Wer macht was im Gottesdienst?. Liborius Olaf Lumma
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Die Versammlung der Kirche weist in doppelter Weise über sich selbst hinaus. Sie verweist zurück in eine Vorzeit, in der ihr Ursprung liegt: Ohne Jesus – und Jesus wiederum eingebettet in die Geschichte Israels – und die Geschichte der ersten Christengenerationen würde es die heutige Versammlung der Kirche gar nicht geben. Außerdem verweist die Versammlung auf die Zukunft, denn die Einheit der Menschheit in Frieden, die sich in der Kirche anfanghaft ausdrücken soll, ist hier und jetzt und aus menschlicher Kraft gar nicht in ganzer Fülle möglich. Ihre Erfüllung kann es nur in der Zukunft geben, und sie wird kein Menschenwerk sein, sondern ein Geschenk.
Liturgische Versammlung und himmlisches Jerusalem
Wenn sich die Kirche als Versammlung bildet, dann folgt sie dem Auftrag, den sie von Jesus erhalten hat, und sie beruft sich auf seine Zusage (Mt 18,20). Damit steht die Versammlung zugleich als Repräsentantin der gesamten Menschheit vor Gott. Denn Christsein bedeutet, Hoffnung auf Leben und Frieden für alle zu haben, auch jene, die nichts von Gott wissen oder nichts von ihm wissen wollen (Joh 17,18).
Die Versammlung der Kirche ist somit zugleich eine visionäre Vorausschau. Sie bringt hier und jetzt zum Ausdruck, was es hier und jetzt noch nicht gibt, nämlich Einheit und Frieden. Die Versammlung macht ihre eigene Hoffnung hier und jetzt erfahrbar, obwohl die Erfüllung dieser Hoffnung noch aussteht.
Aus diesem Grund muss sich die Versammlung der Kirche symbolischer Ausdrucksweisen bedienen. Denn nur im symbolischen Handeln kann Unsichtbares sichtbar und erfahrbar gemacht werden, wie etwa Einheit aller in Frieden, ohne Grenzen von Raum und Zeit oder von Schuld und Tod.
Das Konzil schreibt: „In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem, zu der wir als Pilger streben, gefeiert wird“ (SC 8). Jerusalem ist schon im Alten Testament Ausdruck für die gemeinsame Heimat aller Menschen (Ps 95) und wird im Neuen Testament in einer symbolisch aufgeladenen Erzählung zum Bild der Zukunftshoffnung (Offb 21–22,5). Kein Zufall also, wenn manche christlichen Kirchengebäude als himmlisches Jerusalem künstlerisch ausgestaltet sind.
Liturgie ist Manifestation der Kirche (SC 41) in ihrer Ausrichtung auf das Vergangene – ihren geschichtlichen Ursprung – und das Zukünftige – ihr Ziel in der Erfüllung aller menschlichen Hoffnung.
Ekklesia als Versammlung
Das griechische Wort, das sich im frühen Christentum zur Selbstbeschreibung ausbildete, war ekklesia, meist als Kirche, manchmal als Gemeinde oder Versammlung übersetzt. Der Wortherkunft nach bedeutet ekklesia so etwas wie „die Herausgerufenen“. Dieser Begriff stammt nicht aus der antiken Religionssprache, sondern aus dem Feld der Politik. Er bezeichnete beispielsweise eine städtische Bürgerversammlung. Auch für die wichtigsten Ämter der christlichen Gemeinden wurden Begriffe übernommen, die weniger in die antiken Religionen als mehr in das private Vereinswesen gehörten, wobei zugegebenermaßen die Grenzen fließender waren als in der uns heute vertrauten Trennung von Staat und Religion. Das Wort episkopos (Bischof, Kapitel 8), wörtlich Aufseher, bezeichnete Leitungsämter unterschiedlicher Art wie etwa den Stifter oder Finanzier eines Vereins. Presbyter (Kapitel 8) waren Mitglieder kollektiver Leitungsorgane von Gemeinschaften, die man vielleicht als Ältestenrat, Vorstand oder Senat in unsere Welt übertragen könnte. Ein diakonos (Diakon, Kapitel 10) übernahm Hilfsdienste unterschiedlicher Art, etwa in der Organisation von Versammlungen. Heute würde dem vielleicht eine Mischung aus Sekretär, Pförtner, Eventmanager und Kellner entsprechen.
