Die Suche nach der Identität. Hans-Peter Vogt
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Im Dunkel der Tunnel, im Verborgenen der Illegalität, da war das kein Problem. Aber dann könnte er auch offiziell tot bleiben und illegal weiterleben. Dann bräuchte er nicht einmal einen Pass. Das wäre sogar der beste Schutz gegen eine Entdeckung durch die „Men in Black“. Aber das würde Dennis nicht reichen. Er hatte Ziele. Wie sollte er mit einer falschen Identität Conny auf ihren Reisen begleiten und erklären, warum gerade er für Conny den Berater spielt? Die Direktorin, der Dirigent. Alle kannten ihn. Wenn er die Öffentlichkeit nicht scheuen wollte, so musste er seine eigene frühere Identität wiedererlangen.
Dennis behielt seine Gedanken zunächst für sich.
Als Conny kam, gab sie Dennis einige Bücher und einige CDs. Sie gab ihm Kopfhörer und einen kleinen Recorder. Sie selbst lernte zunächst für die Schule.
Dennis überflog die Bücher. Es ging über Kulturen und ihre Musik. Die CDs enthielten Flamenco, chinesische Oper und indonesische Gammelanmusik.
Dennis hörte genau zu. Ja. Einiges war urtümlich. Manches kam dem ganzen schon recht nah. Dennoch fehlte irgendwas. Er grübelte, aber er kam nicht drauf.
Irgendwann kam Conny. Sie sei fertig. Sie fragte nach Dennis Meinung. Dennis winkte zunächst ab.
„Gleich kommt mein Geigenlehrer“, sagte Conny. „Dann können wir das von gestern mal fortführen und mit ihm besprechen.“
Dennis kannte den Geigenlehrer bereits. Ein kleiner dunkelhaariger Mann in einer grauem Weste. Dennis hatte ihn nie anders gesehen, als in dieser grauen Weste, die er auch heute wieder trug. Der Name passte zu seinem Äußeren. Alois Punkbacher. Aber Alois war nicht der tumbe Bayer, den man hinter dem Äußeren vermuten konnte. Er konnte mal Geige spielen, wie kaum ein Zweiter, aber ein Unfall hatte seine beiden Hände gebrochen. Danach war es mit dem spielen vorbei. Alois Punkbacher war Geigenlehrer geworden.
Alois war erst überrascht, dann tief erschüttert und schließlich überglücklich, als er Dennis lebend vor sich sah. Er befühlte Dennis, um sich zu vergewissern, dass er wirklich vor ihm stand. Er umarmte Dennis. Ein paar Tränen liefen die Wangen herunter. Er wischte sie verschämt weg. Aber dann wurde er ganz der Lehrer. „Ich wäre heute sowieso gekommen, aber Laura hat etwas angedeutet. Was habt ihr beide da ausgeheckt?“
Laura und Dennis einigten sich kurz auf ein Stück, dann begann sie. Sie spielte besser als gestern. Sie hatte sich etwas eingeübt. Dennoch fehlte etwas.
„Deine Geige da - deine dritte Geige - hast du sie noch“, fragte Dennis. Er schickte Laura, um sie aus dem Safe zu holen.
Er hörte zu, wie sie die Geige stimmte. Dann begann sie mit dem ersten Stück.
Dennis schüttelte den Kopf. „Nein nein. Versuche das Stück lustig zu spielen. Mach das bitte noch mal.“
Conny versuchte es. Sie versuchte es noch mal und noch mal.
Alois sah, dass Conny unglücklich war. Diese Geige war immer noch ihr Feind. Aber er hatte etwas herausgehört. Etwas, was vielleicht nur er mit seiner langen Erfahrung als Geigenlehrer hören konnte. Er hatte bisher nur nie darauf geachtet.
„Gib mal her“ bestimmte Alois. Dann stimmte er die Geige um. Alle Seiten klangen eine Nuance höher. Kaum merklich. Er gab die Geige an Conny zurück. Er nickte ihr aufmunternd zu.
