Wer macht was im Gottesdienst?. Liborius Olaf Lumma

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Wer macht was im Gottesdienst? - Liborius Olaf Lumma

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etwas festhalten, das längst überholt ist („Vorschrift ist Vorschrift“). Dieser Zugang wirkt rückwärtsgewandt und autoritätshörig.

      Dabei sollte man allerdings zwei Dinge bedenken: Der Verzicht auf ein für alle verbindliches Drehbuch führt unweigerlich dazu, dass unbemerkt ein neues, sozusagen geheimes Drehbuch entsteht. Während das liturgische Buch öffentlich zugänglich ist und diskutiert werden kann (erst recht in Zeiten von Internet und Datenbanken), bleibt das Drehbuch einer „Liturgie ohne Drehbuch“ verborgen und unausgesprochen. Ein solches „drehbuchloses Drehbuch“ entsteht durch eine Führungspersönlichkeit, die über die Ordnung der Liturgie bestimmt, oder durch eine Gruppe, die ihren eigenen Stil und ihre eigenen Gewohnheiten gemeinsam entwickelt. Dazu gehören unausgesprochene – vielleicht sogar unbewusste – Regeln, Erwartungen und Tabus, die von „Nichteingeweihten“ genau wie ein echtes liturgisches Buch gelernt und übernommen werden müssen. Diese Regeln sind aber im Unterschied zum liturgischen Buch nicht öffentlich dokumentiert, sie bilden eine Art Geheimwissen. Es geht also gerade beim „liberalen“ Zugang zur liturgischen Ordnung in hohem Maß um Macht: Macht derer, die bei der Liturgiegestaltung Einfluss haben, über jene, die keinen Einfluss haben und die nicht einmal mehr anhand eines liturgischen Buches die Art und Weise der Amtsausübung kritisch begleiten können.

      Wenn man hingegen das liturgische Buch als verbindlich ansieht, dann gibt es den Feiernden ihre Rollen, Texte und Symbole recht eindeutig vor. Das wird nicht allen persönlich gefallen, aber alle sind in derselben Weise gebunden. Da alle von vornherein wissen, worauf sie sich einlassen, wird Macht auf ein Minimum reduziert. Genau genommen tritt die Rolle an die Stelle der Macht. Nur ein einziges Mal wird noch wirklich Macht ausgeübt, nämlich bei der Erstellung des liturgischen Buchs. Man kann durchaus fragen, ob es sinnvoll ist, dass diese Macht in der katholischen Kirche ganz allein beim Papst und in bestimmten Grenzen bei den Bischöfen liegt – ich selber sehe das durchaus kritisch –, aber: Sobald das liturgische Buch erstellt ist, bindet es alle in derselben Weise, auch den Papst und die Bischöfe. Das liturgische Buch ermöglicht, rituelle Erfahrungen durch Wiederholung zu vertiefen. Und alle, die das liturgische Buch verwenden, sind schon allein dadurch, dass sie das Buch nicht selber hervorgebracht haben, auf etwas Umfassenderes verwiesen: eine kirchliche Gemeinschaft, die verschiedene Orte und Zeiten umfasst.

      Das „Drehbuch-Prinzip“ ist also auf den ersten Blick durchaus konservativ, aber auf der anderen Seite bändigt es Macht und Übergriffigkeit. Das Drehbuch-Prinzip kann sich übrigens auch auf das Zweite Vatikanische Konzil berufen. Das Konzil ist zwar der liberalen Richtung entgegengekommen, indem es liturgische Anpassungs- und Variationsmöglichkeiten vorgesehen hat, die unterschiedlichen gesellschaftlichen, sprachlichen, kulturellen und intellektuellen Zugängen durch unterschiedliche Menschen entsprechen sollen, aber diese Variationsmöglichkeiten sollten ihrerseits in den liturgischen Büchern genau festgeschrieben werden. Alles, was darüber hinaus geht, ist unzulässig (vgl. Sacrosanctum Concilium 22).

       Eucharistiefeier, Wort-Gottes-Feier, Tagzeitenliturgie

      Wenn ich in diesem Buch die verschiedenen liturgischen Rollen zu erschließen versuche, werde ich auch auf Fragestellungen eingehen, die in der aktuellen Fachdiskussion behandelt werden, ich werde verschiedene Optionen für die Weiterentwicklung aufzeigen und gelegentlich meine eigene Meinung offenlegen.

      Meistens werde ich konkret die Eucharistiefeier thematisieren. Vieles davon lässt sich leicht auf die Tagzeitenliturgie und die Wort-Gottes-Feier übertragen. Wer darüber hinaus mit der Gestaltung anderer katholischer Gottesdienstformen, etwa Trauungen oder Begräbnissen zu tun hat, wird – so hoffe ich – die Brücken von den hier angebotenen Überlegungen zur eigenen Praxis selbstständig schlagen können.

