Qualitative Medienforschung. Группа авторов

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Qualitative Medienforschung - Группа авторов

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frühere Handlungen des Zeigens bezieht. Da die (impliziten oder expliziten) Entscheidungen über die wesentlichen Elemente der Bildgestaltung zeitlich der Handlung im Bild meist vorangehen bzw. diese dominieren, bildet die Bildgestaltungshandlung den für die (alltägliche und wissenschaftliche) Interpretation dominanten Handlungsrahmen, in dem die Handlung im Bild unauflöslich eingebunden ist.

      Allerdings findet sich oft für die Bildgestaltungshandlung bei näherer Betrachtung kein einzelner personaler Akteur, da z. B. im Falle eines Filmes der Regisseur in der Regel nicht für alle Kamerahandlungen zuständig ist. Meist sind (z. B. beim Film) an der Kamerahandlung auch Kameraleute, Maskenbildner, Tontechniker, Kulissenschieber, Ausleuchter, Kabelträger, Kreative, Text- und Songschreiber, betriebseigene Medienforscher u. v. a. m. beteiligt. Das durch Professionsstandards angeleitete Zusammenspiel all dieser Funktionen bringt schlussendlich das zustande, was als Film gesendet wird oder als Bild, Grafik, Werbeanzeige oder Homepage veröffentlicht wird. Wird im Weiteren von dem Autor der Bildgestaltung gesprochen, dann ist immer ein korporierter Akteur (= Summe aller Handlungslogiken, die an der Aufnahme und Gestaltung eines Bildes mitwirken – siehe Reichertz 2016) gemeint.

      Stets kommentiert und interpretiert der korporierte Akteur durch die Handlung der Bildgestaltung die Handlung im Bild. Auch der Versuch, mit der Bild-Darstellung nur das wiederzugeben, was den abgebildeten Dingen (scheinbar von Natur aus) anhaftet, ist ein Kommentar, allerdings ein anderer als der, wenn die Kamera z. B. durch Schärfentiefe, Verzerrungen etc. auf sich selbst weist. Im ersten Fall versucht der korporierte Akteur sein Tun und die Bedeutung seiner Handlungslogik zu leugnen bzw. zu vertuschen, im zweiten Fall schiebt er sich zwischen Abgebildetem und Betrachter und bringt sich damit selbst ins Gespräch.

      Aus diesem Grunde geht es bei der Analyse von Bilddaten nicht allein um die Rekonstruktion der Bedeutung des gezeigten Geschehens. Bildanalyse kann und darf sich nie auf die Bild-inhaltsanalyse bzw. auf die Analyse der vor der Kamera gesprochenen Worte beschränken, da die Kamerahandlung stets konstitutiver Bestandteil des Films ist. Sie hat sich durch eine Fülle nonverbaler Zeichen in den Film eingeschrieben, sie hat im Film einen bedeutsamen Abdruck hinterlassen. In jeder bildlichen Darstellung von Handlungen finden sich also immer zwei Komplexe von Zeichen: zum einen die Zeichen, welche auf die Regeln der abgebildeten Handlungen, zum anderen die, welche auf die Regeln der Handlung der Abbildung verweisen.

      Deuten als schrittweise Sinnrekonstruktion

      Methodisch verfolgt eine hermeneutische Wissenssoziologie bei der Interpretation von Bildern folgenden Weg: Die Daten werden entlang der oben vorgeschlagenen Differenzierung möglichst genau deskribiert. Der so entstandene Text enthält dann eine fixierte und nach wissenschaftlichen Standards codierte Version des beobachteten Bildes, er ist ein formalisiertes Protokoll dieser Beobachtung. Eine hermeneutische Wissenssoziologie schlägt nun vor, dieses Beobachtungsprotokoll als Feldprotokoll zu betrachten und mit dem auch von der Grounded Theory entwickelten Verfahren (vgl. z. B. Strauss 1991) zu behandeln.

      In der Anfangsphase wird das Beobachtungsprotokoll, also der Bildtext, offen codiert, will sagen: das Dokument wird extensiv und genau analysiert »und zwar Zeile um Zeile oder sogar Wort für Wort« (Strauss 1991, S. 58). Entscheidend in dieser Phase ist, dass man noch keine (bereits bekannte) Bedeutungsfigur an den Bildtext heranführt, sondern mithilfe des Textes möglichst viele, mit dem Text kompatible Lesarten des Bildes konstruiert.

