einseitig regelgeleitete) Kommunikation reliable (zuverlässige, konsistente) und valide (akkurate, gültige) Informationen über den Forschungsgegenstand zu erfahren. Die Befragung ist eine Art Aufforderung zur Selbstbeschreibung des Befragten. Der Forschungsgegenstand, das Selbst dieser Beschreibung, kann, muss nicht identisch mit der Auskunftsperson, dem Befragten, sein; es kann sich auch um einen dem Befragten nahen Forschungsgegenstand handeln, etwa um eine Organisation, für die der Befragte arbeitet bzw. in der er Mitglied ist, oder um eine dem Befragten nahestehende Person; man spricht im letzt genannten Fall von einer »Proxy-Befragung«.

      Je nach Stellenwert, der dem Befragten seitens des Forschers eingeräumt wird, variieren die Bezeichnungen: In der angewandten Sozialforschung wird häufig von Zielpersonen gesprochen, die auch diejenigen mit einschließen, die sich dem Interviewversuch entziehen oder die nicht erreichbar sind. In experimentellen Untersuchungen ist die Rede von Versuchspersonen,

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