Wörterbuch der Soziologie. Группа авторов

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objektiv messen und durch den Erwerb eines solchen Wissens auch kontrollieren zu können. Die Kritische Gerontologie fordert ein im Zentrum der Alternstheorien und Lebenslaufentwicklung stehendes »emanzipatorisches Ideal« ein, das Altern als ein Fortschreiten in Richtung Freiheit (Autonomie, Weisheit, Transzendenz) jenseits von Beherrschung begreift (Moody 1988).

      Die Identitätstheorien von Mead und Goffman bilden die theoretische Grundlage der Mask-of-Ageing-Hypothese (Featherstone/Hepworth 1991). Demnach kommt es mit zunehmendem Alter zu einer Diskrepanz zwischen der äußerlichen Erscheinung und dem inneren Selbst. Die sichtbare körperliche Hülle erscheint als nichts anderes als eine Maske, die das wirkliche Selbst nur verdeckt. Das individuelle Selbst wird quasi zum Gefangenen des alternden Körpers, der die wahre Identität nicht länger physisch zum Ausdruck bringen kann. Analog dazu geht das Ageless-Self-Konzept (Kaufman 1986) davon aus, dass mit zunehmendem Alter eine[21] wachsende Diskrepanz zwischen dem subjektiven Altersempfinden und dem chronologischen Alter einhergeht. Diese Konzepte wurden im Modell der Altersmaskerade reformuliert – als eine Strategie, um sich vor einer altersfeindlichen Umwelt zu schützen (Biggs 1993).

      Das ursprünglich als eine Neuformulierung der Disengagementtheorie konzipierte und später stärker entwicklungspsychologisch ausgerichtete Modell der Gerotranszendenz (Tornstam 1989) geht davon aus, dass der Rückzug und die Passivität älterer Menschen auch positiv zu interpretieren sind. Es stellt erneut das gesellschaftliche Aktivitätsideal grundlegend in Frage und stellt heraus, dass mit zunehmendem Alter veränderte bzw. ganz neue Sichtweisen des Lebens (u. a. verminderte Ich-Zentriertheit, kosmische Transzendenz, stärkere Generativität und Reminiszenz) an Bedeutung gewinnen (können).

      Auch die sozialkonstruktivistische Perspektive wurde mehrfach auf das Alter bezogen. Dort erscheint das Alter als a) in einem umfassenden symbolischen Verweisungszusammenhang konstruiert, b) in der sozialen Organisation gesellschaftlichen Handelns als objektive Struktur realisiert, c) in der Somatisierung gesellschaftlicher Machtverhältnisse materialisiert und d) zugleich in seiner sinnlich empfundenen Qualität als konstitutiver Bestandteil subjektiver Identitäten. Auf dieser Folie ist die Verwirklichung des Alters (Doing Age) (Schroeter 2012) idealtypisch auf vier Ebenen in den Blick zu nehmen: auf der symbolischen Ebene (allgemeine Alterssemantiken, -definitionen, -diskurse, -grenzen, -ordnungen), der interaktiven Ebene (korporale und soziale Performanzen, Präsentationen und Inszenierungen), der materiell/somatischen Ebene (Körperpolitiken und -strategien) und auf der leiblich-affektiven Ebene (subjektiv empfundenes und körperlich/leiblich gespürtes Altern).

      Aktuelle Schwerpunkte

      Ein großer Teil der gestiegenen Aufmerksamkeit für die Alterssoziologie ist vermutlich der zunehmend breiteren Thematisierung des demographischen Wandels und der damit verbundenen Problemlagen in der wissenschaftlichen Diskussion wie auch der breiteren Öffentlichkeit geschuldet. Entsprechend lassen sich Schwerpunkte in den Bereichen der Alterssicherung, der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung sowie generell der Familien- und Generationenbeziehungen ausmachen, wobei die Spannweite jeweils von der individuellen Ebene über die Analyse von Organisationen und Institutionen bis zum Vergleich von höher aggregierten Systemen reicht. Besondere Aufmerksamkeit erlangen z. B. die aufgrund der vorgenommenen Änderungen im System der Rentenversicherung zu erwartende Altersarmut bzw. zunehmende soziale Differenzierung, der politische Einfluss der Älteren, das Alter(n) nach Migration, die Belastungen der Pflegenden sowie die Möglichkeiten der Unterstützung der Älteren, der Pflegenden und auch der Versorgungsstrukturen insgesamt durch neue Technologien. Diskussionen gibt es auch um stärker (sozial-)politische Perspektiven und Positionen, etwa im Falle des »aktiven« oder »produktiven« Alterns als Gegenargument zur »Alterslast«-Interpretation auf der einen, als (unangemessene) Forderung für den Einzelnen auf der anderen Seite.

