Internationales Privatrecht. Thomas Rauscher

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derzeit im Kontext kollisionsrechtlicher Regelungsbestrebungen der EU. Zwischen dem in zwei Dritteln der Mitgliedstaaten geltenden Staatsangehörigkeitsprinzip[3] und dem angelsächsischen domicile-Prinzip[4] erscheint das nur in einer Minderheit von Mitgliedstaaten geltende Wohnsitz- bzw Aufenthaltsprinzip attraktiv, weil es offenbar leichter fällt, allen bedeutenden Rechtsordnungen Europas „gleich weh zu tun“, als einen Kompromiss zu finden, der den tradierten Prinzipien nahekommt.[5] Zudem leistet die beklagenswerte Begeisterung europäischer Politik für vermeintlich integrierende Symbolhandlungen einen massiven Beitrag zur Beseitigung des Staatsangehörigkeitsprinzips, das mit Nationalismus gleichgesetzt wird. Manch „gutem Europäer“ ist anscheinend schon der Begriff der „Nation“ ein Graus und die Verdrängung des Staatsangehörigkeitsprinzips daher ein edles Ziel. Das von Charles de Gaulle stammende Wort vom „Europa der Vaterländer“ verliert sich leider zunehmend in einem diffus-zentralistischen Europa-Begriff. Jüngste Entwicklungen wie „Brexit“ und sich bildende Gräben zu den östlichen EU-Mitgliedern bestätigen, dass diese Entwicklung Europa mehr spalten als einen dürfte. Merkwürdig erscheint auch, dass mit dieser rechtspolitischen Grundeinstellung lois uniformes geschaffen werden, die zwar mit EU-Migranten argumentieren, in Deutschland jedoch überwiegend auf einige Millionen hier wohnende Nicht-EU-Bürger anzuwenden sind, deren Heimatländer überwiegend dem Staatsangehörigkeitsprinzip folgen.

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      dd) Als theoretische Basis dieser Tendenzen wird angesichts der kollisionsrechtlichen Wirklichkeit seit den 60er Jahren ein Interessenwandel behauptet, der Zweifel am Staatsangehörigkeitsprinzip nährt.

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      Historisch spielte im 19. Jahrhundert der Gedanke der Personalhoheit des Staates über seine Angehörigen eine entscheidende Rolle, die nicht die Interessen des Anknüpfungssubjekts, sondern die des Staates reflektiert. Für die Epoche der neu entstehenden Nationalstaaten in Europa lässt sich aber auch wenigstens im Grundsatz annehmen, dass die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit als Indikator der Bindung an einen Staat optimal die Interessenlage widerspiegelte.

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      ee) Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich aus höchst unterschiedlichen Gründen Bevölkerungsverschiebungen ergeben. Hierbei sind grundsätzlich drei Phänomene zu unterscheiden: Die Verschiebung von staatlichen Grenzen sowie die Dismembration von Staaten, Flüchtlingsbewegungen sowie Arbeitsmigration.

      Nach dem ersten Weltkrieg kam es zu erheblichen Grenzverschiebungen, vor allem im ehemaligen Raum der österreichisch-ungarischen Monarchie, die den Wechsel der Staatsangehörigkeit großer Bevölkerungsgruppen zur Folge hatten; in diesem Zeitraum wurde häufig durch staatsangehörigkeitsrechtliche Optionslösungen die Identifizierung des Einzelnen mit „seinem Staat“ ermöglicht, was kollisionsrechtlich die Staatsangehörigkeit weiter als taugliches Kriterium erhielt. Auch die beiden großen Dismembrationen des endenden 20. Jahrhunderts, die Auflösung der UdSSR und der SFRJ nähren keine Zweifel am Staatsangehörigkeitsprinzip; diese Dismembrationen haben Nationalstaaten (wieder-) entstehen lassen, in denen die Staatsangehörigkeit stärker als vorher identifizierender Faktor ist.

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      ff) Im Zuge des zweiten Weltkriegs kam es zu gewaltigen Vertreibungs- und Flüchtlingsströmen; Vertriebene und Flüchtlinge verloren oder behielten oft eher zufällig ihre bisherige Staatsangehörigkeit, wurden aus Staatsangehörigkeiten entlassen oder umgekehrt an ihnen festgehalten, hatten im Zeitpunkt der Flucht bereits eine andere Staatsangehörigkeit erworben, erwarben sie am Zielort ihrer Flucht oder blieben staatenlos. Diese Vorgänge setzten sich durch die aus dem damaligen Ostblock nach Westeuropa fließenden Flüchtlingsbewegungen der Nachkriegsjahrzehnte fort. Hier entwickelte sich vor allem das Phänomen der zweifelsfreien Loslösung eines Menschen von seinem bisherigen Heimatstaat: Um den vielfältigen Varianten von Staatsangehörigkeitssituationen gerecht zu werden, aber auch zur Vermeidung zeitaufwendiger Ermittlungen von staatsangehörigkeitsrechtlichen Schicksalsläufen haben Normen wie Art. 12 Genfer Flüchtlingskonvention, § 3 AsylG oder auch das Gesetz über den Güterstand von Vertriebenen und Flüchtlingen korrigierend in das Staatsangehörigkeitsprinzip eingegriffen.

      Dabei sind die Regelungen im Einzelnen unterschiedlich. Die Bestimmungen zum Personalstatut von Flüchtlingen knüpfen angesichts der staatsangehörigkeitsrechtlichen Desintegration anstelle der Staatsangehörigkeit an den Wohnsitz, später den gewöhnlichen Aufenthalt an; die Regelung zum Güterstand geht hingegen von einer neuen Integration in das deutsche Recht aus und kann diese kollisionsrechtlich durch einen Wandel des Ehegüterstatuts nachvollziehen.

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