Das Christentum wollte sich vermutlich durch solche Ämterbezeichnungen von anderen Religionen abgrenzen und den Gemeinschaftscharakter der Kirche herausstellen: Christen sind die, die sich zu einer ekklesia versammeln. Die wichtigste dieser Versammlungen ist die Eucharistiefeier, in manchen alten christlichen Sprachen wurde das Wort Versammlung dann auch zum Namen der Eucharistiefeier.
Liturgische Rollen im Verhältnis zur Versammlung
Wenn dieses Buch einzelne liturgische Rollen näher erschließen und Kriterien für die sachgerechte Ausübung entwickeln soll, dann steht folgende Leitfrage im Hintergrund: In welchem Verhältnis steht die einzelne Rolle zur Versammlung der Kirche? Jede Rolle ist Dienst an der Versammlung, damit die Versammlung sich als das erfährt, was sie sein soll. Eine christliche Gemeinde versammelt sich nicht wegen ihres Bischofs (Kapitel 8) oder wegen der Leiterin der Wort-Gottes-Feier (Kapitel 9), sondern umgekehrt: Bischof und Wort-Gottes-Feier-Leiterin üben ihre liturgische Rolle wegen der Versammlung der Kirche und für die Versammlung der Kirche aus. Liturgische Rollen sind niemals Selbstzweck.
Liturgische Rollen sind auch keine privilegierte Beziehung zu Gott oder zu Jesus Christus. In Bezug auf Gott und auf Christus sind alle Angehörigen der Kirche gleich. Wo es Unterschiede in der öffentlich ausgeübten Rolle gibt, ergeben sie sich aus ihrem Bezug zur Versammlung.
Man könnte es auch so sagen: Aus einer Versammlung, in der alle gleich sind – nämlich von Gott in die Kirche berufen –, treten einzelne Personen heraus, um dann für die Versammlung zu handeln, und zwar im Doppelsinn des für: einerseits im Dienst der Versammlung, andererseits stellvertretend für die Versammlung, je nachdem, um welche Handlung es sich im Einzelnen handelt (wie im Folgenden noch zu sehen sein wird).
Trotz der großen Bemühungen durch das Konzil ist dieses Liturgie- und Rollenverständnis noch immer nicht bei allen Beteiligten angekommen: von den Hauptamtlichen bis zu denen, die nur gelegentlich zur Versammlung dazustoßen.
Architektonische Rahmenbedingungen
Einen großen Beitrag zu diesem Defizit leistet die Architektur, die über viele Jahrhunderte ein anderes Verständnis der Versammlung in Szene setzte, nämlich das schon beschriebene Gegenüber von liturgisch Handelnden und fromm Anwesenden, oder anders gesagt: Bühne und Zuschauerraum. Alte Kirchenräume verdienen es, mit ihrer Geschichte, ihrem kunsthistorischen Wert, der Augen- und Linienführung im Raum usw. ernst genommen zu werden. Sie sind aber oft ungeeignet, um Versammlung erleben und erfahren zu können.
Es wurde und wird seit einigen Jahrzehnten viel ausprobiert und wieder verworfen, umgebaut, neugebaut und wieder rückgebaut, so dass ich für dieses Buch nicht von einer typischen Gestaltung eines katholischen Liturgieraums nach dem Konzil ausgehen kann. Bei Kirchenräumen der byzantinischen Tradition – um noch einmal kurz einen Abstecher ins östliche Christentum zu machen – ist das völlig anders. Sie folgen immer derselben Raumaufteilung, ganz gleich ob man in einem winzigen Provisorium oder einer riesigen Kathedrale Liturgie