Internationales Privatrecht. Thomas Rauscher

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      Gössl Die Vorfrage im Internationalen Privatrecht der EU, ZfRV 2011, 65; Henrich Die Wirksamkeit der Adoption als Vorfrage der Namensführung des Adoptierten, IPRax 1998, 96.

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      1. Die Beantwortung einer Vorfrage nach der lex causae ähnelt der Beantwortung nach der lex fori. Es wird ohne Zwischenschaltung eines IPR die Vorfrage dem materiellen Recht unterstellt, das auf die Hauptfrage anwendbar ist.

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      2. Diese Methode der Anknüpfung – oder besser Nichtanknüpfung – der Vorfrage ist abzulehnen. Sie fördert weder den inneren noch den internationalen Entscheidungseinklang, denn die Vorfrage wird weder nach der aus deutscher noch der aus fremder Sicht „richtigen“ Rechtsordnung beantwortet.

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      3. Hiervon zu unterscheiden sind Fälle, in denen wir ausnahmsweise eine Vorfrage unselbständig an das IPR der lex causae anknüpfen (Rn 515 ff) und dabei feststellen, dass dort die Vorfrage nach eigenem Recht behandelt wird (vgl Rn 504). Dem schließen wir uns an, jedoch nicht, weil wir die Vorfrage lege causae behandeln, sondern weil die lex causae so anknüpft.

      Ein Kind eines Italieners und einer Deutschen, die nicht verheiratet sind, lebt mit seinen Eltern in Italien. Für die Feststellung der Abstammung verweist Art. 19 Abs. 1 in italienisches Recht. Art. 35 Abs. 1 italIPRG knüpft die Anerkennung an das Heimatrecht des Kindes zur Zeit der Geburt an. Fraglich ist also die Staatsangehörigkeit des Kindes. Art. 1 Abs. 1 lit. a des italienischen Staatsangehörigkeitsgesetzes (Legge 91/1992) bestimmt, dass ein Kind die italienische Staatsangehörigkeit erwirbt, wenn Vater oder Mutter Italiener ist, Art. 2 bestimmt, dass die Anerkennung oder gerichtliche Feststellung der Vaterschaft während der Minderjährigkeit des Kindes den Staatsangehörigkeitserwerb vermittelt. Die Abstammung vom Vater ist damit Vorfrage der italienischen Staatsangehörigkeit. Wir knüpfen sie ausnahmsweise unselbständig an. Das italienische Staatsangehörigkeitsrecht geht aber von einer Abstammung aus, die nach dem codice civile wirksam besteht, wendet also eigenes materielles Familienrecht an. Wir folgen dem und bestimmen die Abstammung anknüpfungslos nach dem codice civile.

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      1. Als „hinkend“ werden Statusverhältnisse (oder Rechtsverhältnisse) bezeichnet, die aus Sicht wenigstens einer Rechtsordnung wirksam und aus Sicht wenigstens einer anderen Rechtsordnung unwirksam sind.

      Eine in Deutschland privat geschlossene Ehe eines Marokkaners mit einer Algerierin ist aus deutscher Sicht mangels Wahrung der Ortsform (Art. 13 Abs. 3) nicht existent (Nichtehe); aus marokkanischer und algerischer Sicht voll wirksam (übrigens auch aus Sicht vieler europäischer Staaten, weil aus deren Blickwinkel die Ehe im Ausland geschlossen wurde und hierfür verbreitet die Wahrung der beiden Heimatrechte der Verlobten genügt).

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      2. Tauchen solche Rechtsverhältnisse als Vorfragen im Tatbestand einer deutschen oder ausländischen Norm auf, so setzt sich die hinkende Wirksamkeit in den Rechtsfolgen fort: Nach dem Grundsatz der selbständigen Vorfragenanknüpfung wird das Rechtsverhältnis nicht nur bei abstrakter Prüfung seiner Wirksamkeit, sondern auch als Vorfrage aus der Sicht des deutschen Kollisionsrechts behandelt; es ist also auch als vorgreifliches Rechtsverhältnis unwirksam oder wirksam, je nachdem, ob es aus deutscher Sicht sein „hinkendes“ oder sein „gesundes Bein“ hat.

      Eine Ehe, die aus deutscher Sicht unwirksam ist, wird auch als Vorfrage im Ehewirkungs-, Ehegüter-, Unterhalts-, Kindschafts-, Scheidungs- und Erbstatut als unwirksam behandelt und umgekehrt.

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      3. Wenn das Statusverhältnis aus deutscher Sicht besteht, so kommt eine Korrektur nicht in Betracht.

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      a) Die selbständige Vorfragenanknüpfung schützt in diesem Fall das Vertrauen in die Beständigkeit des Rechtsverhältnisses, auch wenn dieses nach dem Heimatrecht, dem Erbstatut, dem Ehegüterstatut etc nicht als wirksam angesehen wird. Die externe Entscheidungsdisharmonie im Verhältnis zu den Rechtsordnungen, die das Statusverhältnis nicht als wirksam anerkennen und deshalb aus ihm auch keine Rechte und Ansprüche herleiten, wird hingenommen.

      Ist eine Ehe (nur) in Deutschland wirksam, so haben die Ehegatten Anspruch auf Unterhalt, beerben einander etc. Will einer der „hinkenden Ehegatten“ erneut heiraten, so muss die Ehe geschieden werden, auch wenn sie etwa nach dem Heimatrecht des Eheschließungswilligen nicht existiert; enthält dieses Heimatrecht nämlich das Verbot der Bigamie, so ist die Vorfrage der bestehenden Ehe selbständig mit dem deutschem IPR anzuknüpfen; enthält es das Verbot der Bigamie nicht, so steht einer weiteren Eheschließung in Deutschland meist der deutsche ordre public entgegen.

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      b) Dabei kann es allerdings zu Widersprüchen kommen, wenn das auf die Rechtsfolgen aus einem (nur) in Deutschland wirksamen Statusverhältnis oder für dessen Gestaltung anwendbare Recht das Rechtsverhältnis nicht für wirksam hält. Es erscheint wenig sinnvoll, die Rechtsfolgen einer Ehe oder eines Kindschaftsverhältnisses nach einer solchen Rechtsordnung zu beurteilen. Daher wird in solchen Fällen teilweise deutsches Recht als lex fori angewendet. Für diese „Unterstellung der Hauptfrage unter das Statut der Vorfrage“ spricht, dass das deutsche Recht, wenn es ein Statusverhältnis entgegen dem Hauptstatut für wirksam erachtet, sich auch um dessen Folgen kümmern sollte.

      531

      c) Die Anwendung der das Rechtsverhältnis für wirksam haltenden deutschen lex fori auch auf die Hauptfrage ist jedoch nicht immer geeignet, um die Widersprüche zu der das Statusverhältnis als unwirksam behandelnden lex causae aufzulösen. Wenn Rechtsfolgen nicht aus dem Zusammenhang der lex causae gelöst werden können, ohne dass wiederum dort Widersprüche auftreten, erscheint es besser, es bei der selbständigen Vorfragenanknüpfung bewenden zu lassen und nicht die Sachrechte der Hauptfrage zu mischen, anstatt auf einen schwer trennbaren Lebenssachverhalt verschiedene Rechtsordnungen anzuwenden, die sich widersprechen.

      Ist Erbstatut eine Rechtsordnung, welche die Ehe für unwirksam hält, so ist es

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