Winzige Gefährten. Ed Yong

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Winzige Gefährten - Ed Yong

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»Auch Darwins Journal war nicht mehr als ein farbiger Reisebericht, eine Parade exotischer Geschöpfe und Orte, und trug keine Evolu tionstheorie vor«, schrieb David Quammen.22 »Die Theorie sollte erst später kommen.« Davor stand aber noch eine Menge harte Arbeit. Klassifizieren. Katalogisieren. Sammeln. »Auf einem neuen, unerforschten Kontinent muss man auch erst einmal herausfinden, wo sich die Dinge befinden, bevor man feststellen kann, warum sie dort und nicht woanders sind«, sagt Rob Knight.

      Mit diesem Entdeckergeist wandte Knight sich zum ersten Mal an den Zoo von San Diego. Er wollte die Gesichter und die Haut verschiedener Säugetiere abtupfen und so ihre Mikrobiome charakterisieren, aber auch herausfinden, welche Substanzen – Stoffwechselpro dukte – diese Mikroorganismen abgeben. Die Stoffwechselprodukte prägen die Umgebung, in der Mikroorganismen leben und sich weiterentwickeln, und sie zeigen nicht nur, welche Mikroorganismen vorhanden sind, sondern auch, was sie tun. Sich einen Überblick über die Stoffwechselprodukte zu verschaffen, ist vergleichbar damit, ein Verzeichnis von Kunstwerken, Lebensmitteln, Erfindungen und Exporten einer Stadt zusammenzustellen, statt nur ihre Bürger zu zählen. In letzter Zeit bemühte Knight sich auch darum, einen Überblick über die Stoffwechselprodukte im Gesicht der Menschen zu finden, aber dabei musste er feststellen, dass Kosmetikprodukte wie Sonnenmilch oder Gesichtscreme die natürlichen Stoffwechselprodukte ertränken.23 Die Lösung: Er tupfte die Gesichter von Tieren ab. Schließlich benutzt Baba, das Schuppentier, keine Feuchtigkeitscreme. »Wir hoffen auch auf Proben aus dem Mund«, sagt Knight, »und vielleicht auch aus der Vagina.« Ich hebe eine Augenbraue. »Die Leute, die hier an Zuchtprogrammen für Geparde und Pandas arbeiten, haben ganze Gefriertruhen voller Vaginalabstriche«, versichert er mir.

      Der Zoowärter zeigt uns eine Kolonie von Nacktmullen. Die kleinen Nagetiere rennen in einem System aus miteinander verbundenen Plastikröhren herum. Es sind höchst unattraktive Tiere – sie sehen aus wie runzelige Würstchen mit Zähnen. Außerdem sind sie unglaublich seltsam: Unempfindlich gegen Schmerzen, resistent gegen Krebs, außerordentlich langlebig und kaum in der Lage, ihre Körpertemperatur zu steuern, besitzen sie auch noch missgebildete unfruchtbare Spermien. Sie leben wie Ameisen in Kolonien mit Königin und Arbeiterinnen. Außerdem graben sie Gänge, und deshalb sind sie für Knight interessant. Er hat sich gerade ein Forschungsstipendium gesichert, um die Mikrobiome von Tieren zu erforschen, die bestimmte Aspekte ihrer Lebensweise gemeinsam haben: Graben, Fliegen, Leben im Wasser, Anpassung an Hitze oder Kälte und auch Intelligenz. »Es ist ein recht spekulativer Gedanke, aber vielleicht liefern die Mikroben ja mit bereits vorhandenen Anpassungen die Energie, die man braucht, um solche exotischen Dinge zu tun«, sagt er. Spekulativ sicher, aber nicht allzu weit hergeholt. Mikroorganismen haben den Tieren so manche Tür geöffnet und sie in die Lage versetzt, sich alle möglichen eigenartigen Lebensweisen zu eigen zu machen, die ihnen sonst verschlossen geblieben wären. Und wenn Tiere die gleichen Gewohnheiten haben, stimmen häufig auch ihre Mikrobiome überein. Knight und seine Kollegen konnten beispielsweise nachweisen, dass Tiere, die Ameisen fressen, darunter Schuppentiere, Gürteltiere, Ameisenbären, Erdferkel und Erdwölfe (eine Art von Hyänen), in ihrem Darm ähnliche Mikroorganismen besitzen, obwohl sie schon seit rund 100 Millionen Jahren in ihrer Evolution voneinander unabhängig sind.24

      Wir kommen an einem Rudel Erdmännchen vorbei. Manche von ihnen stehen aufrecht und halten Wache, andere spielen zusammen. Das einzige unter ihnen, das Knight vielleicht abtupfen könnte, ist das einsame Weibchen – die Matriarchin der Gruppe –, aber sie ist alt und herzkrank. Das ist nichts Ungewöhnliches. Erdmännchen greifen manchmal die Jungen von Artgenossen an oder verlassen den eigenen Nachwuchs; wenn das geschieht, greift der Zoo ein, und die Jungtiere werden mit der Flasche großgezogen. Dann überleben sie zwar, aber wie der Zoowärter uns berichtet, bekommen sie im Alter häufig Herzprobleme. Die Gründe kennt man nicht. »Das ist sehr interessant«, sagt Knight. »Wissen Sie irgendetwas über die Milch von Erdmännchen?« Die Frage stellt er, weil die Milch von Säugetieren besondere Zuckerverbindungen enthält, die das Junge selbst nicht verdauen kann, während bestimmte Mikroorganismen dazu in der Lage sind. Wenn eine Menschenmutter ihr Kind stillt, füttert sie es nicht nur, sondern sie versorgt es auch mit den ersten Mikroben und sorgt so dafür, dass die richtigen Pioniere sich in seinem Darm ansiedeln. Knight fragt sich, ob das vielleicht auch für Erdmännchen gilt. Beginnt das Leben der verlassenen Jungtiere mit den falschen Mikro organismen, weil sie nicht die Milch ihrer Mutter bekommen? Und wirken sich diese frühzeitigen Veränderungen im späteren Leben auf die Gesundheit aus?

