Internationales Privatrecht. Thomas Rauscher

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      Die am 1.1.1900 in Kraft getretene Fassung des EGBGB enthält daher zahlreiche einseitige Kollisionsnormen. Solche Normen folgen zwar der Savignyʼschen Struktur, bestimmen aber das anwendbare Recht als den Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses nur dann, wenn der Sachverhalt engen Bezug zur deutschen Rechtsordnung hat. Unter der damals weitgehenden Geltung des Staatsangehörigkeitsprinzips bedeutete Einseitigkeit der Kollisionsnorm regelmäßig die Beschränkung auf Fälle, in denen das Anknüpfungssubjekt ein Deutscher war.

      Art. 24 Abs. 1 bestimmte bis 1986: „Ein Deutscher wird, auch wenn er seinen Wohnsitz im Auslande hatte, nach den deutschen Gesetzen beerbt.“

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      Allseitig ist hingegen eine Kollisionsnorm, die mit Bezug zu einem Rechtsverhältnis das anwendbare Recht aufgrund abstrakter Kriterien (Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt etc) beschreibt, ohne sich auf bestimmte Konstellationen dieses Kriteriums (zB deutsche Staatsangehörigkeit) zu beschränken. Eine allseitige Kollisionsnorm ist also auf alle denkbaren Konstellationen anwendbar.

      Art. 25 Abs. 1 idF des IPR-NeuregelungsG 1986 (Rn 176) lautete: „Die Rechtsnachfolge von Todes wegen unterliegt dem Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehört“. Ebenso allseitig bestimmt Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO: „… unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“

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      a) Da auch unter altem Kollisionsrecht Fälle vorhersehbar waren, die von einer einseitigen Kollisionsnorm nicht erfasst, dennoch aber von deutschen Gerichten zu entscheiden sein würden, wählte der Gesetzgeber ergänzend einen zwischen der einseitigen und der allseitigen Kollisionsnorm stehenden Zwischentypus, die unvollständig allseitige Kollisionsnorm. Solche (Verweisungs-)Normen bestimmten das anwendbare Recht in Fällen, in denen zwar ein Ausländer betroffen war, jedoch ein offenbarer Bezug zu Deutschland bestand.

      Art. 25 Abs. 1 (1900) bestimmte: „Ein Ausländer, der zur Zeit seines Todes seinen Wohnsitz im Inland hatte, wird nach den Gesetzen des Staates beerbt, dem er zur Zeit seines Todes angehörte.“ Art. 24 Abs. 1 und 25 Abs. 1 aF ergaben zusammen eine unvollkommen allseitige Kollisionsnorm, die sich nicht auf Ausländer mit letztem Wohnsitz im Ausland bezog.

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      b) Wo die vorhandenen einseitigen oder unvollkommen allseitigen Kollisionsnormen den zu entscheidenden Fällen nicht genügten, baute die Rechtsprechung diese zu allseitigen Kollisionsregeln aus. Diese Verallseitigung durch Fortentwicklung der in der geschriebenen Kollisionsnorm enthaltenen Idee der Schwerpunktbestimmung war deshalb nicht zweifelhaft, weil der Gesetzgeber ohne kollisionsrechtlichen Grund – aus Rücksicht auf Souveränität – auf eine allseitige Regelung verzichtet hatte.

      Das Erbstatut im EGBGB (1900) wies eine Lücke auf, wenn ein (damals zwingend gegenständlich beschränkter, § 2369 BGB aF) Erbschein für das im Inland belegene Vermögen eines mit letztem Wohnsitz im Ausland verstorbenen Ausländers zu erteilen war. Aus Art. 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 aF wurde der allseitige Grundsatz entnommen, dass jeder Mensch nach seinem letzten Heimatrecht beerbt wird, die in Art. 25 Abs. 1 (1986) kodifizierte Bestimmung galt damit durch Verallseitigung schon vorher.

