Tatort Bodensee. Eva-Maria Bast
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Winter war einverstanden. »Sie haben recht! Machen wir’s so! Und wo treffen wir uns dann am besten?« Er überlegte einen kurzen Augenblick lang. »Wie wäre es beispielsweise mit dem Aussichtsturm Hohenbodmann bei Owingen, da sind wir mit Sicherheit ganz ungestört und haben gleich noch eine wunderschöne Sicht auf das ganze Hinterland. Bringt ja vielleicht auch was! Kennen Sie den Turm?«
Horst nickte.
»Also – was halten Sie von morgen Mittag, sagen wir 13 Uhr?«
Horst überlegte kurz: Wenn sie um 13 Uhr zusammenkamen, dann müssten sie mit dem Wesentlichen schätzungsweise in einer Stunde durch sein. Dann würde es für ihn noch reichen, um 14.30 Uhr Claudia wie versprochen vom Bahnhof in Überlingen abzuholen. Und notfalls konnte er dann ja noch mal zu ihrem Treffen zurückfahren. »Abgemacht! Morgen um 13 Uhr am Aussichtsturm bei Owingen!« Er streckte den Arm durch das Fenster und besiegelte die Abmachung mit einem kräftigen Händedruck. »Alles klar, also dann bis morgen! Aber bitte: Unternehmen Sie bis dahin nichts auf eigene Faust! Die Sache ist – wenn wir mit unseren Vermutungen richtigliegen – viel zu heikel, als dass man sich überstürzt irgendeiner Gefahr aussetzen sollte! Versprochen?«
Winter nickte zustimmend. »Versprochen! Also dann, bis morgen!« Damit drehte er sich um und schwang sich auf sein am Rand des Parkplatzes abgestelltes Fahrrad.
Horst schloss für einen Moment die Augen und drückte sich kräftig mit dem Rücken gegen die Lehne des Beifahrersitzes. »So, Michael – und jetzt aber Vollgas! Jetzt brauch ich wirklich erst mal ein paar Stunden Ruhe! Weißt du was?« Mit dieser Frage drehte er sich zu Protnik hinüber. »Der Wohnwagen ist mir jetzt viel zu unbequem – ich habe da eine viel bessere Idee!«
»Und die wäre?«
»Ich fahr mit dir zurück auf den Wildenstein – so weit ist das schließlich nicht, da kann ich dann wenigstens richtig abschalten. Und morgen Mittag sind wir ja sowieso wieder zusammen. Was hältst du von meinem Vorschlag?« Neugierig schaute er Protnik in die Augen.
»Wäre so oder so gar nicht anders gegangen«, brummelte der. »Glaubst du etwa, ich hätte dich heute Nacht allein in dieser verrosteten Schüssel übernachten lassen – in deinem Zustand? Von wegen! Also dann: auf zum Wildenstein!« Damit drückte er kräftig auf das Gaspedal.
»Ehrlich gesagt, ich freu mich richtig darauf, mal wieder dort oben zu sein! Dann trinken wir zusammen in der Burgschenke noch ein Viertele und fügen die Fakten, die wir bisher haben, noch einmal ganz genau zusammen. Ich bin ja gespannt, ob der Winter bis morgen nicht doch noch irgendetwas Überraschendes anschleppt!«
Was am nächsten Tag auf sie zukommen würde, konnte noch keiner ahnen …
15
Mittlerweile waren sie auf der Hochfläche des Heubergs angekommen. Dort, auf gut und gerne 800 Metern über Meereshöhe, in dieser kargen-rauen Landschaft, die Horst bei so manchem Besuch in den vergangenen Jahren richtig ins Herz geschlossen hatte, wehte immer ein frisches Lüftchen. »Schade, dass hier kein Wein wächst«, seufzte er, nachdem er die Augen aufgeschlagen hatte. Den ersten Teil der Fahrt hatte er selig geschlafen – kein Wunder nach den Strapazen der vergangenen Tage.
Apropos Wein. »Sag mal, Sputnik, was hat der Jürgen denn für einen Wein in seiner Burgschenke? Immer noch den lieblichen Trollinger oder hat er mittlerweile dazugelernt?« Mit Schaudern erinnerte sich Horst an so manchen elenden Morgen nach einem Abend auf dem Wildenstein. Wie oft hatte er sich damals schon geschworen, nie wieder einen Tropfen Alkohol in der dortigen Burgschenke zu sich zu nehmen, und wie viele endlose Diskussionen über dieses Thema hatte er schon mit dem Jugendherbergsvater, der nebenher auch die Schenke betrieb, hinter sich gebracht. Allesamt bisher vergeblich, kein Wunder, nachdem ihn der Herbergsvater regelmäßig darüber in Kenntnis setzte, dass er noch nie ein begeisterter Weintrinker gewesen sei und einige Tassen frisch gebrühter Tee am Abend sowieso viel gesünder seien.