Conny probierte es erneut. Sie sah, wie Dennis und Alois aufhorchten. Sie probierte es noch einmal. Es klang wirklich anders.
Sie probierte die ganze Passage aus zehn Minuten. Dann blieb sie still sitzen und lauschte den Tönen nach.
Sie gab Alois die Geige zurück und bat: „Stimm mir das mal nach unten. Gerade so einen Tick“.
Es dauerte einen Moment, dann hob Conny die Hand. „Das sollte genügen.“ Sie versuchte dasselbe Stück nun tragend und traurig zu spielen. Sie stellte sich vor, dass sie einen Trauerzug auf den Friedhof begleitet und alle zum weinen bringen will. Sie sah, dass Alois und Dennis beeindruckt waren.
„Gib noch mal her“, meinte Alois. Er stimmte die Geige erneut, aber diesmal in der normalen Tonlage, die sich nur geringfügig unterschied.
„Pass auf. Jetzt kommt etwas schwieriges. Versuch mal durch deine Grifftechnik genau diesen Bruchteil des Tones auszugleichen. In der Quint geh einfach eine Seite nach unten. Das sind völlig neue und ungeübte Grifffolgen, aber versuch’ es. Spiel erst fröhlich und geh dann in die trauernden und klagenden Klänge über.“
Conny versuchte es. Es war höllisch schwer. Sie musste umdenken, aber sie sah, wie Alois zustimmend nickte.
„Ich glaube, dass du eben gelernt hast deine dritte Geige zu spielen“, sagte er. „Du wirst dieses Instrument lieben. Vielleicht ist sie sogar besser als die Stradivari. Ist es möglich, dass die Geige ganz bewusst für die Veränderung solcher Stimmungslagen gebaut wurde???“
Conny schaute Alois lange an. „Kannst du eben mal Anton anrufen“, bat sie. „Er soll sofort kommen.“
Während Alois telefonierte, führte Conny Dennis in den Keller des Hauses. Dennis war platt. Er hatte noch nie ein Tonstudio von innen gesehen. Hier war alles da.
Laura schaltete das Licht und die Maschinen ein. Sie zeigte Dennis einige Hebel und Knöpfe. „Ich will das Klanggefühl hören“, sagte sie.
Anton kam mit hochrotem Kopf und tiefschnaufend an. „Fahrrad“, sagte er nur. Er war ein junger Mann, vielleicht 28.
„Das ist mein Toningenieur“, stellte Laura ihn vor. “Er heißt Anton, … und das ist Dennis“, sagte sie. Sie wandte sich an Alois und Anton. „Übrigens: Ihr habt Dennis heute nicht gesehn. Ihr wisst auch gar nicht, wer das ist. Ist das klar?“ Sie schauten verwundert, dann nickten sie.
Laura erklärte Anton, worum es geht: „Vielleicht habe ich eben gerade meine dritte Geige entdeckt. Das wird jetzt noch etwas unbeholfen klingen, aber versuche mit der Aufnahme genau die verschiedenen Stimmungen von überschwänglich bis todtraurig zu erfassen, die ich in ein und demselben Stück spiele.“
Conny ging durch die Glastür. Sie setzte die Kopfhörer auf, sie schaltete das Mikrofon ein. „Eins zwei drei“, sagte sie, klinkte ein kleines Mikrofon an die Geige und begann. Sie sah kurz zu Anton und als er nickte, legte sie los. Sie spielte immer dasselbe Stück, fand einen Übergang und spielte es erneut. Sie gab sich jede erdenkliche Mühe, den Tonfall und die Stimmung zu ändern. Es war nicht nur die Höhe der Töne.
Sie spielte manchmal ein Tick schneller, dann wieder einen Tick langsamer. Kaum merklich. Manchmal weicher, manchmal härter.
Dennis sah, dass es Conny viel Mühe bereitete. Sie schwitzte. Doch mit jedem Stück wurde es etwas einfacher. Dann spielte sie das Ganze noch einmal. Sie versuchte jetzt ihren ganzen Körper und all ihr Gefühl und ihr Können in die Stimmungslagen reinzupacken.