      Knight arbeitet bereits an anderen Projekten, mit denen er die Gesundheit der Zootiere verbessern will. Als wir an einem Käfig mit Silbernen Haubenlanguren – hübschen Kleinaffen mit zinngrauem Fell und silbrigem Gesichtsflaum – vorbeikommen, erzählt er mir, dass er derzeit herauszufinden versucht, warum manche Kleinaffenarten in Gefangenschaft so häufig an einer Entzündung des Dickdarms (Colitis) leiden, während dies bei anderen nicht der Fall ist. Es gibt stichhaltige Gründe für die Annahme, dass Mikroorganismen dabei eine Rolle spielen. Bei Menschen sind entzündliche Darmerkrankungen in der Regel von einer übergroßen Menge an Bakterien begleitet, die das Immunsystem anregen, während an denen, die es in die Schranken weisen, Mangel herrscht. Ähnliches beobachtet man auch bei mehreren anderen Gesundheitsstörungen, so bei Fettleibigkeit, Diabetes, Asthma, Allergien und Dickdarmkrebs. Man kann sich solche gesundheitlichen Probleme als ökologische Störungen vorstellen: Schuld ist nicht ein einzelner Mikroorganismus, sondern eine ganze Lebensgemeinschaft ist in einen ungesunden Zustand übergegangen. In solchen Fällen hat die Symbiose nicht funktioniert. Und wenn derart verformte Mikrobiome tatsächlich die verschiedenen Krankheiten verursachen, sollte es möglich sein, die Gesundheit durch Eingriffe in die Gemeinschaft der Mikroorganismen wiederherzustellen. Und selbst wenn die Lebensgemeinschaften der Mikroben sich erst als Folge einer Erkrankung verändern, könnten sie nützlich für die Diagnose einer Störung sein, bevor die Symptome offenkundig werden. Genau darauf hofft Knight bei den Kleinaffen: Er vergleicht Tiere verschiedener Arten mit und ohne Darmentzündung; damit will er herausfinden, ob die Krankheit charakteristische Kennzeichen hat, an denen Zoowärter ein symptomfreies, aber gefährdetes Tier erkennen können. Mithilfe solcher Studien werden wir eines Tages möglicherweise auch besser verstehen, wie sich das Mikrobiom bei Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen verändert.

      Schließlich gehen wir in ein Hinterzimmer, in dem mehrere Tiere vorübergehend untergebracht und den Augen der Öffentlichkeit entzogen sind. Einer der Käfige beherbergt einen riesigen Schatten: ein Tier von einem Meter Länge mit schwarzem Pelz, das die Form eines Wiesels und den Gesichtsausdruck eines Bären hat. Es ist ein Binturong, eine große, struppige Schleichkatze, die Gerald Durrell einmal als »schlecht gemachten Kaminvorleger« bezeichnete. Der Zoowärter geht davon aus, dass wir ihm Gesicht und Füße leicht abtupfen können, aber die eigentliche Aktion findet weiter unten statt. Binturongs haben beiderseits des Anus besondere Duftdrüsen, und der Geruch, den sie ausströmen, erinnert an Popcorn. Auch hier sind es aller Wahrscheinlichkeit nach Bakterien, die die Düfte erzeugen. Wissenschaftler haben bereits die Gerüche charakterisiert, die von Mikroben erzeugt werden und aus den Duftdrüsen von Dachsen, Elefanten, Erdmännchen und Hyänen dringen. Der Binturong wartet noch!

      »Können wir den Anus abtupfen?«, frage ich.

      Der Zoowärter betrachtet das furchterregende Tier in dem Käfig und wendet seinen Blick dann langsam wieder uns zu. »Eher … nicht«, sagt er.

      Wenn wir das Tierreich durch die Brille der Mikroorganismen betrachten, gewinnen selbst die vertrautesten Bereiche unseres Lebens eine erstaunliche neue Ausstrahlung. Wenn eine Hyäne ihre Duftdrüsen an einem Grashalm reibt, hinterlassen die Mikroorganismen dort ihre Autobiografie, sodass andere Hyänen sie lesen können. Eine Erdmännchenmutter säugt ihre Jungen und baut in deren Darm eine eigene Welt auf. Ein Gürteltier verschluckt einen Mundvoll Ameisen und füttert damit eine billionenköpfige Lebensgemeinschaft, von der es im Gegenzug mit Energie versorgt wird. Wenn ein Langur oder ein Mensch erkrankt, hat er ganz ähnliche Probleme wie ein See, der von Algen erstickt wird, oder eine Wiese, auf der das Unkraut wuchert – die Ökosysteme sind aus dem Gleichgewicht. Unser Leben wird stark von äußeren Kräften beeinflusst, die eigentlich in unserem Inneren liegen, von Billionen

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