Klausurenkurs im Bürgerlichen Recht II. Ulrich Falk
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Zur Begründung einer Handlungspflicht des F kommen vorliegend zwei Ansätze in Betracht: eine allgemeine Verkehrspflicht gegenüber hilflosen Personen und eine besondere Verkehrspflicht, deren Begründung in der Dienstanweisung der S-AG liegen könnte.
aa) Allgemeine Verkehrssicherungspflicht
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Nachdem A dem F zu erkennen gegeben hatte, dass er zu weit gefahren war, ließ ihn F im Waggon sitzen, ohne sich weiter mit ihm zu beschäftigen. Als Fahrer einer Straßenbahn im öffentlichen Verkehr muss sich F um erkennbar hilfsbedürftige Personen kümmern, die sich in dieser Bahn aufhalten. Dies ergibt sich mittelbar aus der Verkehrspflicht, die originär der Betreibergesellschaft obliegt. Die S-AG betreibt einen Verkehr, bei dem sie alle entstehenden Gefahren ausschließen bzw. so gering wie möglich halten muss.[13] Diese Pflicht kann sie teilweise auf ihre Angestellten delegieren, so dass sie selbst nur noch eine allgemeine Überwachungspflicht trifft. F tritt dadurch kraft vertraglicher oder auch faktischer Übernahme in die delegierte Pflicht seines Arbeitgebers ein.
Fraglich ist, ob F diese Pflicht verletzt hat. Immerhin ist er durch die Waggons gegangen und hat den schlafenden A geweckt und angesprochen. Genau dieses Verhalten hat das OLG Köln in seiner ersten Entscheidung von einem sorgfältigen Straßenbahnfahrer gefordert.[14] Besonders nachts, wenn nur noch wenige Fahrgäste unterwegs sind, bedarf es nach Ansicht des OLG einer Kontrolle auch der hinteren Wagenteile, um festzustellen, ob Gefahrenquellen für hilflose Personen ersichtlich sind. Es sei damit zu rechnen, dass gerade betrunkene Fahrgäste nicht angemessen auf Gefahren reagieren könnten.
Im rechtlichen Ausgangspunkt bestätigte der BGH die allgemeinen Kontroll- und Überwachungspflichten von Straßenbahnfahrern.[15] Er stellte auch fest, dass eine erhöhte Aufmerksamkeit zu fordern sei, wenn eine schlafende Person an der Endhaltestelle sitzen bleibe. Wenn aber keine weiteren, konkreten Anhaltspunkte für eine gefährliche Lage ersichtlich seien, müsse der Fahrer nichts Weiteres unternehmen.
Somit ist zu prüfen, ob von F ein weitergehendes Verhalten zu fordern war. Dies wäre dann der Fall, wenn A erkennbar hilfsbedürftig war und eine gefährliche Situation als vorhersehbar betrachtet werden muss. An diesem kritischen Punkt ist auf den konkreten Sachverhalt einzugehen:
A wies eine Blutalkoholkonzentration von 2,5 Promille auf. Dies bedeutet aus medizinischer Sicht, dass bei einem nicht sehr alkoholgewöhnten Menschen bereits eine Alkoholvergiftung vorliegt. Die hochgradige Trunkenheit des A war angesichts der lallenden Sprache und allgemeinen Verhaltensweise offensichtlich. Auch hatte F einige Mühe, den A überhaupt aufzuwecken.
Ein hochgradig betrunkener und übermüdeter Mensch ist einem deutlich erhöhten Unfallrisiko ausgesetzt. In einer menschenleeren Straßenbahn kann er während der Fahrt oder beim Aussteigen leicht zu Fall kommen. Dass F den späteren konkreten Unfallhergang (Brand) möglicherweise nicht vorhersehen konnte, ist im Rahmen der Prüfung der Verkehrssicherungspflicht unerheblich.
Eine zumutbare Handlungsmöglichkeit zur Abwendung etwaiger Gefahren war verfügbar. Der Fahrer hätte den betrunkenen A auffordern können, sich mit ihm in den vordersten Wagenteil zu begeben, um ihn im Auge behalten zu können. Denkbar wäre auch gewesen, über Funk die Polizei oder den Rettungsdienst zu verständigen. An Karneval dürften Polizei und Einsatzdienste im Raum Mainz zwar überaus beansprucht sein, so dass die Erfolgsaussicht eines solchen Vorgehens womöglich zweifelhaft erscheinen könnte, dies spricht aber nicht gegen einen entsprechenden Versuch. Das alles deutet auf das Vorliegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung hin.