       2 Vereinssitzung, Theaterstück oder offener Himmel –

      wenn Christen sich versammeln

       Katholischer Gottesdienst: Bühne und Publikum

      Über viele Jahrhunderte wurde das Lebensgefühl Liturgie feiernder Katholiken wie folgt geprägt: Man geht in die Kirche, wo eine Gruppe von Menschen etwas vorführt: Gesten, Texte, Musik. Davon profitiert man: Man kommt zur Ruhe, entflieht dem Alltag, denkt über den Sinn des Lebens nach, betet zu Gott, gibt dem Leben eine Zielrichtung. Wenn man möchte, kann man an dem Geschehen aktiv mitwirken: Man beteiligt sich am gemeinsamen Liedersingen, man antwortet auf vorgesprochene oder vorgesungene Formeln in einer vertrauten Weise, man nimmt vorgesehene Körperhaltungen ein und so weiter.

      Liturgie war ein Bühnenstück mit gewissen Mitmach-Elementen, aus dem man persönlichen Gewinn zog oder jedenfalls ziehen sollte. Der Raum, in dem das alles stattfand, war aufgeteilt in eine Art Bühne und einen Zuschauerraum. Zwischen beiden Bereichen bestand eine architektonische Grenze: mehrere Stufen, eine kleine Trennmauer oder Ähnliches. Wer sich auskannte, wusste, dass diese Grenze während des Rituals und sogar außerhalb des Rituals nur nach genauen Regeln und nur von bestimmten Personen überschritten werden durfte. Alles andere war ein Störfaktor, wenn nicht ein Skandal.

      Die alles entscheidende Rolle in diesem Geschehen spielte eine einzige Person, die das Zeremoniell leitete. Sie musste männlich sein, die katholische Priesterweihe empfangen haben, nahm auch im Alltagsleben der Gemeinde eine besondere Stellung ein, war in der Kirche und außerhalb der Kirche schon durch die Kleidung erkennbar und genoss besonderes gesellschaftliches Ansehen. Dieser Priester wurde im Ritual von einigen assistierenden Personen ergänzt, manchmal handelte es sich auch bei ihnen um Priester, jedenfalls waren alle männlich. In bestimmten Rollen agierten bevorzugt Kinder.

       Gottesdienst als Versammlung

      Im 20. Jahrhundert hat sich vieles davon geändert. Diese Änderungen geschahen Schritt für Schritt, und sie geschehen auch heute noch. Innerhalb dieser langfristigen Entwicklung gab es einen besonders großen einzelnen Schritt: die Neuherausgabe des Messbuchs 1969 zuerst in lateinischer Sprache, anschließend in den verschiedenen Landessprachen. Dies geschah auf Grundlage der durch das Konzil begründeten und inhaltlich skizzierten Liturgiereform. Die Zulassung der Landessprachen darf zweifellos als einer der bahnbrechendsten Konzilsbeschlüsse gelten.

      Viele katholische Gemeinden pflegen aber auch heute noch die Mentalität eines Publikums, das den Spezialisten – zum Teil hauptamtliche Mitarbeiter der Kirche, zum Teil Ehrenamtliche – beim Ritual „zuschaut“ und die einzelnen Mitmach-Elemente mit mehr oder weniger aktiver Beteiligung über sich ergehen lässt.

      Diese Einstellung wird allerdings der Liturgie nicht gerecht. Grundmodell der Liturgie ist nicht das Gegenüber von Bühne und Zuschauerraum, sondern die Versammlung der Kirche, oder besser: die Versammlung als Kirche, oder noch besser: die Kirche als Versammlung.

      Dabei handelt es sich nun nicht etwa um eine neumodische Idee des 20. Jahrhunderts, sondern um etwas, das sich in der frühen Selbstfindung des Christentums genauso festmachen lässt wie in den liturgischen Büchern, und zwar durchaus auch den liturgischen Büchern vor dem Konzil. Das Konzil wollte Liturgie nicht neu definieren, sondern die Bedeutung der Liturgie, die im Prinzip für alle Zeiten gilt und gegolten hat, die aber nicht allen Beteiligten im Bewusstsein war, deutlich herausstellen und daraus Konsequenzen für die Praxis ziehen, konkret für die Neuherausgabe liturgischer Bücher.

      Zu den wichtigsten Aufträgen Jesu gehörte es, Menschen zu (ver-) sammeln (Lk 11,23; Joh 11,52 – an beiden Stellen steht im Neuen Testament dasselbe griechische Wort, das auch den jüdischen Versammlungsraum Synagoge bezeichnet). Paulus spricht von der Versammlung

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