Die Befragung. Armin Scholl
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Bei der Durchführung von (sozial)wissenschaftlichen Befragungen wird zwar versucht, an die Alltagssituation von Befragungen (Fragestellen, Information im Gespräch) anzuknüpfen. Allerdings handelt es sich hierbei um eine künstliche (nicht selbst gesuchte), asymmetrische (einseitig themenbestimmte), distanzierte (nicht persönlich werdende), neutrale (emotional nicht extreme), anonyme (nicht zwischen Bekannten erfolgende) Gesprächsform.
Voraussetzungen für eine gelungene Befragung sind neben der methodischen Kompetenz des Forschers und der Relevanz des Forschungsthemas hauptsächlich das Interesse des Befragten am Befragungsthema, seine inhaltliche und sprachliche Kompetenz, die prinzipielle Akzeptanz von Befragungen und Wissenschaft oder Meinungsforschung und seine spezielle, auf einzelne Fragen bezogene, Kooperationsbereitschaft sowie seine Ehrlichkeit bei der Beantwortung der Fragen.
Die Grenzen der Befragung ergeben sich daraus, dass es sich um eine kommunikative Methode handelt, die streng genommen nur über Kommunikationen Auskunft geben kann. Das bedeutet, dass Bewusstseinselemente (Gedanken, Gefühle) und Verhaltensweisen nur indirekt erschließbar sind und von der Befolgung [23]der oben aufgeführten kommunikativen Regeln abhängt.7 Insofern sind in der Befragung ermittelte Einstellungen, Gefühle und Verhaltensweisen stets kommunikativ vermittelt. Man kann diese kommunikative Vermittlung als (potenzielle) Verzerrung der tatsächlichen Bewusstseinsinhalte und Verhaltensweisen auffassen, die man methodisch – etwa experimentell – zu reduzieren versucht, oder als eigenen sozialen Sinnbereich, der im Alltag relevant ist. Im ersten Fall interessieren die Gedanken oder Verhaltensweisen selbst, sodass die Befragung gegebenenfalls durch andere Methoden flankiert werden muss, wohingegen im zweiten Fall deren Kommunikationen der Forschungsgegenstand sind, wofür die Befragung uneingeschränkt geeignet ist (→ Kapitel 7.3.2 zum Thema »soziale Erwünschtheit«).
1.3 | Methodologische Unterscheidungen |
Wie aus den bisherigen Ausführungen deutlich geworden ist, gibt es einerseits verallgemeinerbare Ziele und Eigenschaften der Befragung, andererseits Differenzen, die zumeist methodologischer Herkunft sind. Man kann die sozialwissenschaftlichen Methoden generell in quantitativ-standardisierte und qualitativoffene Verfahren unterteilen. Diese Unterscheidung basiert auf verschiedenen Forschungsphilosophien; sie wird oft in Unterschiedskatalogen herausgestellt.8 Die Nützlichkeit solcher prinzipiellen Unterscheidungen ist fraglich, denn es handelt sich zwar um das jeweilige Selbstverständnis der beiden Forschungsphilosophien, aber die Forschungspraxis sieht in der Regel weniger gegensätzlich aus. Man kann sich aus dieser Perspektive auf drei Dimensionen beschränken, [24]die für die Forschungspraxis speziell der Befragung konstitutiv sind und eine eindeutige Gegenüberstellung erlauben:
Standardisierte Verfahren streben in erster Linie den Vergleich zwischen den Untersuchungsobjekten an. Um die Vergleichbarkeit herzustellen, vereinheitlichen (und »objektivieren«) sie anhand eines ausführlichen Regelwerks
das Instrument, also den Fragebogen, indem die Fragen im Wortlaut und in der Reihenfolge jedem Befragten gleich gestellt und verschiedene Antwortmöglichkeiten dem Befragten zur Auswahl vorgegeben werden;
die Forschungssituation, also die Interaktion zwischen dem Interviewer und dem Befragten, indem die Interviewer zu einheitlichem Verhalten gegenüber dem Befragten trainiert werden;
die Auswahl der Forschungsgegenstände, also die Stichprobenziehung der zu befragenden Zielpersonen, indem sie unabhängig von dem Interviewer durch Zufall oder Quotenvorgaben erfolgt.
Das Auswertungsziel standardisierter Verfahren besteht darin, über Häufigkeitsverteilungen bestimmte Phänomene, wie etwa das Meinungsklima zu einer öffentlichen Kontroverse, zu beschreiben oder über Häufigkeitsvergleiche Hypothesen zu überprüfen, die als Zusammenhang von mindestens zwei Variablen formuliert werden, wie etwa der Einfluss persönlicher Motive auf das Auswahl- und Nutzungsverhalten gegenüber bestimmten Medienangeboten.