      In der Phase des offenen Codierens sucht man nach größeren Sinneinheiten, die gewiss immer schon theoretische Konzepte beinhalten bzw. mit diesen spielen und auf sie verweisen. Hat man solche gefunden, sucht man in der nächsten Phase der Interpretation nach höher aggregierten Sinneinheiten und Begrifflichkeiten, welche die einzelnen Teileinheiten verbinden. Außerdem lassen sich jetzt im Sinne eines »Theoretical Samplings« (Strauss 1991, S. 70; → Wegener/Mikos, S. 220 ff., → Lampert, S. 596 ff.) gute Gründe angeben, weshalb man welche Bilddaten neu bzw. genauer nacherheben sollte. Man erstellt also in dieser Phase der Interpretation neue Beobachtungsprotokolle, wenn auch gezielter. So regt die Interpretation die weitere Datenerhebung an, aber zugleich, und das ist sehr viel bedeutsamer, wird die Interpretation durch die nacherhobenen Daten falsifiziert, modifiziert, erweitert oder bestätigt.

      Demnach werden Beobachtungsprotokolle in einem gerichteten hermeneutischen (und auch selbstreflexiven) Deutungsprozess in mehreren Phasen so codiert, dass die Elemente der Beobachtung und der Beobachtungstexte sich zu einem bedeutungsvollen Ganzen zusammenfügen. Am Ende ist man angekommen, wenn ein hoch aggregiertes Konzept, eine Sinnfigur gefunden bzw. mithilfe des Bildtextes konstruiert wurde, das alle Elemente zu einem sinnvollen Ganzen integriert und im Rahmen einer bestimmten Interaktionsgemeinschaft verständlich macht.

      Anwendungsbeispiel

      Auswahl der Daten

      Gegenstand der beispielhaften Analyse ist ein Foto, das sich (zumindest in den Jahren 2003 und 20042) auf der ersten Seite der Homepage einer österreichischen Firma befand. Bei dieser Firma handelt es sich um die Beratergruppe Neuwaldegg, die sich mit viel Erfolg auf die strategische Beratung von Großfirmen spezialisiert hat (zur Interpretation der Neuwaldegger Homepage siehe Reichertz 2010: 243 ff).

      Noch eine letzte Bemerkung vorweg: Die hier vorgestellte Interpretation gibt in keiner Weise den wirklichen, äußerst langwierigen und mühseligen Interpretationsprozess wieder. Der besseren Lesbarkeit wegen, aber auch in der Absicht, Leser von der Auslegung zu überzeugen, wurde oft schon sehr früh verdichtet, zugespitzt und pointiert.

      Die im Bild gezeigte Handlung

      Das Bild, das auch im Original auf der Homepage in Schwarz-Weiß erscheint, zerfällt deutlich in einen Vorder- und Hintergrund: Letzterer besteht aus gebüsch- oder baumartigen Strukturen an beiden Seitenrändern und einer hellen, fast weiß strahlenden Fläche, die etwa zwei Drittel des verbleibenden oberen Hintergrunds ausfüllt. Im Vordergrund befindet sich am unteren Bildrand eine Gruppe von dreizehn Menschen zwischen 30 und 50 Jahren (neun Männer und vier Frauen).

      Die Personen, die leicht gestaffelt nebeneinanderstehen und von denen jeweils nur der Oberkörper (etwa bis zur Hüfte) sichtbar ist, sind etwa gleich groß, schlank und weisen keine sichtbaren körperlichen Mängel auf. Alle abgebildeten Personen wirken gepflegt und weisen Zeichen des beruflichen Erfolgs auf: Sieben Männer tragen zum dezenten Anzug einen Schlips und eine Kurzhaarfrisur (zwei haben auf den Schlips verzichtet und tragen ihr gebügeltes Hemd offen), die Frauen tragen zum Kostüm Halskette und sichtbar vom Friseur gestaltete Haare. Obwohl die 13 Menschen teilweise eng nebeneinanderstehen, berührt niemand den anderen. Jeder steht allein und für sich und doch in einer Gruppe.

      Alle Gesichter sind nach vorn gewandt. Mit hochgezogenen Augenbrauen schauen sie lächelnd und optimistisch nach vorn, ohne dass sich die Blicke aller auf ein einziges vor ihnen gemeinsam liegendes Ziel richten würden. Die ganze Gruppe scheint sich in einer Bewegung nach vorn zu befinden, die vor einiger Zeit inmitten des leuchtend hellen Hintergrunds begonnen hat, jedoch noch andauert und nur im Moment des Fotografierens und durch das Fotografieren kurz angehalten und eingefroren wurde. Insbesondere die bewegten Arme und die angedeutete Drehung aus der Körpermitte heraus unterstützen den Eindruck fortdauernder Dynamik. Durch diese Bewegung nach vorn erhält das eingefrorene Geschehen eine Zeitstruktur: Es gab ein Vorher im Bildhintergrund (in der Helligkeit), es gibt eine Gegenwart (die Gruppe ist am vorderen Bildrand angekommen), und es wird eine Zukunft geben (dort, wo der Betrachter ist).

      Auf diese Weise vermittelt sich dem Betrachter folgende Gesamthandlung: Eine Gruppe von gut situierten und beruflich erfolgreichen und somit auch machtvollen Männern und Frauen kommt zusammen (als Gruppe, also nicht einzeln oder in kleinen Grüppchen) aus der

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