Qualitative Medienforschung. Группа авторов
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Die Handlung des Zeigens mit der Bildgestaltung
Schon auf den ersten nur flüchtigen Blick erkennt der Betrachter, dass die Abgebildeten von dem Akt des Abbildens Kenntnis haben, dass sie mit ihrer ganzen Erscheinung darauf reagieren, sich sogar zum Zweck der Abbildung in besonderer Weise aufgestellt und mittels Gesichtsausdruck, Körperhaltung, Körperspannung und Kleidung entweder selbst typisiert haben oder von anderen so hingestellt und gestaltet wurden. Das Arrangement der Einzelnen fügt sich zu einem eigenen Ornament, zu einem Symbol für einen Bund egalitärer Gleichgesinnter und Gleichkompetenter. Insofern handelt es sich bei dem Bild um eine hochgradig typisierte Inszenierung.
Erst auf den zweiten Blick kann man erkennen, dass es sich bei den Abgebildeten nicht um Models, also typisierte Modelle von Körper und Persönlichkeitstypen, handelt, sondern um wirkliche Personen mit individuellen Besonderheiten und Eigentümlichkeiten, die sich selbst nur entlang gesellschaftlicher Modelle modelliert haben.
Auf den dritten Blick erkennt man, dass es sich bei dem Gruppenbild nach der Erleuchtung um eine mit den Mitteln der computergestützten Bildverarbeitung erzeugte echte Simulation handelt, also um die Montage verschiedener disparater Elemente zu einem neuen, scheinbar einheitlichen Bild – wenn auch mit wirklichen Personen und nicht mit Models. Die hier vorliegende Simulation ist insofern eine besondere, da sie sich zwar ein wenig tarnt, aber nicht wirklich viel Mühe gibt, als solche nicht erkannt zu werden. Im Gegenteil: Schaut man genauer hin, dann entdeckt man an vielen Stellen die massiv gestaltende Hand des (korporierten) Fotografen.
Hier ein paar der markantesten Eingriffe in das Geschehen (vor dem Bild): (1) Dreizehn Personen in Reihe und aus einer solchen Nähe wären nur mit einem starken Weitwinkelobjektiv zu erfassen gewesen, was aber zu erheblichen Verzeichnungen der Gesichter und Personen geführt hätte; (2) trotz der weißen, sehr hellen Strahlung von hinten und oben sind die Gesichter gut durchgezeichnet, was bei Gegenlichtaufnahmen ohne Aufhellungsblitz unmöglich wäre; (3) die Gesichter sind, wie der Schlagschatten zeigt, nicht von einer und zentralen, sondern von unterschiedlichen und unterschiedlich positionierten Lichtquellen beleuchtet worden und (4) die Schärfentiefe der 13 Gesichterabbildungen variiert (das Bild hat keinen einheitlichen Raum).
Zu diesen eher fototechnisch bedingten Eingriffen, die Sinn machen, wenn man viele Personen möglichst deutlich und unverzeichnet abbilden will, die also im Dienste der Wirklichkeitsabbildung stehen, finden sich andere Eingriffshandlungen, die Sinn machen, wenn der Fotograf eine bestimmte Deutung erzeugen bzw. nahelegen will und die so weder fototechnisch noch durch die Wirklichkeit bedingt sind, die also der strategischen Wirklichkeitsveränderung dienen. Hier zeigt sich die erzählerische Aktivität des Fotografen besonders deutlich, und deshalb ist deren Ermittlung und Deutung für jede Bildauslegung unabdingbar.
Der auffälligste Eingriff des fotografischen Autors ist vielleicht die teilweise Umrahmung einiger Personen mit einer diffusen weißen Linie, die aus den Lichtverhältnissen (Lichtbrechung am Rand) so nicht erklärbar ist und die auch nicht als moderne Form des christlichen Nimbus angesehen werden kann. Auch fällt auf, dass die Personen, verlängert man ihren Körper, nicht auf demselben Boden stehen (besonders deutlich bei Person 3 und 4): Manche scheinen auf Fußbänken zu stehen. Offensichtlich wurden zu große Unterschiede der Körperlänge so ausgeglichen, dass eine dynamische Gipfellinie der Köpfe entstehen konnte. Auffällig an dieser Gipfellinie ist nicht nur das stetige Auf und Ab, sondern die Randpositionen (also Person 1 und 13): Sie bilden die äußeren hoch aufragenden Gipfel, die sich als Einzige von der Gruppe weg, also nach außen neigen, was auf deren besondere Stellung hinweist. Drittens zeigen die abgebildeten Körper trotz ihrer Nähe zueinander keinerlei Ko-Orientierung. Die Körper reagieren nicht aufeinander, sondern stehen wie Puppen nebeneinander. Man könnte das Abbild einer Person wegnehmen und ein anderes Abbild einfügen, ohne dass dies auffallen würde.
