Qualitative Medienforschung. Группа авторов

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Qualitative Medienforschung - Группа авторов

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1989, Schröer 1994, Hitzler/Reichertz/Schröer 1999, Reichertz/Englert 2011). Die hermeneutische Wissenssoziologie hat sich in der aktuellen Form zum einen durch die Kritik an der »Metaphysik der Strukturen« der objektiven Hermeneutik, zum anderen durch die Auseinandersetzung mit der sozialphänomenologischen Forschungstradition (Berger/Luckmann 1977) herausgebildet und verortet sich in den letzten Jahren zunehmend als Teil eines kommunikativen Konstruktivismus (Reichertz 2009, Keller/Knoblauch/Reichertz 2012). Methodisch verbindet sie bei der Bildinterpretation Sequenzanalyse (→ Korte, S. 432 ff.) und Grounded Theory (Strauss 1991; → Lampert, S. 596 ff.).

      Prämissen einer wissenssoziologischen Interpretation von Bildern

      Bild und Bildtext

      Bilder aller Art sind in gewisser Weise optische Sinfonien. Denn beim Betrachten von stehenden und bewegten Bildern (und natürlich auch bei technisch erzeugten Grafiken) trifft eine Vielzahl von Tönen gleichzeitig beim Betrachter ein. Insofern ist das Ansehen eines Fotos nur ein besonderer Fall visueller Wahrnehmung, und diese löst (ähnlich wie die Wahrnehmung von Gerüchen, Berührung, Wärme etc.) direkte Körperreaktionen aus, ohne dass die Wahrnehmung in einen Text umgewandelt werden muss. Bilder deuten kann man jedoch nur, soll zumindest eine gewisse Nachvollziehbarkeit und damit eine Überprüfbarkeit geschaffen werden, wenn man den Wahrnehmungsprozess einerseits systematisiert und andererseits den mit der Bildbetrachtung in Gang gesetzten Prozess der Sinnzuschreibung fixiert. Protokolliert man also die Wahrnehmung des Bildes, produziert man erst einmal einen Text. Und dieser Text hat notwendigerweise immer eine andere Ordnung als das Bild und deshalb auch immer eine andere Wirkung.

      Ein Bild und der Protokolltext des wahrnehmenden Zugriffs auf dieses Bild unterscheiden sich strukturell. Zwar sind sowohl Bild als auch Text fixiert und damit der analytischen Arbeit beliebiger Rezipienten immer wieder verfügbar, Bild und Text sind also nicht so unaufhebbar flüchtig wie das Leben in der Welt, doch bleibt das Bild eine Sinfonie und der Text eine Reihe von sequenziell geordneten, nach den Regeln der Grammatik, Semantik und Pragmatik einer Gesellschaft ausgewählten Wörtern. Der Text zerstört unwiederbringlich die Gleichzeitigkeit des Eindrucks und schafft eine neue Ordnung des Nacheinanders, des sequenziellen Geordnetseins.

      Auch wenn man einräumt, dass Bilder zeichenhaft sind, also mit den allgemeinen Regeln der gesellschaftlichen Bedeutungskonstitution arbeiten, können nur ausgemachte Optimisten unterstellen, die Bildbedeutung ließe sich identisch auf einen Bildtext abbilden. Deshalb gibt es für die Analyse von Bildern nicht nur ein Problem der Beschreibbarkeit, sondern es ist zudem zentral (siehe vor allem Müller/Raab/Soeffner 2014, auch Reichertz 2014).

      Die (hermeneutische) Interpretation von Fotos (und Filmen) hat in Deutschland nach einem zögerlichen Beginn in den 1990er Jahren (Oevermann 1979, 1983, Englisch 1991; Haupert 1992; Loer 1992, Reichertz 1992, 1994, 2000) in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erlebt – weshalb manche von einem pictorial turn sprechen (Schade/Wenk 2011). Eine Fülle von Bildinterpretationsverfahren haben sich im deutschsprachigen Raum entwickelt: Einen guten Überblick über die Entwicklung und die einzelnen Verfahren findet sich in Netzwerk Bildphilosophie 2014. Zudem macht eine Reihe von Sammelbänden das Vorgehen und die Reichweite der einzelnen Verfahren sichtbar: Marotzki & Niesyto 2012, Lucht/Schmidt/Tuma 2013, Kauppert/Leser 2014, Przyborski/Haller 2014 und Eberle 2016. Konsens herrscht darüber, dass die Interpretation und Transkription von stehenden Bildern sich kategorial von der Interpretation und Transkription laufender Bilder unterscheidet (Corsten/Krug/Moritz 2010). Elaborierte qualitative und sozialwissenschaftliche Methoden und Methodologien zur Bildinterpretation sind bislang vor allem von der Rekonstruktiven Sozialforschung (Bohnsack 2001, 2005, 2009, Bohnsack/Michel/Przyborski 2015), der objektiven Hermeneutik (Oevermann 2014, Loer 1992, 1996, 2010, Wienke 2001, Kraimer 2014) und der hermeneutischen Wissenssoziologie (Soeffner 2000, Kurt 2008, Raab 2008, Reichertz 2000, 2010; Reichertz/Englert 2011, Reichertz/ Wilz 2016), die figurative Hermeneutik (Müller 2012) und der Segmentanalyse (Breckner 2010) vorgelegt worden.

