Der Clan der Auserwählten. Hans-Peter Vogt
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Obwohl alle diese Kids der Bande ungewöhnlich sind, erlebt Artemis, dass einige dieser Kids als Alphatiere geboren wurden. Roy, Spek, Kathy, Bea und Leon sind eindeutig Menschen, die durch ihren genetischen Code bereits auserwählt sind, um andere Menschen zu führen, und in ihrem Leben etwas Großartiges zu leisten.
Artemis schlüpft manchmal in die Köpfe von Roy und Spek. Er hat inzwischen ständigen Kontakt zu Bea und Kathy. Er begleitet Leon ein paar Wochen lang, und dann fällt er einen Entschluss.
2.5. Der neue Wirt
Artemis könnte so weiter leben, wie bisher. Unerkannt und unsichtbar, und er wird irgendwann sterben. Er hat zwar noch einige Jahrhunderte vor sich, aber insgesamt ist seine Zeit begrenzt.
In diesen Kids sieht er ein Potenzial, dessen er sich bedienen kann. Menschen, denen Freundschaft über alles geht. Menschen mit Weitblick und sozialer Verantwortung. Menschen, die schon jetzt einen Führungsanspruch in sich tragen. Wenn er dieses Potenzial unter seine Kontrolle bringt, dann hat Artemis vielleicht die Chance auf diesem Planeten etwas zu bewegen. Nicht sofort, aber Artemis hat ja Zeit.
Er weiß inzwischen auch, dass dieses Geld die Welt und das Denken der meisten Menschen beherrscht. In diesen Kids sieht er etwas anderes. Die Bereitschaft, zu teilen. Artemis weiß inzwischen aber auch, dass zu den Aufgaben, die sich gerade in seinem Kopf entwickeln gehört, über notwendige Geldmittel zu verfügen, um auf dieser Welt etwas zu bewegen.
Es ist ein Wagnis. Ein Neuanfang. Er wird dafür Sorge tragen, dass diese Menschen ihren Wurzeln treu bleiben. Auch das wird vielleicht nicht ganz einfach, aber Artemis ist zuversichtlich.
Artemis kann durch Zellteilung neue Nachkommen zeugen, jetzt, wo er wieder bei Kräften ist, und er wird dies wohl bald wieder tun, aber er braucht so etwas, wie einen sicheren Ausgangsort, wie eine Heimat, oder wie einen Wohnort, von dem er aus sicher operieren kann. Er beschließt, in den Kopf und in den Körper dieses Jungen einzuziehen, der Leon Mendez genannt wird. Er könnte im Wald leben, oder irgendwo auf den Plantagen, die von den Menschen angebaut werden, er könnte in Viren schlüpfen, oder in die Körper von Fliegen, aber er sucht die Nähe dieser Spezies, die versucht, sich den Planeten untertan zu machen. Das gelingt ihnen nur partiell. Sie haben zwar Mittel gegen Insekten, Bakterien und Viren entwickelt, aber gegen diese winzig kleinen Lebewesen sind sie letztlich machtlos. Artemis hat das bereits festgestellt. Gegen die Quadrilliarden Insekten ist kein Kraut gewachsen, und die Viren verändern sich schneller, als die Menschen Immunstoffe entwickeln können. Insekten und Viren und Insekten leben aber auch von den Menschen. Es ist ein Kreislauf. Die Menschen verstehen diese gegenseitige Abhängigkeit nur nicht. Nun ja, einzelne schon, die sich mit dem Immunsystem der Menschen oder mit Virologie beschäftigen.
Dennoch hat es diese Spezies geschafft, die Welt gewaltig zu verändern. Das hat Artemis begriffen. Sie sind zu einer Gefahr für das Leben auf dem Planeten in der jetzigen Form geworden.
Einer der Gründe für die Wahl von Leon ist, dass dieser Leon zu seinen Freunden eine besondere Beziehung pflegt, die von gegenseitiger Rücksicht und Achtung geprägt wird. Er ist kein Schläger. Er stiehlt nicht ungehemmt, und nur, um die anderen Kinder zu unterstützen. Er ist hilfsbereit, direkt und offen, auch wenn er seinen Eltern nicht ehrlich sagt, was er an diesen Nachmittagen treibt, wenn er unbeaufsichtigt ist, und Leon hat immer warme Hände, die Wohlgefühl vermitteln, wenn sie dich berühren. Außerdem ist Leon jung und formbar, und er verfügt über die Fähigkeit sich in Sprache auszudrücken. Artemis hat schon mitbekommen, dass die Sprache bei Kindern im allgemeinen unfertig ist, aber das stört ihn nicht. Er wird schon dafür sorgen, dass dieser Junge schnell lernt. Vor allem, dass er lernt, den Maximen der Cantara zu folgen.