Protnik guckte ratlos. »Weiß ich nicht! Ich hab da die letzten beiden Abende immer auswärts gegessen und bis ich zurück war, hatte die Burgschenke bereits geschlossen. Da hab ich mir halt noch eine Flasche Mineralwasser aus dem Automaten gezogen und bin dann ins Bett gegangen.«
»Na komm«, Horst stupfte seinen Kollegen aufmunternd an. »Dann mach noch einen kleinen Schlenker über Meßkirch. Da kenne ich einen Laden, der hat einen guten trockenen Lemberger. Zwar zu einem horrenden Preis, aber immerhin! Und außerdem, Meßkirch ist ein interessantes Städtchen! Warst du jemals in Meßkirch?«
Protnik schüttelte erwartungsgemäß den Kopf. Im selben Moment vernahm Horst einen derben Fluch und unmittelbar danach wurde sein Oberkörper mit einem gewaltigen Ruck nach vorne in Richtung Windschutzscheibe geschleudert. Gleichzeitig drang ein hässliches Quietschen der Autoreifen an sein Ohr. Nur der Sicherheitsgurt hatte verhindert, dass Horst (und Protnik genauso) durch die Windschutzscheibe geflogen waren!
Wütend hieb Protnik auf das Lenkrad. »Da – guck dir den Deppen da vorne an. Was macht der auch eine Vollbremsung, wo er doch ganz klar Vorfahrt hat. Der fährt, als wäre er stockbesoffen!« Damit deutete er auf einen weiß lackierten Kastenwagen, der dicht vor ihnen auf der Bundesstraße eine Vollbremsung vollzogen hatte.
»Na, mach schon, sonst steige ich aus und polier dir die Fresse, du Vollidiot!« Protnik war noch immer außer sich. »Ich hab keine Lust zu warten, bis mir von hinten einer reindonnert!«
Der Auspuff des Vordermanns spuckte stotternd eine Wolke dicken schwarzen Qualms aus. »Jetzt hat der auch noch seinen Motor abgewürgt! Unglaublich! Ich frag mich nur«, und damit wies er mit dem ausgestreckten Arm auf die Wand aus dunklem Nebel, durch die der weiße Transporter fast nicht mehr zu erkennen war, »wer ist hier eigentlich für den TÜV zuständig? Wieso gibt es überhaupt Abgasuntersuchungen, wenn solche Stinker die Straßen verpesten dürfen?«
Horst nickte und massierte sich die rechte Schulter in der Höhe, in der er vom Sicherheitsgurt, der sich wie ein Stahlband vor seinen Körper gespannt hatte, zurückgehalten worden war. »Aber sag mal, der hat uns doch vorher schon zweimal überholt, oder täusche ich mich?«
»Richtig, sag ich ja: Der muss besoffen sein!« Böse starrte Protnik auf den weißen Transit, der sich nun wieder in Bewegung setzte. »Da – schau mal, wie der jetzt davonprescht! Einfach unglaublich! Aber diese Typen mit ihren Lieferwagen und den viel zu starken Motoren, die hab ich eh gefressen! Die fahren immer wie die Gehirnamputierten! Da geht’s um Sekunden!« Kopfschüttelnd gab auch Protnik Gas. »Der ist wirklich die ganze Strecke über wie eine Klette an uns gehangen, dann hat er überholt, an den unmöglichsten Stellen, plötzlich war er wieder hinter uns, jetzt vor uns – und dann diese Vollbremsung! Hoffentlich war das die letzte Begegnung, sonst setzt’s aber was!«
»Eigentlich sollte man den anzeigen, so wie der den Straßen-Rambo spielt«, warf Horst ein. »Hast du dir eigentlich die Nummer gemerkt?«
Protnik verneinte. »Hab ich ehrlich gesagt nicht daran gedacht. Blöd von mir! Du hast recht. Aber ich weiß nur, dass das ein KN-Kennzeichen war, also von irgendwo aus dem Kreis Konstanz!«
Horst seufzte: »Also, das wär’s dann wohl! Was glaubst du, wie viele von diesen weißen Möbelschränken im Kreis Konstanz gemeldet sind!! Na ja, dann hat der Kerl eben noch mal Glück