Besonderes Verwaltungsrecht. Mathias Schubert
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In der Literatur wurde so bereits von einem Umbruch im deutschen Kommunalrecht hin zu „plebiszitären Bürgermeisterverfassungen“[12] und von „Verfassungssynkretismus“[13] gesprochen.
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Insbesondere in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, die früher der Norddeutschen Ratsverfassung folgten, haben sich zahlreiche Veränderungen ergeben:
– | Die sog. Doppelspitze wurde abgeschafft. Als kommunaler Wahlbeamter ist nunmehr ein hauptamtlicher Bürgermeister (Rn 162 ff) verantwortlich für die Leitung und Beaufsichtigung des Geschäftsgangs der gesamten Verwaltung (§§ 80 V, 85 NKomVG, hier mit dem Sammelbegriff „Hauptverwaltungsbeamtin“ bzw „Hauptverwaltungsbeamter“ bezeichnet; § 62 I 1, 2 GO NRW). Der Bürgermeister, der in NRW zugleich jeweils den Vorsitz in Rat und Hauptausschuss innehat (vgl §§ 40 II 4, 57 III 1 GO NRW), wird von den Bürgern unmittelbar auf die Dauer von fünf (NRW) bzw acht (Nds.) Jahren nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl gewählt (§ 80 I 2 NKomVG; § 65 I GO NRW). Durch die Maßgabe, dass diese Wahl zeitgleich mit der Wahl des Rates zu erfolgen hat, könnte zudem die Einheitlichkeit der politischen Führung der Gemeinde signalisiert werden. Der Bürgermeister erhält ehrenamtliche Stellvertreter, die ihn bei der Leitung der Ratssitzungen und bei der Repräsentation vertreten und vom Rat aus seiner Mitte gewählt werden (§ 81 II, III NKomVG; § 67 I GO NRW)[14]. Der Bürgermeister kann auch wieder abgewählt werden (vgl § 82 NKomVG; § 66 GO NRW). |
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– | Mit dem sog. Verwaltungsvorstand (vgl § 70 GO NRW) wurde in NRW ein neues Gremium institutionalisiert, bestehend aus Bürgermeister, hauptamtlichen Beigeordneten und dem Kämmerer, das an die Stelle der früher (auf der Grundlage von § 52 GO NRW aF) vielfach üblichen Beigeordneten- oder Dezernentenkonferenz getreten ist. Ihm wird mangels eigenständiger Entscheidungsbefugnisse die Organqualität abgesprochen[15]. Unter dem Vorsitz des Bürgermeisters, der auch bei Meinungsverschiedenheiten entscheidet, wirkt der Verwaltungsvorstand beratend insbesondere mit bei – den Grundsätzen der Organisation und der Verwaltungsführung, – der Planung von Verwaltungsaufgaben mit bes. Bedeutung, – der Aufstellung des Haushaltsplans, – den Grundsätzen der Personalführung und Personalverwaltung. |
Insofern wurden hier gewisse Elemente der Magistratsverfassung appliziert.
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– | Der in Niedersachsen bestehende Hauptausschuss (§§ 74 ff NKomVG) ist hingegen kein Produkt der Reformentwicklungen, sondern als „Zwischenorgan“ eine niedersächsische Besonderheit mit langer Tradition. Er besteht aus dem Hauptverwaltungsbeamten und den aus der Mitte der Ratsfrauen und Ratsherren gewählten „Beigeordneten“. Seine Kompetenzen liegen in der Vorbereitung der Ratsbeschlüsse und bei der Entscheidung über eine Reihe wichtiger Gemeindeangelegenheiten, zB bei der Vergabe öffentlicher Aufträge[16]. Zudem ergibt sich aus § 76 II NKomVG eine Auffangzuständigkeit des Hauptausschusses für alle Angelegenheiten, in denen andere Kommunalorgane unzuständig sind. |
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– | In nahezu allen Gemeindeordnungen wurden die Mitspracherechte der Bürger erweitert. Dies gilt nicht nur für die Urwahl des Bürgermeisters, sondern auch für die Einfügung zusätzlicher plebiszitärer Elemente (s. oben Rn 107) wie – den Einwohnerantrag, durch den der Rat zur Beratung und Entscheidung einer bestimmten Frage gezwungen werden kann (o. Rn 113), – Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, durch die in Gemeindeangelegenheiten an Stelle des Rates entschieden werden kann (o. Rn 108 ff), – regelmäßige Erörterungsmöglichkeiten aktueller Planungen und Vorhaben im Rahmen von Einwohnerversammlungen (o. Rn 114) und für die Ausweitung der Zuständigkeiten der Bezirksvertretungen (vgl § 37 GO NRW) und Stadtbezirksräte (§§ 90 ff NKomVG). |
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– | Die Regelungen des Kommunalwirtschaftsrechts wurden novelliert (dazu unten Rn 288 ff) und die Vorgaben des Haushaltsrechts modifiziert. So ist in fast allen Ländern die Möglichkeit eröffnet worden, kommunale Unternehmen in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts zu führen (vgl Art. 89 ff bay.GO; §§ 141 ff NKomVG; § 114a GO NRW – u. Rn 308). Auch in NRW ist die Genehmigungspflicht für die Haushaltssatzung entfallen, das Instrument des Haushaltssicherungskonzepts (vgl § 75 IV GO NRW) aber beibehalten worden. In MV und Nds. ist die Haushaltssatzung der Aufsichtsbehörde „vorzulegen“, die Teile der Haushaltssatzung, zB Kassenkredite ab einer bestimmten Höhe, genehmigen muss (vgl §§ 48 f m.v.KVerf.; §§ 114, 119 ff NKomVG). |
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– | In mehreren Ländern gestattet eine Experimentierklausel[17] (zB Art. 117a bay.GO, § 129 GO NRW) die Erprobung neuer kommunaler Steuerungsmodelle, die im Kern eine Übernahme von Unternehmensstrukturen in die Kommunalverwaltung verfolgen[18], indem sie eine Freistellung von organisations- und haushaltsrechtlichen Vorschriften ermöglichen. Einen etwas anderen Ansatz verfolgt das nds. Modellkommunen-Gesetz, durch das ausgewählte nds. Kommunen von der Bindung an eine Reihe landesrechtlicher Vorschriften befreit werden, um „bürokratische Hemmnisse“ abzubauen[19]. |
3. Zum Gewicht politischer Parteien
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Es liegt auf der Hand, dass die Kompetenzverteilung auf die einzelnen Gemeindeorgane nach Maßgabe der jeweiligen Landesvorschriften nicht unbeträchtliche Divergenzen aufweist. Besondere Betonung verdient jedoch, dass bei allen Organisationsformen für die verfassungsgeforderte demokratische Legitimation der zu treffenden Entscheidung (vgl oben Rn 81) hinreichende Vorsorge getroffen ist. Hieraus ergibt sich wiederum, dass die herausragende Stellung der politischen Parteien[20] bei der politischen Willensbildung auch und gerade auf der kommunalen Ebene durchschlägt.
So kann sich aus dem in Art. 21 I, 3 I GG gewährleisteten Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien eine Pflicht des Gesetzgebers und ein entsprechender Anspruch zu diesem Zeitpunkt am Verfassungsleben beteiligter politischer Parteien ergeben, eine die Chancengleichheit berührende Norm des Wahlrechts zu überprüfen und ggf zu ändern[21].
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