Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy
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Zu klären ist zunächst, was im Recht unter „Unternehmen“ verstanden wird. Einen ersten Anhaltspunkt bietet hier die zivilrechtliche Dogmatik, die die Abgrenzung der Begriffe juristische Person, Verband und Unternehmen bereits ausführlich thematisiert.[7] Eine allgemeingültige Definition hat sich jedoch auch hier nicht herausgebildet.[8] Es besteht lediglich Einigkeit darüber, dass der Begriff im jeweiligen Normzusammenhang zu interpretieren[9] ist und im Kern drei wesentliche Merkmale des Unternehmens herausgearbeitet werden können: ein Mindestmaß an sachlichen und persönlichen Mitteln, ein Mindestmaß an organisierter Einheit und das äußere Auftreten am Markt.[10]
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Das „Unternehmen an sich“ galt bislang lediglich als Rechtsobjekt, jedoch mehren sich die Ansätze, die es als „soziale Realität“ und Rechtssubjekt in Betracht ziehen,[11] als „weitgehend vollzogene Loslösung des Unternehmens von seinen Anteilseignern“ oder als „volkswirtschaftliche Größe“ erwägen. Dies schien zunächst zur Klärung der begrifflichen Frage und ohne Differenzierung von juristischer Person, Unternehmensträger und Unternehmen zu erfolgen, jedoch „vergegenständlichte“ dieser Diskurs die „Trennung von Kapital und Herrschaft [als] unmittelbarer Ausdruck der gewandelten Machtverhältnisse“ – vor allem bezüglich der Aktiengesellschaft – und führte Rathenaus Gedanken vom modernen Großunternehmen letztlich weiter.[12]
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Das „Unternehmen an sich“ zu thematisieren bedeutet zum ersten Mal das Anknüpfen an das soziale Phänomen und nicht lediglich an die rechtliche Einheit juristische Person. Und dies nicht aufgrund einer, für die kriminologischen Überlegungen interessanten, phänomenologischen Herangehensweise. Grund hierfür ist vielmehr, dass juristische Personen – solange es sich um Verbände handelt – grundsätzlich[13] einen Verbandszweck verfolgen, der im Betreiben eines Unternehmens liegen kann.[14] Das Spannungsverhältnis zwischen dem für das Handelsrecht traditionell bedeutsamen Gewerbe, in dem das Kaufmannsrecht entscheidend war, und dem modernen Außenprivatrecht, das im Handels- und Gesellschaftsrecht gespiegelt wird, prägt die Begriffsbildung. Es wird versucht die soziale Realität des Unternehmens als wirtschaftliche und soziale Einheit abzubilden, wenn die Integration der organisatorischen Elemente als selbständige, anbietende und entgeltliche rechtsgeschäftliche Tätigkeit am Markt, die sich durch Planmäßigkeit und Ausrichtung auf Dauer auszeichnet, Definitionskern wird.[15]
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Allerdings ist diese Definition für das Handelsrecht problematisch, denn hier spielt insbesondere – und anders als im Konzern-, Arbeits- und womöglich auch Strafrecht – die Bewertung innerer Strukturen und Vorgänge eine dominante Rolle. Trotz der im Zivilrecht zu beobachtenden Entwicklung, die soziale und sogar politische Dimension der Unternehmen zu berücksichtigen, ist die Rechtsfähigkeit dieser Einheit hier elementar. Zwar wird auch auf der abstrakten Ebene der Rechtsfähigkeit kontrovers diskutiert, ob diese ungeteilt und umfassend begründet werden muss oder eine gestufte Zurechnungsfähigkeit und damit relative Rechtsfähigkeit begründbar ist. Jedoch hat sich die Notwendigkeit eines eindeutig bestimmbaren und rechtsfähigen Unternehmensträgers als Bezugspunkt durchgesetzt. Notwendig ist dies vor allem, weil eine wirtschaftliche Betrachtungsweise stets dem Vorwurf der weichen Abgrenzung oder gar Willkür aufgrund der Konturlosigkeit ihrer Definition ausgesetzt ist und eine Abgrenzung der nach außen auftretenden Entität zur nicht-rechtsfähigen Innengesellschaft nicht geleistet werden kann. Dies ist jedoch relevant, weil der zivilrechtliche Verband auf der Grundlage gegenseitiger Schuldverhältnisse im Innenverhältnis funktioniert, die zwar darüber hinaus einem Verbandszweck dienen und daher eine Verbandsstruktur herausbilden, jedoch das Unternehmen nicht an einer Außengrenze konturieren. Ohne den Unternehmensträger, der sowohl Einzelkaufmann als auch Aktiengesellschaft sein kann, wären also Fragen der Vermögenszuordnung und innergesellschaftlichen Haftung nicht zu lösen.
