Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? - Charlotte Schmitt-Leonardy страница 10
![Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? - Charlotte Schmitt-Leonardy Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? - Charlotte Schmitt-Leonardy Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht](/cover_pre1014685.jpg)
18
Der strafrechtliche Gesetzgeber scheint die Begriffe „Betrieb“ und „Unternehmen“ also nur teilweise synonym zu verwenden, im Wesentlichen aber keine einheitliche Linie zu verfolgen. Anders die Literatur, die eine allgemein akzeptierte Definition[27] des Begriffs „Unternehmen“ hervorbrachte, die auf dem allgemeinen Sprachverständnis, dass ein „Unternehmen“ stets ein „Mehr“ als der „Betrieb“ darstellt, beruht.[28] Nach überwiegender Ansicht[29] ist hier also ein Betrieb oder Unternehmen eine planmäßig und meist auch räumlich zusammengefasste Einheit mehrerer Personen und Sachmittel zur Erreichung des auf eine gewisse Dauer gerichteten Zwecks, Güter oder Leistungen materieller oder immaterieller Art hervorzubringen oder zur Verfügung zu stellen. Ein Unternehmen kann mehrere Betriebe erfassen. Das Unternehmen wird also überwiegend als die rechtlich-wirtschaftliche Einheit verstanden, während der Betrieb die technisch-organisierte Einheit darstellt.[30] Der Unternehmensbegriff ist also aus strafrechtlicher Perspektive rechtsformübergreifend und auch nicht auf eine bestimmte Organisationsform beschränkt. Er ist weit gefasst, an das wirtschaftsrechtliche Verständnis angelehnt und umfasst sämtliche kaufmännischen und nicht kaufmännischen Gewerbebetriebe, den gesamten Bereich der Urproduktion sowie den der freien Berufe. Keine Unternehmen sind danach private Haushalte, die gesamtwirtschaftlichen Verbraucher und die Träger von hoheitlicher Gewalt im Rahmen ihrer Ausübung.[31]
19
Unternehmen sind also zuvörderst selbstständige Produktionseinheiten. Damit begreift dieser Ansatz Unternehmen als Einrichtung, die als solche eine bestimmte gesamtwirtschaftliche Aufgabe, nämlich die Gütererzeugung, erfüllen kann. Gerade in dieser Definition tritt die Unterscheidung zwischen dem Subjekt Unternehmensträger und dem Objekt, also dem im handelsrechtlichen Unternehmensbegriff erfassten Konglomerat aus Sachen, Rechten und sonstigen Beziehungen, in den Hintergrund und ermöglicht eine selbstständige Bedeutung, aber auch eine selbstständige Verantwortung des Unternehmens.[32] Das Unternehmen als „sozialer Verband, der in ihm durch Kapitalbeiträge oder personalen Leistungen kooperierenden Rechtssubjekte und als Institution der Wirtschaftsverfassung“[33] wird in eine rechtlich bedeutsame Position gehoben, ohne dabei die Position der Rechtsträger zu berühren. Diese, ursprünglich wirtschaftsrechtliche, Überlegung soll für das Strafrecht unter der Prämisse gelten, dass der Verhaltensbefehl an die jeweiligen Rechtsträger durchgeleitet wird.[34]
20
Das Strafrecht entfernt sich also bereits in seiner Begriffsbildung um einen Schritt vom Zivilrecht, das das Unternehmen als Gegenstand des rechtsgeschäftlichen Verkehrs kennt. Denn zum einen lässt es begrifflich die Möglichkeit des Unternehmens als Rechtssubjekt zu, es gibt zudem aber auch einer wirtschaftlichen Einheitsbetrachtung den Vorzug, die beispielsweise im Sachenrecht nur sehr begrenzt möglich erscheint.