      Bild und Bildbedeutung

      Bilder bedeuten etwas. Allerdings bedeuten sie nicht immer dasselbe. Die Bedeutung eines Bildes hängt nämlich davon ab, welche Frage man an das Bild stellt. Geht es (so eine Frage) um die Ermittlung der Intention des oder der Produzenten des Bildes, also um das, was einzelne Macher bewusst mit der Gestaltung eines Bildes erreichen wollten? Oder soll angezielt werden, die notwendigerweise singuläre und subjektive Zuschreibung von Bedeutung im Moment der Rezeption zu ermitteln, also das zu bestimmen, was im Augenblick der Aneignung im Bewusstsein des Rezipienten geschieht? Oder will man gar – dem Programm der Cultural Studies folgend (vgl. hierzu Bromley u. a. 1999 und Hall 1999; eine interessante, nicht nur von den Cultural Studies inspirierte Einführung in die Filmanalyse liegt mit Mikos 2015 vor) – den kommunikativen und interaktiven Umgang mit Bildern, also deren Aneignung und weitere Verwendung?

      Die ersten beiden, im Kern subjektiven und von der individuellen und sozialen Biographie geformten Bedeutungsvorstellungen sind soziologisch von geringem Belang und zudem nicht zugänglich. Deshalb fallen sie hier als Zielpunkte der Analyse aus. Auch soll hier unter Bildanalyse nicht die Suche nach der dritten Bedeutung verstanden werden, also dem sozialen Umgang mit Bildern und der in der kommunikativen Aneignung erschaffenen Bedeutung, die durchaus soziologisch relevant und mittels Ethnographien prinzipiell ermittelbar ist. Weil diese Art der Bedeutungsermittlung ihre Daten außerhalb des Bildes sucht, gehört sie nicht mehr zur Bildanalyse. Insgesamt bleibt hier die Abnehmerseite eines Bildes, also die Ermittlung der Aneignung von Bedeutung in konkreten Kommunikationssituationen, außen vor.

      Die wissenssoziologische Bildanalyse im engen Sinne fragt nun nach der in Bildern aller Art eingelassenen gesellschaftlichen Bedeutung.

      Zur Methode einer hermeneutischen Wissenssoziologie

      Gezeigte Handlung versus Handlung des Zeigens

      Das hier vorgestellte Datenanalyseverfahren ist die hermeneutische Wissenssoziologie (allgemein hierzu Hitzler/Reichertz/Schröer 1999; Soeffner 1989 und Schröer 1994). Die hermeneutische Wissenssoziologie soll sinnstrukturierte Produkte menschlichen Handelns auf ihre Handlungsbedeutung hin auslegen und ist als solche in der Lage, sowohl Texte als auch Bilder, Grafiken und Fotos jeder Art auszulegen.

      Die hermeneutische Wissenssoziologie interpretiert dabei ausschließlich Handlungen, also auch Sprech- und Darstellungshandlungen. Bei der Analyse von Bildern, (digitalisierten) Fotos, Filmen und Grafiken ergibt sich allerdings die Frage, welches Handeln überhaupt Gegenstand der Untersuchung sein soll. Hier gilt ganz allgemein – und dies im Anschluss an Peters 1980 und Opl 1990 –, zwischen der gezeigten Handlung (also der im Bild gezeigten Handlung) und der Handlung des Zeigens (also der mit dem Bild gezeigten) zu unterscheiden1 (ausführlich hierzu Reichertz/Englert 2011). Mit Ersterem wird das Geschehen bezeichnet, das mithilfe des Bildes aufgezeichnet und somit gezeigt wird, mit Letzterem der Akt der Aufzeichnung, also des Zeigens durch die Gestaltung des Bildes (plus die Gestaltung des von dem Bild Aufgezeichneten). Bild meint hier nicht nur ein Foto, sondern ganz allgemein einen Apparat des Aufzeichnens, Fixierens mit einer darin eingelassenen spezifischen Selektivität.

      Zur Handlung des mit der Bildgestaltung Zeigens gehört also vor allem (1) die Wahl des Ortes zur Inszenierung einer Handlung vor der Kamera, (2) die Wahl der Kulissen und des sozialen Settings, (3) die Auswahl und Gestaltung des Bildausschnitts, (4) die Art und das Tempo der Schnittfolge, (5) die Kommentierung des Abgebildeten durch Filter, eingeblendete Grafiken, Texte, Töne oder Musik, (6) die Auswahl und Ausrüstung des Aufzeichnungsgeräts (Kamera) und (7) die Gestaltung der Filmkopie (Format, Qualität).

      Alle Handlungen greifen in der Regel auf kulturell erarbeitete Muster und Rahmen (ikonographische Topoi)

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