Das Leben ist ein Abenteuer. Hans-Peter Vogt
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„Willst du mich begleiten“, fragte sie. Nils nickte. Es tat manchmal ganz gut, mit Mama einkaufen zu gehen.
Mama machte sich schon lange nicht mehr die Mühe, selbst zu chauffieren. Es gab genug gute Leute in Romans Truppe, die das gerne übernahmen. Sie hatten ein Fahr- und Sicherheitstraining. Sie kannten die meißten Politessen in Berlin und konnten in zweiter oder dritter Reihe Parken, ohne einen Strafzettel zu bekommen. Es gab da eine Reihe von Deals. Schließlich genossen sie auch den Schutz des Innensenators. Wehe dem Polizisten, der es wagen würde, sie aufzuschreiben.
Sie gingen heute groß einkaufen. Käse, Gemüse, Obst, Tiefkühlkost, Fleisch, Brot, eine Pute und verschiedene andere Dinge.
Es gab Geschäfte, da ging Laura besonders gerne hin, wie zu Aysas Vater, der einen Laden in Kreuzberg hatte. Sie wurde stets zuvorkommend bedient. Sie erkundigte sich immer nach den Fortschritten der Kinder. Ging in der Schule alles glatt? Wie ist es im Sportverein? Helfen sie gut im Geschäft? Machen sie ihre Mutter glücklich?
Laura wusste das alles nur zu gut, Sie hatte alle diesbezüglichen Informationen aus ihren verschiedenen Nachrichtenquellen, aber sie fragte stets nach, und vermittelte echte Freundschaft und Anteilnahme. Nils bewunderte seine Mutter. Sie machte das immer toll. Sie nahm sich Zeit. Sie hörte geduldig zu. Es gab niemanden, der ihr etwas abschlagen konnte, und sie half, wenn sie helfen konnte. Er hatte sie oft beobachtet. Mama war ein echtes Genie. Er hatte von ihr gelernt.
So etwas sagen nur wenige Jugendliche von ihrer Mutter. Nils war sich dessen bewusst.
Irgendwann am Nachmittag würden alle diese Dinge gebracht werden. Nils war sich sicher. Dann ließen sie sich zu ein paar Boutiquen fahren. Es waren kleine Läden, in Wohnvierteln. Manche wurden direkt von der Inhaberin beschickt. Es hab hier einige gute Schneiderinnen. Es gab hier Freaks, die Lederkleidung nähten, und nachts auf den Männerstrich gingen, um sich das Kleingeld zum Leben zu verdienen. Vom Verkauf ihrer Klamotten konnten viele nur unzureichend leben.
Nils ging hier gern einkaufen. Diese kleinen Gewerbetreibenden mussten unterstützt werden. Es war kein nobles Viertel, buntgemischt eben. Viele der Kids im Musikzentrum wohnten hier. Die Mieten waren leider ziemlich teuer.
Nils hatte keine Probleme mit Kleidung aus dem Rotkreuzcontainer. Er trug so was oft. Das war eine perfekte Tarnung, aber er konnte sich auch teure Turnschuhe und handgenähte Kleidung leisten. Sie suchten ein bisschen rum, sie lachten und alberten. Nils fand eine neue Jacke. Die alte, mit dem Messerstich hatte er schon sicher entsorgt. Niemand würde sie finden.
Als sie das Geschäft verließen, prallten sie fast mit einer Frau zusammen.
Laura wollte auffahren, doch Nils hielt sie zurück. „Hallo“, sagte er. „Kennen Sie mich nicht mehr?“
Die Frau sah Nils an. „Oh Sorry. Ich bin in Eile. Helen wartet zu Hause auf mich. Wir müssen noch einkaufen.“
„Sie wohnen hier irgendwo?“ fragte Nils, dann meinte er, „Tschuldigung, das ist meine Mutter und das ist Frau... ja wie heißen Sie eigentlich?“ Die beiden Erwachsenen gaben sich die Hand, dann ging oben ein Fenster auf und Helens Kopf erschien. „Mama, na endlich, soll ich runterkommen?“ Nils sah nach oben, „Huch, Nils... wo kommst du denn her?“
Wenig später ging die Tür auf, Helen hatte drei Einkaufstaschen umhängen. Sie gab Nils die Hand und machte einen leichten Knicks vor seiner Mutter. Laura staunte. „Bitte entschuldigen Sie uns“, meinte Helen. „Wir sind in Eile. Heute Mittag darf ich ins Zentrum, aber erst müssen alle Einkäufe erledigt sein.“
Als sie gegangen waren, sah Laura ihren Sohn verblüfft an. „Sowas hab ich ja noch nie erlebt, einen Knicks.“ Sie schüttelte den Kopf. Nils zuckte mit den Schultern, dann erzählte er kurz. „Wer das genau ist, weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass sie nicht viel Geld haben und beide sehr sportlich sind.“
Sie fuhren zurück.