Andererseits war A immerhin ansprechbar. Er vermochte – wenn auch mit sichtlicher Mühe – zu reagieren. Undeutlich, aber nachvollziehbar erklärte er dem Fahrer, dass er seine Haltestelle verpasst hätte. Demnach lag es keineswegs fern, dem A weiteren Aufenthalt in der Bahn zu gewähren, bis die Rückfahrt, die in wenigen Minuten bevorstand, beginnen würde. Es lässt sich gut hören, dass die konkrete Situation nicht erkennbar gefährlich gewesen war und F davon ausgehen konnte, dass A über das Wachrütteln hinaus keiner weiteren Hilfe bedurfte. Darauf ließe sich zwar erwidern, dass zumindest die Möglichkeit bestand, dass A alsbald wieder einschlafen und wiederum bis zur Endhaltestelle weiterfahren würde. Dies würde für A jedoch keinen sonderlichen Schaden darstellen.
Eine Verletzung der allgemeinen Verkehrspflicht des A, sich um hilfsbedürftige Personen zu kümmern, kann deshalb ebenso gut bejaht wie auch verneint werden.
bb) Verkehrssicherungspflicht aus der Dienstanweisung
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Eine Haftung des F könnte sich ferner aus der Verletzung seiner speziellen Dienstpflichten aus seinem Anstellungsverhältnis ergeben. Die Dienstanweisung verlangt von den Fahrern, an der Endhaltestelle in den Waggons verbleibende Fahrgäste zum Verlassen der Bahn aufzufordern. Man kann vertreten, dass F dies nicht mit hinreichendem Nachdruck getan habe. Er hat A zwar mit einiger Mühe wachgerüttelt und auf die Endhaltestelle hingewiesen, aber nicht darauf bestanden, dass A die Bahn verlässt.
Legt man die Dienstanweisung allerdings teleologisch aus, ist fraglich, ob F im konkreten Fall tatsächlich eine entsprechende Pflicht traf. Es erscheint stattdessen fast unzumutbar, von einem Fahrgast, der seine Haltestelle „verschlafen“ hat, in einer kalten Februarnacht zu verlangen, die Bahn zu verlassen, um sie für die Rückfahrt nach wenigen Minuten erneut zu besteigen.
Im konkreten Fall könnte das sogar den strafrechtlichen Tatbestand der Aussetzung gem. § 221 StGB[16] erfüllen und wäre angesichts der Möglichkeit von Erfrierungen und anderen Verletzungen jedenfalls grob sorgfaltswidrig.
Selbst wenn man die Verletzung der Dienstanweisung bejaht, bleibt fraglich, ob die Rechtsgutsverletzung in den Schutzbereich dieser Anweisung fällt. Hierzu müsste mittels Auslegung geklärt werden, warum die Fahrgäste zum Verlassen der Straßenbahn aufgefordert werden sollen. Der BGH hat im Originalfall insoweit an das OLG zurückverwiesen, um den Sachverhalt weiter aufzuklären.[17] Das OLG Köln hat daraufhin festgestellt, dass die Anweisung der Kölner Verkehrsbetriebe, von der die hier verwendete in entscheidenden Details abweicht, auch den Schutz aller Fahrgäste vor Gefährdungen bezweckt.[18]
Die fiktive Dienstanweisung im Sachverhalt führt auf, dass Ortsunkundige auf das Erreichen der Endhaltestelle hingewiesen werden sollen. Dies trifft die vorliegende Situation offenkundig nicht. Aber auch der Fall einer missbräuchlichen Rundfahrt liegt nicht vor. A ist versehentlich eingeschlafen. Er wollte nicht über seinen Heimweg hinaus in der Bahn sitzen bleiben, wie das bei Obdachlosen der Fall sein mag, die in der kalten Jahreszeit möglichst lange in einer beheizten Straßenbahn zubringen wollen.
Die in der Dienstanweisung angesprochenen Gründe sprechen vorliegend gegen eine weite Erstreckung des Schutzbereichs. Es geht der S-AG offenbar vorrangig darum, missbräuchliches Verhalten zu verhindern. Dazu gehören neben den Rundfahrten auch Vandalismus und mutwillige Verschmutzung der Waggons. Mit einem solchen Verhalten ist zwar bei Betrunkenen grundsätzlich zu rechnen, hier geht es aber um Gefahren, denen die Betrunkenen selbst ausgesetzt sind und nicht um Beschädigungen an der Bahn. Gewichtige Gründe sprechen deshalb gegen die Annahme einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht aufgrund der Dienstanweisung.
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Hinweis zum Aufbau:
Auch wenn hier eher dazu tendiert wird, eine Verkehrssicherungspflichtverletzung