      Literatur

      Atchley, Robert C., 1983: Aging. Continuity and change, Belmont, CA. – Biggs, Simon, 1999: The mature imagination. Dynamics of identity in midlife and beyond, Buckingham, UK. – Boetticher, Karl W., 1975: Aktiv im Alter, Düsseldorf. – Cavan, Ruth S. et al., 1949: Personal adjustment in old age, Chicago, IL. – Cole, Thomas R. et al. (Eds.), 1993: Voices and visions of aging, New York, NY. – Cowdry, Edmund V. (Ed.), 1939: Problems of aging, Baltimore, MD. – Cowgill, Donald O.; Holmes, Lowell D. (Eds.), 1972: Aging and modernization, New York, NY. – Cumming, Elaine; Henry, William E., 1961: Growing old. The process of disengagement, New York, NY. – Dowd, James J., 1975: Aging as exchange. A preface to theory; in: Journal of Gerontology 30, 584–593. – Elder, Glen H. Jr., 1995: The life course paradigm; in: Moen, Phyllis et al. (Eds.): Examining lives and context, Washington, DC, 101–140. – Featherstone, Mike; Hepworth, Mike, 1991: The mask of ageing and the postmodern life course; in: Featherstone, Mike et al. (Eds.): The body. Social processes and cultural theory, London, UK, 371–389. – Green, Bryan S., 1993: Gerontology and the construction of old age, New York, NY. – Havighurst, Robert J.; Albrecht, Ruth, 1953: Older people, New York, NY. – Hohmeier, Jürgen, 1978: Alter als Stigma; in: Ders.; Pohl, Hans-Joachim (Hg.): Alter als Stigma, Frankfurt a. M., 10–30. – Katz, Steven, 1996: Disciplining old age, Charlottesville, NC/London, UK. – Kaufman, Sharon R., 1986: The ageless self. Sources of meaning in late life, Madison, WI. – Kohli, Martin, 1985: Die Institutionalisierung des Lebenslaufs; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 37, 1–29. – Ders.; Künemund, Harald (Hg.), 2000: Die zweite Lebenshälfte, Opladen. – Levy, René, 1977: Der[22] Lebenslauf als Statusbiographie, Stuttgart. – Mayer, Karl U., 1996: Lebensverläufe und gesellschaftlicher Wandel; in: Behrens, Johann; Voges, Wolfgang (Hg.): Kritische Übergänge, Frankfurt a. M., 43–72. – Minkler, Meredith; Estes, Carroll L. (Eds.), 1991: Critical perspectives on aging, Amityville, NY. – Moody, Harry R., 1988: Toward a critical gerontology; in: Birren, James E.; Bengtson, Vern L. (Eds.): Emergent theories of aging, New York, NY, 19–40. – Myles, John, 1984: Old age in the welfare state, Boston, MA. – Neugarten, Bernice L.; Datan, Nancy, 1978: Lebensablauf und Familienzyklus; in: Rosenmayr, Leopold (Hg.): Die menschlichen Lebensalter, München 165–188. – Parsons, Talcott, 1968: Alter und Geschlecht in der Sozialstruktur der Vereinigten Staaten; in: Ders.; Rueschemeyer, Dietrich (Hg.): Beiträge zur soziologischen Theorie, Neuwied/Berlin, 65–83 (1942). – Pollak, Otto, 1948: Social Adjustment in Old Age, New York, NY. – Prahl, Hans-Werner; Schroeter, Klaus R., 1996: Soziologie des Alterns, Paderborn. – Riley, Matilda W. et al. (Eds.), 1972: Aging and society. A sociology of age stratification, vol. 3., New York, NY. – Rose, Arnold M., 1962: The subculture of the aging; in: The Gerontologist 2, 123–127. – Rosow, Irving, 1974: Socialization to old age, Berkeley, CA. – Schelsky, Helmut, 1965: Die Paradoxien des Alters in der modernen Gesellschaft; in: Ders.: Auf der Suche nach der Wirklichkeit, Düsseldorf/Köln, 198–220 (1959). – Schroeter, Klaus R., 2012: Altersbilder als Körperbilder; in: Berner, Frank et al. (Hg.): Individuelle und kulturelle Altersbilder, Wiesbaden, 153–229. – Tews, Hans P., 1971: Soziologie des Alters, Heidelberg. – Tornstam, Lars, 1989: Gerotranscendence; in: Aging. Clinical and Experimental Research 1, 55–63. – Townsend, Peter, 1981: The structured dependency of the elderly; in: Ageing and Society 1, 5–28.

       Harald Künemund/Klaus R. Schröter

      Quellentexte

      Der franz. Soziologe Emile Durkheim (1858–1917) hat den Anomiebegriff (engl. anomy, aus dem Griechischen: Verneinung/Fehlen von Gesetz/Ordnung) in die Soziologie eingeführt, vor allem im Rahmen seiner Untersuchungen zur Arbeitsteilung (1992 [1893]) und zum Selbstmord (1983 [1897]). Die zweite autoritative Quelle, auf die sich fast alle Soziologen beziehen, die heutzutage das Anomiekonzept – vor allem zur Erklärung abweichenden oder kriminellen Verhaltens – heranziehen, sind Arbeiten von Robert K. Merton (1910–2003), insb. zwei Aufsätze in Merton 1968 ([1957], Kap. 6, 7). Zu den deutschen Autoren, die eigene Varianten des Anomiekonzepts ausgearbeitet haben, gehören Dahrendorf (1979), Opp (1974), Waldmann (2003). Zum gegenwärtigen Stand der internationalen Diskussion s. den Sammelband von Agnew/Kaufman (2010).

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