Also zieht Artemis eines Nachmittags in den Körper von Leon, und er macht sich dort breit. Für Artemis ist dies zunächst ein Experiment. Er kann jederzeit aus diesem Körper wieder ausziehen, aber er kann diesem Jungen auch einen Teil seiner Kraft geben, um ihn in seinem Sinn zu beeinflussen und zu steuern. Er kann die Augen, Ohren, Geschmacksnerven, den Tastsinn, und die verbale Sprache des Jungen nutzen, um noch viel mehr von der Welt zu erfahren.
Er hat diesen Jungen bewusst ausgewählt. Er hätte auch in die Köpfe von Kathys Eltern einziehen können, oder in einen ihrer Geschäftspartner, in den Gärtner, in den Körper von Kathy, Bea, Roy, oder in einen x-beliebigen Politiker oder Wirtschaftslenker, aber nein, dieser Junge scheint ideal und Artemis hat Zeit. Er kann seinen Wirt auch jederzeit verlassen, und einen neuen wählen, wenn er nur will.
Für Leon wird diese überraschende Symbiose zu einem Energieschub. Er beginnt besser zu sehen, zu hören und zu riechen. Er entwickelt eine enorme Reaktionsschnelligkeit, ein gewaltiges Organisationstalent und ein Gespür für alles, was ihn umgibt. Er nimmt Kontakt zu Ratten, Mäusen und Vögeln auf und beginnt mit ihnen zu sprechen. Er knüpft Kontakte zu einigen wenigen Fledermauskolonien, die sich in einigen Schächten der U-Bahn niedergelassen haben, und er wird in der Schule so gut, dass die dort gestellten Aufgaben locker und leicht erledigt. Er könnte ohne weiteres ein Schuljahr überspringen, aber er hat an den Nachmittagen so viele selbstgestellte Aufgaben, dass er seine Energie in der Schule darauf beschränkt, dass hier zwischen den verschiedenen Interessengruppen Frieden herrscht. Leon entwickelt sich zu einem genialen Mediator, zu einem Strippenzieher, der Konflikte zwischen rivalisierenden Gruppen steuert, oder auch ausschaltet, weil er seinen Frieden haben will. Er kann diese Gruppen schon bald aufeinander hetzen, wenn ihm das dient. Er lernt vor allem, die Sprache so zu benutzen, dass er andere Menschen in seinem Sinn beeinflussen kann.
Artemis beobachtet das ganze Geschehen, und die Entwicklung dieses Jungen, und er lächelt. Dieser Junge ist für ihn wie ein Quell neuen Wissens. Was er sieht, das gefällt ihm.
Leon entwickelt Qualitäten, die ihm helfen, seine Aufgaben besser zu bewältigen. Er versteht Tiere nicht nur, sondern er lernt, sich mit ihnen in ihrer Sprache zu unterhalten, egal ob Libelle, Biene, Vogel oder Hund. Das geht soweit, dass Leon lernt, sich in Tiere zu verwandeln, zu denen er einmal Kontakt aufgebaut hat. Eine Fähigkeit, die Artemis diesem Jungen aber erst nach vielen Jahren gestattet, in denen sich dieser Junge bewähren muss. Leon lernt aber sehr schnell eine Sprache, von der er nie zuvor gehört hat. Ein seltsames Gemisch von Lauten und Elektroimpulsen, das ihm erlaubt, Kontakt zu anderen Kulturen aufzunehmen. Dieses Gemisch ermöglicht ihm, fremde Sprachen im Handumdrehen zu erlernen. Leon sieht auch die Ströme von Energie, die er aussendet, wenn er diese Laute anstimmt. Als Drittes erhält er ein unglaubliches Gespür für die Empfindungen von Menschen, deren geheime Wünsche und Gedanken. All das geschieht nicht sofort, sondern das ist ein langsamer und zäher Prozess. Die zuletzt genannte Eigenschaft ist es vor allem, die aus Leon später einen genialen Scout machen wird. Schließlich lernt er, den Raum zu überwinden. Es ist nicht so, dass er wie bei einem GPS eine bestimmte Strasse in New York oder in Singapur eingeben kann, und dann automatisch dorthin geführt wird. Er muss den Ort schon kennen, dann öffnet sich vor ihm ein Tunnel, durch den er rasend schnell fliegt, bis er dort ist, wo er hin will. Er löst sich bei dieser Fahrt in seine Atome auf, angetrieben nur durch die Energie, die Artemis dem Jungen zur Verfügung stellt.
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