[35] Dem ist auch, unabhängig von noch zu erörternden Fragen der Normadressateneigenschaft oder der Tauglichkeit als Strafrechtsperson,[36] zuzustimmen. Im Hinblick auf den Gegenstand vorliegender Untersuchung erschiene es nämlich durchaus problematisch, den Unternehmensbegriff auf ein gegenständliches Substrat wie z. B. das Unternehmensvermögen zu reduzieren. Abgesehen von den erörterten Andeutungen durch Gesetzgeber, Rechtsprechung und Literatur, die auf die Rezeption des Unternehmens als „wesensmäßige Gesamtheit“[37] und Rechtssubjekt im Strafrecht schließen lassen, fehlt diesem Begriff noch die entscheidende Kontur. Die dargestellte praxisorientierte, den Bedürfnissen des Wirtschaftsrechts angepasste Definition umgeht nämlich beispielsweise die bedeutsame Frage, ob das Wesen der Korporation die bloße Addition der Einzelmitglieder ist oder ein sich davon abhebendes eigenständiges Gebilde darstellt. Inwiefern Struktureigenschaften des Unternehmen, die vom Wechsel ihrer Mitglieder unabhängig sind, eine Rolle spielen und ob das Unternehmen in seiner „realen“ – also nicht nur normativ fingierten – Existenz als Adressat von strafrechtlichen Pflichten innerhalb der Rechtsgemeinschaft anzusehen ist, wird also Gegenstand weiterer Überlegungen sein; hierbei wird auch die gesamtwirtschaftliche Funktion des Unternehmens eine Rolle spielen.[38] Relevant wird zudem, inwieweit die „funktionalen Grenzen der Organisationsmodelle Hierarchie und Vertrag“[39] die im Gesellschaftsrecht unverzichtbar sind, um über die Leitungs-, Kontroll- und Mitbestimmungsbefugnisse zu entscheiden, für das Strafrecht eine Rolle spielen. Es ist offensichtlich, dass schon die Haftungsfrage anders zu beurteilen ist, je nachdem, ob ein gefährliches Produkt durch ein Vertragsnetzwerk, durch einen korporativen Akteur Unternehmen oder durch eine ausgegliederte, schwach kapitalisierte Tochtergesellschaft verursacht wird; dies gilt erst recht für strafrechtliche Folgerungen. Für die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit wird bedeutsam sein, inwiefern die „Eigentümer“ – also die Anteilseigner – einzubeziehen sind,[40] ob ein „System“ aus sich heraus auf die Unternehmensmitglieder wirken kann, inwiefern bestimmte Unternehmensmechanismen überhaupt beherrschbar sind und welchen Zwängen das Unternehmen als korporativer Akteur bzw. seine Mitglieder unterliegen. Wird das Unternehmen – wie bislang von der Rechtsprechung[41] – als hierarchisch-strukturierte Einheit mit regelhaften Abläufen verstanden, leiten sich hieraus andere Prämissen ab als von der Vorstellung einer heterarchen oder flexiblen Struktur.
21
An dieser Stelle ist somit festzuhalten: Lediglich der Begriff Unternehmen stellt einen geeigneten sprachlichen Kontext für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand dar. Mit ihm wird deutlich, dass ein Tat- und nicht nur ein Täterstrafrecht Bezugsrahmen ist und entsprechend der topos der Wirtschaft(skriminalität) entscheidende Bedeutung gewinnen kann; die Begriffe Kollektiv[42] und Verband[43] erwiesen sich insofern als untauglich. Der Begriff Unternehmen trägt aber auch dem Gedanken Rechnung, dass die Gründe, die für oder gegen eine Unternehmensstrafe sprechen, mitunter in der spezifischen Differenz zwischen Verband und Mensch liegen; ein Umstand, der über den Begriff „juristische Person“ nicht zu erfassen ist. Schließlich ist der begriffliche Rahmen weit genug, um unterschiedliche Kriminalitätsfaktoren in die Untersuchung einzubeziehen, denn als große Produktionsstätte und wirtschaftlicher Kontext kann das Unternehmen auf den einzelnen neutralisierend wirken ebenso wie es als Organisationseinheit dem Einzelunternehmer entgleiten kann oder als Wirtschaftsakteur womöglich selbst kriminogen wirkt. Die Konturen des Begriffes wurden aber bislang lediglich skizziert, die Schattierungen werden im Laufe der folgenden Überlegungen zu erarbeiten sein.[44]
Anmerkungen
In Eser/Heine/Huber Criminal Responsibility of Legal and Collective Entities ist der Titel jedoch ganz offenbar im Hinblick auf die unterschiedlichen Herangehensweisen der verschiedenen Rechtsordnungen mit Bedacht gewählt.
Schünemann in: Deutsche Wiedervereinigung (I), S. 129 (129 ff.).
So der österreichische Entwurf der Unternehmenshaftung in § 1 Abs. 2 ÖVbVG „Verbände im Sinne dieses