Winzige Gefährten. Ed Yong
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Aber Leeuwenhoek war, wie Alma Smith Payne in The Cleere Observer feststellt, »mehr als ein guter Mikroskophersteller«. Er war »auch ein ausgezeichneter Mikroskopiker – ein Mikroskopbenutzer«. Leeuwenhoek hielt alles fest. Er wiederholte seine Beobachtungen. Er stellte systematisch Experimente an. Obwohl er Amateur war, hatte er die wissenschaftliche Methode instinktiv verinnerlicht – und ebenso besaß er die unstillbare Neugier eines Wissenschaftlers. Durch seine Linsen betrachtete er Tierhaare, Fliegenköpfe, Holz, Samen, Walmuskeln, Hautschuppen und Ochsenaugen. Und zeigte die Wunder, die er sah, Freunden, Angehörigen und den Gelehrten von Delft.
Einer dieser Gelehrten, der Arzt Regnier de Graaf, war Mitglied der Royal Society, der kurz zuvor gegründeten, angesehenen wissenschaftlichen Gesellschaft mit Sitz in London. Er empfahl Leeuwenhoek, dessen Mikroskope »bei Weitem alles übertreffen, was wir bisher gesehen haben«, seinen gelehrten Kollegen und beschwor sie, mit dem Niederländer in Kontakt zu treten. Henry Oldenburg, der Sekretär der Gesellschaft und Herausgeber ihrer führenden Zeitschrift, tat es. Am Ende übersetzte und veröffentlichte er mehrere entwaffnend weitschweifige, informelle Briefe, in denen der Außenseiter Leeuwenhoek rote Blutkörperchen, Pflanzengewebe und den Darm von Läusen mit beispielloser Detailtreue und Sorgfalt beschrieb.
Als Nächstes sah sich Leeuwenhoek Wasser an, und zwar insbesondere Wasser aus dem Berkelse Mere, einem See in der Nähe von Delft. Er saugte ein wenig von der trüben Flüssigkeit in eine Glaspipette, und als er sie anschließend im Mikroskop betrachtete, sah er, dass es in dem Wasser von Leben wimmelte: »kleine grüne Wolken« aus Algen, außerdem Tausende winzige, tanzende Geschöpfe.2 »Die Bewegung der meisten dieser Tierlein im Wasser war so schnell und so verschieden aufwärts, abwärts und rundherum, dass es wundervoll zu sehen war«, schrieb er, »und nach meinem Urteil sind manche dieser kleinen Geschöpfe ungefähr tausendmal kleiner als die kleinsten, die ich jemals auf der Rinde von Käse gesehen habe.«3 Es waren Protozoen – Organismen einer vielgestaltigen Gruppe, zu der unter anderem die Amöben und andere einzellige Eukaryonten gehören. Leeuwenhoek war der erste Mensch, der sie jemals zu Gesicht bekam.4
Im Jahr 1675 richtete Leeuwenhoek seine Linsen auf Regenwasser, das sich in einem blauen Topf vor seinem Haus gesammelt hatte. Auch hier tauchte eine wunderbare Tierwelt auf. Er sah schlangenähnliche Gebilde, die sich auf- und abwickelten, und ovale Lebewesen, »welche mit vielfältigen, winzigen Füßen ausgestattet sind« – weitere Protozoen. Außerdem sah er Exemplare aus einer noch kleineren Klasse von Lebewesen; sie waren tausendmal kleiner als das Auge einer Laus und »drehten sich mit einer Schnelligkeit, als würden wir einem Kreisel bei seiner Bewegung zusehen« – Bakterien! Er untersuchte weiteres Wasser aus seinem Studierzimmer, von seinem Dach, aus den Kanälen von Delft, aus dem nahe gelegenen Meer und aus dem Brunnen in seinem Garten. Die kleinen »Tierlein« waren überall. Wie sich herausstellte, existierten Lebewesen in unvorstellbarer Zahl unterhalb der Grenze unserer Wahrnehmung – sichtbar waren sie nur für diesen einen Mann mit seinen überragenden Linsen. Später schrieb der Historiker Douglas Anderson: »Nahezu alles, was er sah, sah er als allererster Mensch überhaupt.« Aber vor allem: Warum sah er sich überhaupt das Wasser an? Was um alles in der Welt trieb diesen Mann an, den Regen zu untersuchen, den er in einem Topf gesammelt hatte? Ähnliches könnte man sich bei vielen Menschen aus der gesamten Geschichte der Mikrobiomforschung fragen: Sie waren diejenigen, die die Idee hatten, genauer hinzusehen.