2.
Papa und Théra waren schon da. Mama und Théra machten eine Kleinigkeit zum Essen, dann schalteten sie das Radio und den Recorder mit Wassergeräusch ein, und sie begannen ihre Abstimmung über die Aktionen der heutigen Nacht.
Théra hatte sich das Szenario ausgedacht. Es war eine blutige Lösung. Sie weihte Nils ein. Nils pfiff durch die Zähne. Der Plan war genial.
Es war nicht, worüber Papa mit ihm gesprochen hatte. Nicht diese elegante Lösung, die Papa vorschwebte, aber es war dennoch genial.
„Und die Ethik“, wagte er zu fragen. „Die ist mir in diesem Fall wurscht“, meinte Théra. „Wir bringen nur eine Lawine ins Rollen. Wir werfen sozusagen den ersten Stein.“
Auch Laura staunte. „Wenn das klappt, dann haben wir hier ein Problem weniger, aber Nils kriegt viel Arbeit, um die Gruppen in den nächsten Wochen zu beobachten.“
Nils seufzte. „Ja ja. Ich mach das schon. Ihr könnt euch auf mich verlassen.“ Dann sah er auf die Uhr. „Ich muss noch mal weg.“
Théra sah ihn mit zusammengekniffenen Augenbrauen an, dann lächelte sie. Sie hatte in ihren Bruder hineingesehen. Nils war verliebt. Er wusste es vielleicht noch nicht, aber Théra wusste es.
„Wenn wir das heute Nacht durchziehen, dann solltest du am Abend zwei oder drei Stunden schlafen. Kriegst du das hin?“
Nils nickte, dann zog er die Tür hinter sich zu und ging hinunter zu Aysa.
3.
„Da war ein Mädchen für dich da“, meinte Aysa. „Sie war in Begleitung von zwei anderen Schönheiten. Ich habe sie in Raum 338 geschickt.“ Sie lächelte. „Nun geh schon, lass sie nicht warten.“
Als Nils den Probenraum betrat, staunte er nicht schlecht.
Die Gruppe „Elan“ war noch jung. Sie hatten eine Leadsängerin, die etwas älter war. Heute fehlte sie jedoch. Die Gruppe spielte einen bekannten Coversong. Cindy stand am Mikrophon und sie aß das Mikro geradezu auf.
Sie flötete und wisperte, sie schrie und juchzte, sie hatte eine Granatenstimme. Nils blieb wie angewurzelt stehen und hörte sich das an. Wie war das möglich? Die Gruppe war noch unbekannt, dennoch stand Cindy da vorn, als hätte sie schon seit Wochen mit der Band geprobt. Vieles war nicht perfekt. Manchmal verpatzte sie ihren Einsatz, aber Cindy war genial. Das sah Nils sofort.
Niemand hatte bemerkt, dass er hereingekommen war. Er lehnte sich an die Wand und hörte zu. Irgendwann in der Mitte des Stücks machte Joe eine Pause. Der Gittarrist sprach mit Cindy und gab ihr ein paar Tipps. „Los, probieren wir es.“ Der Basist begann, der Drummer klinkte sich ein und Joe gab Cindy ein Zeichen, er stellte sich vor sie hin, und dirigierte sie mit den Händen, wie ein Dirigent, Einsätze, Gefühl, und jetzt lass die Sau raus, schien er zu sagen. Cindy schrie sich die Stimme aus dem Leib.
„Mann“,