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      Das Gesetz zur Neuregelung des IPR hat zum 1.9.1986 die meisten Kollisionsnormen vollständig allseitig formuliert; sie bestimmen – theoretisch betrachtet – das anwendbare Recht selbst für Fälle, die nie vor ein deutsches Gericht gelangen können.

      Art. 13 Abs. 1 beschreibt ein auf die Eheschließungsvoraussetzungen anwendbares Recht auch für die Eheschließung zweier Taiwanesen in Hongkong; das ist unter Souveränitätsgesichtspunkten völlig unschädlich, denn deutsches IPR wird als primäre Kollisionsnorm nur von deutschen Behörden und Gerichten angewendet, so dass die angemessen begrenzte internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte die formell unbegrenzte Reichweite des IPR einschränkt. Die vollständig allseitige Fassung ist aber nützlich, wenn ein ausländisches Gericht durch sein Kollisionsrecht in deutsches Recht verwiesen wird und einen Renvoi prüft (also eine Art. 4 Abs. 1 entsprechende Norm anwendet). Das deutsche IPR stellt mit seinen vollständig allseitigen Kollisionsnormen den ausländischen Richter nicht vor Probleme.

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      Dem liegt die richtige Erkenntnis zugrunde, dass IPR keine Disposition über das Recht eines anderen Staates und damit eine Berührung von dessen Souveränität bedeutet, sondern lediglich den Ausgleich privater Interessen an der Anwendung des sachnächsten Rechts. Soweit deutsche Gerichte und Behörden eine Rechtssache zu entscheiden haben, also international zuständig sind (was übrigens nur in sehr weiten Grenzen am Völkerrecht zu messen ist), kann in der Auswahl des anzuwendenden Rechts kein Hoheitseingriff liegen.

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      Auch nach der Reform von 1986 enthält das Kollisionsrecht im EGBGB noch Bestimmungen, deren Tatbestand den Inlandsbezug voraussetzt (Art. 17 Abs. 1 S. 2 aF: deutsche Staatsangehörigkeit und Scheidungsstatut, Art. 9 S. 2: Todeserklärung von Ausländern im Inland; Art. 13 Abs. 3 S. 1: Form der Eheschließung im Inland; Art. 17a: im Inland belegene Ehewohnung). Die zum alten Kollisionsrecht überwiegend vorzunehmende Verallseitigung ist bei diesen Normen regelmäßig nicht mehr zulässig; der Gesetzgeber hat solche Bestimmungen zumeist bewusst als Sonderkollisionsrecht für deutsche Staatsangehörige oder sonstige Inlandsbezüge aufgenommen (vgl auch Rn 187 „Exklusivnormen“). Besonders deutlich wird dies dann, wenn die jeweilige Kollisionsnorm keine Lücken lässt, sondern neben eine vollkommen allseitige tritt und dadurch ihren Ausnahmecharakter deutlich macht, der eine Verallseitigung verbietet.

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      Art. 9 S. 1 regelt die Anknüpfung der Todeserklärung allseitig, S. 2 erleichtert die Todeserklärung im Inland, wenn ein berechtigtes Interesse besteht. Art. 17 Abs. 1 S. 1 aF bestimmte allseitig ein reguläres Scheidungsstatut, S. 2 bewahrte in Hinblick auf die von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Eheschließungsfreiheit den deutschen Ehegatten vor einer erschwert scheidbaren oder unscheidbaren Ehe.

      Eine ausnahmsweise verallseitigungsfähige einseitige Kollisionsnorm ist Art. 7 Abs. 2: Obgleich der Gesetzgeber 1986 die Verallseitigung versäumt hat, kommt in der Bestimmung weiterhin der Rechtsgedanke zum Ausdruck, dass der Wechsel des Personalstatuts die Rechtsfähigkeit oder Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen nicht beseitigt. Art. 7 Abs. 2 gilt also auch für den Wechsel zwischen zwei ausländischen Staatsangehörigkeiten.

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