Im Oktober 1676 berichtete Leeuwenhoek der Royal Society, was er gesehen hatte.5 Seine Schriften waren ganz anders als die muffigen wissenschaftlichen Abhandlungen in den Fachzeitschriften. Sie waren voller lokaler Tratschgeschichten und enthielten auch Berichte über Leeuwenhoeks Gesundheit. (»Der Mann hätte einen Blog gebraucht«, so Anderson.) Aus dem Brief vom Oktober erfahren wir beispielsweise, wie das Wetter in Delft in diesem Sommer gewesen war. Er enthält aber auch faszinierend detaillierte Berichte über die Tierlein. Sie seien »unglaublich klein, nein, aus meiner Sicht so klein, dass ich der Ansicht bin, dass selbst hundert dieser winzigen Tiere, die ausgestreckt hintereinander lägen, nicht die Länge eines groben Sandkorns erreichen würden; und wenn das wahr ist, kämen zehnmal hunderttausend dieser Lebewesen kaum der Masse eines groben Sandkorns gleich«. (Später stellte er fest, dass ein Sandkorn einen Durchmesser von ungefähr einem Dreißigstelmillimeter hat, das heißt, eines der »winzigen Tiere« wäre drei Mikrometer lang. Das ist mehr oder weniger die Größe eines durchschnittlichen Bakteriums. Der Mann war erstaunlich präzise.)
Angenommen, heute würde irgendjemand plötzlich verkünden, er habe eine Gruppe wundersamer, unsichtbarer Lebewesen beobachtet, die noch kein anderer jemals gesehen hat. Würden wir ihm glauben? Oldenburg hatte sicherlich seine Zweifel, wie auch bereits bei Leeuwenhoeks früheren Beschreibungen der »Tierlein«. Dennoch veröffentlichte er 1677 Leeuwenhoeks Brief – »ein außerordentliches Denkmal für die aufgeschlossene Skepsis der Wissenschaft«, wie Nick Lane es nennt. Allerdings fügte Oldenburg eine warnende Notiz hinzu: Er erklärte, die Gesellschaft wolle Leeuwenhoeks Methoden im Einzelnen kennenlernen, damit auch andere seine unerwarteten Beobachtungen bestätigen konnten. Aber Leeuwenhoek kooperierte nicht so recht. Seine Technik zur Herstellung von Linsen war ein gut gehütetes Geheimnis. Statt es preiszugeben, zeigte er die Tierlein einem Notar, einem Rechtsanwalt, einem Arzt und anderen gut beleumundeten Herren, die daraufhin der Royal Society berichteten, er könne tatsächlich sehen, was er zu sehen behauptete. Gleichzeitig bemühten sich andere Mikroskopiker darum, Leeuwenhoeks Arbeiten nachzuvollziehen – und scheiterten. Selbst der große Hooke hatte anfangs zu kämpfen, und der Erfolg stellte sich erst ein, als er zu den verhassten Einzellinsen-Mikroskopen wechselte. Sein Erfolg bestätigte Leeuwenhoek und festigte den Ruf des Niederländers. Im Jahr 1680 wurde der ungebildete Textilkaufmann zum Mitglied der Royal Society ernannt. Und da er weder Latein noch Englisch lesen konnte, erklärte sich die Gesellschaft bereit, ihm die Mitgliedsurkunde auf Niederländisch auszustellen.
Nachdem Leeuwenhoek als erster Mensch überhaupt Mikroorganismen gesehen hatte, sah er nun auch als erster seine eigenen. Im Jahr 1683 fielen ihm zwischen seinen Zähnen weiße, teigige Beläge auf, und wie es seine Gewohnheit war, betrachtete er sie durch seine Linsen. Das Ergebnis? Weitere Lebewesen »in sehr hübscher Bewegung«! Da gab es lange, torpedoförmige Stäbchen, die »wie ein Hecht« durch das Wasser schossen, in dem er seinen Zahnbelag gelöst hatte, und kleinere, die sich drehten wie ein Kreisel. »Alle Menschen, welche in unseren Vereinigten Niederlanden leben, sind nicht so zahlreich wie die lebenden Tiere, die ich genau an diesem Tag in meinem eigenen Mund mit mir herumtrage«, berichtete er. Er zeichnete die Mikroben und schuf damit ein einfaches Bild, das die Mona Lisa der Mikrobiologie wurde. Außerdem studierte er sie in den Mündern anderer Bürger aus Delft: von zwei Frauen, einem achtjährigen Kind und einem alten Mann, der sich angeblich nie die Zähne geputzt hatte. Er setzte den Proben, die er bei sich selbst abgekratzt hatte, sogar Essig zu und beobachtete, wie die Tierlein starben – der erste Bericht über Desinfektion.
Als Leeuwenhoek 1723 im Alter von neunzig Jahren starb, war er zu einem der berühmtesten Mitglieder der Royal Society geworden. Er hinterließ der Gesellschaft ein schwarzes, lackiertes Kästchen, in dem sechsundzwanzig seiner verblüffenden Mikroskope einschließlich der montierten Objekte lagen. Bizarrerweise verschwand die Kiste und tauchte nie wieder auf – ein umso tragischerer Verlust, als Leeuwenhoek niemandem je genau erklärt hatte, wie er seine Instrumente