Nimmt man all diese Hinweise zusammen, so muss man davon ausgehen, dass es niemals ein Gruppenfoto der abgebildeten Personen gab, sondern dass alle Personen erst einzeln digital fotografiert wurden, und später dann der Fotograf oder ein Designer die Einzelfotos mithilfe von Photoshop oder einer vergleichbaren Software vor einem ebenfalls gesondert erstellten Hintergrund montierte. Das Bild besteht somit aus mindestens 14, eher 15 Einzelbildern ohne inneren Zusammenhalt oder eine verbindende Handlung. Eine solche gemeinsame Handlung, nämlich die Vorwärtsbewegung, wird allein durch die Handlung des korporierten Fotografen nahegelegt. Er hat nach seinen Vorstellungen und Darstellungsabsichten (und so kann man vermuten: im Auftrag seiner Geldgeber) aus unverbundenen Teilen eine neue Gestalt geschaffen und damit auch eine neue, strategisch geplante Bedeutungsstruktur.
Das für die Interpretation Wichtige dabei ist, dass der Fotograf bei der Gesamtkomposition des neuen Bildes fast unabhängig von den Zwängen der Natur (Größe der Personen, Lichtverhältnisse, Besonderheiten des Hintergrunds etc.) nur seinen Darstellungsabsichten folgen konnte. Deshalb gilt für dieses Artefakt in gesteigertem Maße, was auch für andere Produkte menschlicher Praxis gilt: Order at all points.
Objektiv bedeutet das gewählte Verfahren der Bildkomposition (und das ist eine erste Annäherung an die Bedeutung) vor allem die Austauschbarkeit aller Elemente, also auch der abgebildeten Personen. Jeder und jedes kann leicht und schnell ausgewechselt werden – und das nicht nur auf dem Bild. Die Gruppe ist allein eine Fotografenfiktion – eine Simulation eines faktisch nie Realisierten (gemeinsamer Fototermin).
Die vom Fotografen benutzte Bildsprache arbeitet auf mehreren Ebenen, um einen Eindruck von Gruppenhaftigkeit zu erzeugen: Zum Ersten wird durch die einheitliche Bekleidung und die Gesichtsausdrücke der Personen eine Uniformität ohne Uniform hergestellt. Die Individualität spiegelt sich eher in Details und Varianten der Kleidung, etwa der Entscheidung für oder gegen eine Krawatte, wider als in wesentlichen Unterschieden. Die Beschränkung auf Grauwerte in der Darstellung vereinheitlicht das Bild weiter.
Zum Zweiten wird durch die nachträglich vereinheitlichte Körpergröße, die Nähe und Verschränkung der Körper zueinander und die mittels geringer Schärfentiefe zurückgenommene soziale Staffelung eine Gruppe der Gleichen geschaffen. Durch die Ausrichtung aller Personen nach vorn und die Reduktion der Abbildung auf die obere Körperhälfte verlieren die Personen zudem einen großen Teil an Geschlechtlichkeit und Körperlichkeit, was sie vor allem zu personalen Typen, zu Personen (also nicht konkreten Individuen) mit Herz und Kopf macht.
Zum Dritten wird diese Gruppe durch die Nutzung eines im christlichen Abendland weit verbreiteten und sehr bekannten ikonographischen Topos in besonderer Weise gedeutet und überhöht. Denn mittels Bildsprache ruft die Art der Darstellung der dreizehn Personen Assoziationen an Leonardos Abendmahl hervor. Dieser Aufruf des Abendmahls des Leonardo macht jedoch auf eine Spezifik des Bildes der Beratergruppe aufmerksam, die bedeutsam ist: Dem Bild der Wiener Unternehmensberater fehlt das Zentrum. Die charismatische Gestalt befindet sich nicht in der Mitte. Auch nicht an einem anderen Platz. Niemand der dreizehn Menschen ragt sichtbar über die anderen hinaus oder ist herausragend markiert, z. B. durch einen Nimbus. Allein die Außenpositionen nehmen eine Sonderstellung ein, da sie die Gruppe (auch durch ihre nach außen geneigte Körperhaltung) einfassen und zusammenhalten. Sie eröffnen den Rahmen, in den sich die übrigen einfügen. Sie geben Stabilität und Zusammenhalt. Aber auch sie sind austauschbar.
Doch nicht nur die Anklänge an das Abendmahl arbeiten mit der christlichen Ikonographie: Auch der Einsatz des Lichtes im Bildhintergrund entspringt religiöser Bildsprache. Das von oben kommende und nach unten abstrahlende helle Licht (besonders oft bei dem Motiv Johannes tauft Jesus eingesetzt) steht für die göttliche Eingebung von oben –