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Die Interdependenz zwischen sozialer Einheit Unternehmen einerseits und Unternehmensträger andererseits wirkt auch in umgekehrter Richtung: so wird überwiegend angenommen, dass der Verbandszweck – welcher meistens im Unternehmensbetrieb zu sehen sein wird – konstitutive Bedeutung für die juristische Person hat und Unternehmensmäntel, also „leere“ Gesellschaften ohne Geschäftsbetrieb, dogmatisch abzulehnen sind. Zwar sind diese Mantelgesellschaften in der Praxis verbreitet und Rechtsprechung, sowie Literatur, halten ein vollständiges Verbot insbesondere aus praktischen Gründen nicht für durchsetzbar; sie sind bei genauerer Betrachtung aber lediglich rein äußerliche, auf ihre Geschäftsanteile reduzierte und damit nicht mehr lebensfähige Formen einer Gesellschaft.[16] Insofern besteht im Zivilrecht zwar keine der ultra vires doctrine[17] vergleichbare Verwebung von Verbandszweck und Rechtsfähigkeit des Unternehmens, jedoch ist durchaus eine Interdependenz zu bejahen, die dazu führt, dass man Unternehmen und Unternehmensträger nicht vollkommen losgelöst voneinander betrachten kann. Denn: Rechtsfähigkeit setzt Identität und Publizität des Subjekts voraus, welches Eigenschaften sind, die nur dem Menschen von Natur aus zukommen. Bei Unternehmen bzw. Verbänden im Allgemeinen kann jedoch Identität und Publizität nur sichergestellt werden, indem durch staatliche Verleihung der Unternehmensträger kreiert wird. Identität und Publizität des Unternehmens werden also über ihre Unternehmensträger verwirklicht und dies dank – zum einen – dem verfassungsrechtlich geschützten System freier Körperschaftsbildung, – zum zweiten – dem Konzessionssystem, welches über die Registergerichte die Publizität gewährleistet und – zum dritten – dem System der Normativbestimmung, die das Gesellschaftsrecht gestaltet.[18] Die Versuche,[19] den Gegensatz von Kapital und Arbeit zu überwinden und das Unternehmen als übergeordnete Instanz mit Rechtsfähigkeit auszustatten, haben sich daher im Zivilrecht nicht durchsetzen können. Vor allem der Gesichtspunkt, dass der innerhalb der Zivilrechtsordnung stattfindende Rechtsverkehr nicht auf abgegrenzte Zurechnungssubjekte verzichten kann, steht einem alleinigen Anknüpfen an die wirtschaftlich-organisatorische Einheit im Weg.[20]
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Dieses vorläufige zivilrechtliche Fazit spricht jedoch nicht gegen eine Berücksichtigung des Faktischen in Strafrecht und Kriminologie; im Gegenteil: Es wurde herausgearbeitet, dass der Unternehmensträger aufgrund des Regelungskontextes des Zivilrechts ebenfalls maßgeblich für die Definition des Unternehmens sein muss. Die zivilrechtliche Herangehensweise würde jedoch – auf das Strafrecht übertragen – die Gefahr bergen, dass ein Einzelunternehmer – als Unternehmensträger – unter dem Schutzmantel seines Unternehmens eine individuelle Haftung umgehen kann bzw. Handlungen von Unternehmensbeauftragten ihm – als einzigem Unternehmensträger – zugerechnet werden. Er „als Unternehmen“ müsste dann für solche Verfehlungen mittelbar haften, auch wenn ihn keine Schuld trifft. Für die Qualifizierung als strafrechtliches Verhalten kann jedoch nicht die positiv-rechtliche Zuteilung entscheidend sein.
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Insofern muss sich das Strafrecht der sozialen Realität zuwenden und tut es auch. Der Terminus Unternehmen ist bereits im Strafrecht integriert. Allerdings kann nicht ohne Weiteres festgestellt werden, ob an die soziale Entität angeknüpft wird, da man auch hier auf ein unübersichtliches terminologisches Feld trifft: Im Zusammenhang mit der Zurechnung von Verantwortung in § 14 StGB und § 9 OWiG spricht man von „Unternehmen“ ohne eine nähere Umschreibung zu geben[21] und stellt im — in § 14 StGB und § 9 OWiG gleich lautenden — Abs. 2 S. 3 die Begriffe „Unternehmen“ und „Betrieb“ auf eine Bedeutungsebene. Dies zielt normhistorisch wohl darauf ab, klarzustellen, dass kein Unternehmen außerhalb des Anwendungsbereichs von Abs. 2 steht,[22] zeigt