BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil. Harm Peter Westermann
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3. Der gesetzliche Rahmen der Vertragsfreiheit im BGB
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Die Vertragsfreiheit wird im BGB nur innerhalb der gesetzlichen Vorgaben gewährt. Dazu gehören beispielsweise Formvorschriften, deren Missachtung in der Regel zur Nichtigkeit der Verträge führt (vgl § 125).[31] Weitere wichtige Rahmenbedingungen ergeben sich aus den §§ 134, 138 und 242. Allgemeine Geschäftsbedingungen unterliegen zudem einer weitgehenden Kontrolle nach den §§ 305 ff. Im Bereich des Verbrauchervertragsrechts, in dem die regulative Perspektive klar im Vordergrund steht, ist die Vertragsinhaltsfreiheit jenseits der Hauptleistungspflichten nahezu bedeutungslos.[32] Ähnliches gilt für das Arbeitsvertragsrecht und das Wohnraummietrecht. Viele weitere Voraussetzungen der Vertragsfreiheit sind im besonderen Schuldrecht zu finden. So ist die Vertragsinhaltsfreiheit im Kaufrecht etwa durch Regelungen zu Gewährleistungsausschlüssen schwach ausgeprägt (vgl etwa §§ 444, 476). Dazu treten viele weitere Rahmenbedingungen in Spezialgesetzen, wie etwa der Gebührenordnung für Ärzte, die Preise nur in sehr engen Grenzen frei vereinbaren können. Im Gemeinwohlinteresse bestehen außerdem zahlreiche Kontrahierungszwänge, die die negative Vertragsfreiheit ausschließen.[33]
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Man kann die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Vertragsfreiheit auch als „Grenzen der Vertragsfreiheit“ oder „Schranken der Vertragsfreiheit“ bezeichnen. Das ist eine durchaus übliche Terminologie.[34] Rhetorisch rufen die Bilder von „Grenzen“ und „Schranken“ freilich Assoziationen hervor, aus denen sich eine Rechtfertigungslast ergibt. Das ist durchaus gewollt: Gesetzliche Rahmenbedingungen der Vertragsfreiheit werden als rechtfertigungsbedürftiger „Eingriff“ in die Vertragsfreiheit „als solche“ gesehen. Analytisch ist das Bild jedoch irreführend: Denn die Rahmenbedingungen der Vertragsfreiheit sind kein Eingriff in eine abstrakte Freiheit „als solche“, die zuvor unberührt bestand. Sie verteilen vielmehr spezifische Freiheitsbefugnisse. Die Vertragsfreiheit als Prinzip sagt nichts über konkrete einzelne Befugnisse aus, die das Recht uns zuschreibt und denen logisch zwingend korrelierende Pflichten gegenüberstehen. Das Recht verteilt diese Befugnisse, so dass manchem mehr, manchem weniger Handlungsspielräume zukommen. Das zeigen Kontrahierungszwänge deutlich, die sich regelmäßig nur an eine bestimmte Personengruppe richten und damit spezielle Akteure im Wirtschaftsleben in den Blick nehmen. So verpflichtet das AGG die Clubbetreiberin, Menschen nicht wegen ihrer Hautfarbe von der Tür zu weisen.[35] Darin liegt eine Einschränkung der Freiheitsbefugnisse der Clubbetreiberin. Zugleich – und logisch zwingend – werden damit Freiheitsbefugnisse auf Seiten der betroffenen Menschen erhöht. Freiheitsaspekte werden durch die Regeln, innerhalb derer die Vertragsfreiheit wirkt, also immer (und fortlaufend) neu verteilt. Die entscheidende Frage ist stets, welche spezifischen Freiheitsbefugnisse begrenzt werden sollen oder nicht. Konkrete Antworten auf diese Fragen werden im politischen und juristischen Diskurs gegeben.