Die Gütekriterien quantitativer Forschung sind Objektivität, Reliabilität und Validität. Objektivität bezieht sich auf die Stabilität des Messinstruments unabhängig von der Erhebungssituation und von der Person, die es anwendet. Wenn unterschiedliche Interviewer beim gleichen Befragten unterschiedliche Antworten auf die gleiche Frage erzielten, wäre die Untersuchung wenig objektiv. Aus diesem Grund werden das Verhalten des Interviewers, die Interviewsituation und der Fragebogen möglichst standardisiert. Da der Begriff der Objektivität erkenntnistheoretisch belastet ist, wird er heute meist durch Intersubjektivität oder intersubjektive Überprüfbarkeit ersetzt. Wenn ein Instrument zu den gleichen Ergebnissen führt, egal wer es anwendet, impliziert dies nicht, dass die Messung deshalb prinzipiell unabhängig vom Anwender ist, sondern nur, dass es von allen Anwendern im gleichen Maß abhängig ist. Diese Annahme reicht aus, um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu sichern.
Reliabilität meint die Reproduzierbarkeit des Instruments. Wiederholte Messungen mit dem gleichen Instrument müssen zu dem gleichen Ergebnis kommen, sofern sich in der Zwischenzeit der Forschungsgegenstand nicht verändert hat. Wenn also ein Befragter zweimal die gleiche Frage bzw. zwei sinngleiche Fragen gestellt bekommt und er jedes Mal gleich antwortet, gilt die Frageformulierung [25]als reliabel. Die Reliabilität ist insbesondere bei sehr differenzierten Messungen gefährdet, etwa wenn eine Meinung auf einer zehnstufigen Skala angegeben werden soll, oder wenn ein Befragter nur eine sehr oberflächliche Meinung zu einem Sachverhalt hat bzw. den Sachverhalt für nicht relevant hält und eine fast willkürliche Antwort gibt.9
Validität meint die inhaltliche sachlogische Gültigkeit und betrifft die Beziehung zwischen dem theoretischen Konstrukt und der empirischen Messung. Wenn man etwa das Wissen des Befragten von der bevorstehenden Kommunalwahl erfahren will, ist die Frage nach dem Datum wahrscheinlich wenig valide. Zum einen umfasst diese Frage nur einen einzigen Aspekt des Wissens, zum anderen sagt möglicherweise das Wissen dieses Datums nichts darüber aus, wie gut der Befragte sich in der Kommunalpolitik auskennt. Validität ist ebenfalls nicht gegeben, wenn der Befragte bewusste Falschaussagen macht.
Alle drei Kriterien sind methodentheoretisch diskutierbar, praktisch verbesserbar durch gute Kenntnis vom Forschungsgegenstand und durch die standardisierte Untersuchungsanlage auch messbar. Dafür können unterschiedliche statistische Verfahren eingesetzt werden (vgl. Diekmann 2011: 247-261; Brosius / Haas / Koschel 2012: 49ff.).
Offene Verfahren sind weniger stark regelgeleitet und streben in erster Linie ein tieferes Verstehen und Verständnis vom Forschungsgegenstand an. Um dieses Ziel zu erreichen, individualisieren (und »subjektivieren«) die Forscher
den Fragebogen, indem die Interviewer je nach Antwort des Befragten flexibel nachfragen und das Instrument in der Feldphase der Befragung bis zum Erreichen theoretischer Vollständigkeit (»theoretical saturation«) verändert werden kann (vgl. Rubin / Rubin 2005: 33ff.);
die Interviewsituation, indem der Interviewer offen, konversations- und alltagsnah, allerdings gewissenhafter, professioneller und tiefer als im Alltag fragt und zuhört und versucht, den Befragten nicht einseitig in die Rolle des Auskunftgebers seiner »Daten« zu drängen (vgl. Rubin / Rubin 2005: 12ff.);
die Auswahl der Befragten, indem die Zielpersonen bewusst und in Abhängigkeit von der theoretischen Fragestellung ausgesucht werden. Die Ziehung der Stichprobe kann dabei auch nach jedem Fall neu erfolgen, um weitere geeignete, für die Fragestellung auskunftsfähige Befragte auszusuchen, bis das Thema erschöpfend behandelt ist (vgl. Rubin / Rubin 2005:79-92). Ziel des qualitativen Stichprobenplans ist nicht Repräsentativität,