4. Praktische Bedeutung der Vertragsfreiheit
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Die Bedeutung der Vertragsfreiheit in der rechtlichen Praxis darf nicht überschätzt werden. Ihre Erklärungskraft für konkrete Rechte und Pflichten ist in der Praxis der Rechtsanwendung eher gering. Oft ist es auch schwierig, den vertraglich vereinbarten Willen zu ermitteln. Vertragsvereinbarungen sind oft lückenhaft oder unklar. Wenn der Vertragsinhalt durch (einfache) Auslegung nach §§ 133, 157 nicht zu ermitteln ist, kann die sog „ergänzende Vertragsauslegung“ erforderlich werden. Sie hat mit Vertragsfreiheit im Sinne der auf den wirklichen Parteiwillen ausgerichteten Privatautonomie aber nicht mehr viel zu tun: Bei der ergänzenden Vertragsauslegung entscheiden Richterinnen nach objektiven Gerechtigkeitskriterien.[36] Dabei wird zwar berücksichtigt und fortgedacht, was die Parteien vereinbart haben. Der als Maßstab eingesetzte „hypothetische“ Parteiwille ist aber eben dies: hypothetisch. Was die Parteien wirklich gewollt hätten, kann man nur vermuten; vielleicht hätten sie je unterschiedliche Inhalte gewollt und sich gar nicht geeinigt. Dazu kommt, dass Vertragsfreiheit „frei“ vereinbarte Inhalte voraussetzt. Über die Voraussetzungen dafür gibt uns die Vertragsfreiheit selbst keine Antworten. Wir sind insoweit vielmehr auf außerhalb des Parteiwillens liegende, heteronome Wertungsgesichtspunkte angewiesen.[37]
Teil I Grundlagen › § 1 Ziele und Prinzipien des Schuldrechts › IV. Der Grundsatz der Gleichbehandlung
1. Gleichbehandlung als Rechtsprinzip des allgemeinen Schuldrechts
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Ein weiteres Prinzip des allgemeinen Schuldrechts ist der Grundsatz der Gleichbehandlung. Er hat vor allem im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) einen zentralen Niederschlag gefunden. Auch außerhalb des AGG ist Gleichbehandlung in vielen Bereichen ein leitendes Rechtsprinzip. Ein Beispiel bietet der zumindest teilweise normierte (vgl §§ 612a BGB, 75 Abs. 1 BetrVG) arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz.[38]
2. Diskriminierungsschutz durch das AGG
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Das AGG gewährt in Umsetzung von vier EU-Richtlinien[39] Schutz gegen Diskriminierungen. Es betrifft trotz der vielen Anwendungsfälle in diesem Bereich nicht nur das Arbeitsrecht, sondern ist auch für das allgemeine Vertragsrecht äußerst bedeutsam.[40] Das AGG ist ein besonders klarer Ausdruck der Verteilungsgerechtigkeit im Schuldrecht: Es verlangt, die jeweiligen sozialen Kontexte zu berücksichtigen und lenkt den Blick weg von den „abstrakten“ Figuren des Schuldners und des Gläubigers hin zu ihren konkreten Eigenschaften (etwa deren Geschlechtsidentität oder Religion). Vertragsrecht wird durch die Normen des AGG als Regulierungsinstrument eingesetzt, das dazu beitragen kann und soll, Menschen vor Diskriminierungen zu schützen.
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Viele Privatrechtswissenschaftler haben das AGG stark kritisiert: Es führe zum „Tod der Privatautonomie“[41], manche hörten gar für das ganze Privatrecht das „Totenglöcklein“[42] läuten. Die Autoren kritisieren damit letztlich eine konkrete Verteilung von Freiheitsbefugnissen zugunsten der Diskriminierten, üben also eine rechtspolitische Kritik. Aber für diese Verteilungsentscheidung des Gesetzgebers sprechen gute Gründe: Auch das Privatrecht kann zu einer inklusiven Gesellschaft und gelebter Toleranz anderen gegenüber beitragen.[43]
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