Perspektivenwechsel. Fokus Zukunft. Christoph Zollinger

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Perspektivenwechsel. Fokus Zukunft - Christoph Zollinger

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Ungleichheit, brodelnde Frustration. Es ist die Geburtsstunde des Wutbürgers.

      Mediale Begleitung

      Auffallen um jeden Preis, Fokus auf Sensationen und Katastrophen: Dies sind Folgen des Profitvorrangs vor medialer Verantwortung. (Es gibt Ausnahmen.) Das so vermittelte Weltbild und -geschehen ist negativ geprägt und widerspiegelt der Welten Lauf als Ganzes selektiv und verzerrt. Die Aufmerksamkeit des Publikums wird zu ausschliesslich auf Negativtrends gelenkt, die allgemeine Verunsicherung noch verstärkend. Politischer Machtmissbrauch und Meinungsmanipulation in Medien durch superreiche Sponsoren sind weitere unappetitliche Erscheinungen in Richtung Plutokratie, d. h. eine Herrschaftsform, in der Vermögen Voraussetzung zur Herrschaft ist.

      Gefährliche Zukunftsaussichten

      Übersteigerter Nationalismus, Auslöser von Kämpfen, Kriegen und Katastrophen, nimmt zu. Das Gedächtnis an die Schrecken der Weltkriege des letzten Jahrhunderts verblasst. Der Ruf nach Befestigung nationaler Grenzen ist Ausdruck kollektiver Verantwortungslosigkeit. Der permanente politische Kampf statt Kooperationsbereitschaft innerhalb von Regierungen schürt gegenseitige Missverständnisse. Er ist gleichzeitig Nährboden für Extremismus aller Art und gefährlicher Vorbote einer naiven Vorstellung von nationaler Problemlösungskompetenz in Zeiten der Globalisierung.

      Positive Gegentrends

      Die Schuld an den Verwerfungen der Gegenwart einseitig «den anderen» zuzuschreiben, ist durchschaute Propaganda. Jede Nation hat theoretisch die Möglichkeit, rechtzeitig Reformen im eigenen Land anzupacken, um die Situation ihrer Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Hoffnungsträger sind die Jungen: engagierte junge Leute, die vom passiven, billigen Erdulden eines Tages zu aktivem, engagiertem Handeln umsteigen. Die Gestaltung der Zukunft liegt in den Händen dieser Jugend. Sie kann die grassierende Zukunftsangst in beruhigende Vertrauensbildung umwandeln.

      Dataismus statt Kapitalismus statt Feudalismus

      Unter dem Begriff «Feudalismus» verstehen wir jene Wirtschafts- und Gesellschaftsform, die auf dem Lehnsrecht aufbaut. Alle Herrschaftsfunktionen wurden von der über Grundbesitz verfügenden aristokratischen Oberschicht ausgeübt. Kapitalismus folgte darauf, basierend auf der Idee des Privateigentums und der Macht der Produktionsmittel, heute infrage gestellt durch Neoliberalismus und Monopolbildung. Jetzt zeichnet sich ab, dass Globalisierung, Internet, BIG DATA einen erneuten Wandel antreiben; Konsequenz und Folge der neuen «Spielregeln»: weltweiter Wissenszuwachs, Share Economy (teilen statt besitzen), Vernetzung durch Cloud-Computing – wir erleben die Geburtsstunde des Dataismus.

      Perspektivenwechsel

      Hilfreich bei allem ist es zu überlegen: Könnte es sein, dass ich diese Entwicklung zu wenig beachtet habe? Dass das Zukünftige Bisheriges in den Hintergrund drängt? Oder bezogen auf den gelebten Alltag: dass der andere (teilweise) recht hat mit seinen Argumenten? Sehe ich ein Problem möglicherweise zu einseitig? Können wir uns schrittweise annähern, auf Forderungen oder Macht verzichten, den Kompromiss suchen?

      Ein oder zwei Schritte zurücktreten, um eine umstrittene Sache von einem anderen Standpunkt aus anzusehen? Dem Frieden, dem Fortschritt, der Freiheit zuliebe? Für diese Entscheidung brauchen wir nicht auf Eingebungen von aussen oder selbsternannte Einflüsterer zu warten. Genügt vielleicht ein persönlicher Perspektivenwechsel?

      TRANSPARENTE WELT

      Bild 6, 150 x 120 cm

      Wenn Ihnen der Name Jean Gebser (1905 – 1973) nichts sagt, geht es Ihnen wie mir, damals vor bald 50 Jahren, und zweifellos der grossen Mehrheit Ihrer Mitmenschen. Auch ich bin völlig zufällig auf Gebser aufmerksam geworden. Der deutsch-schweizerische Kulturphilosoph und Schriftsteller lebte und wirkte ab 1939 in Bern, wo er von 1947 bis 1953 an seinem Hauptwerk «Ursprung und Gegenwart» arbeitete. Zu seinem Freundeskreis gehörte u. a. der Historiker Jean Rudolf von Salis.

      Gebser entwickelte das Strukturmodell seiner Bewusstseinsgeschichte des Menschen über viele hundert Seiten. Sorgfältig und ausführlich vertiefte er sich für sein «Konzept» des neuen, nächsten Zeitalters in die Vergangenheit, um darauf aufbauend seine spannende These der aperspektivischen Welt – seiner Zukunftsutopie – zu entwickeln. Der Duden definiert aperspektivisch, Gebsers Wortschöpfung, mit «ohne Begrenzung auf den gegenwärtigen Standpunkt des Betrachters». Mit geradezu visionärem Durchblick lässt er vor dem geistigen Auge der Leserschaft die Manifestationen des anbrechenden integralen (wie er es nennt) Weltverständnisses entstehen, aufbauend auf den durchlaufenen Strukturen, beginnend bei der archaischen.

      «Ursprung und Gegenwart» gehört zu den ebenso eigenwilligen wie bedeutenden Versuchen, das 20. Jahrhundert vor dem Hintergrund der gesamten Menschheitsgeschichte zu sehen und zu deuten. Für Gebser ist die Veränderung des Verhältnisses zur Zeit, die sich mit der einsetzenden Renaissance vollzog, der entscheidende Angelpunkt für die Probleme und Leiden der Neuzeit. Dieses veränderte Zeitbewusstsein wird durch die Entdeckung der Perspektive ausgedrückt; sie löst das unperspektivische, mythische Zeitalter ab und leitet die Epoche der perspektivisch-fortschrittlichen Wissenschaft ein. «Dadurch verliert der mehr und mehr diesseitsbezogene Mensch an Weltvertrauen und begibt sich in die individuelle Isolation. Gebsers Werk ist ein geistesund kulturkritischer Dialog mit der Welt, in der wir leben mit ihren Traditionen, Erwartungen und Verstiegenheiten. Die Fülle der Ausblicke und Belege prägt ihm überdies den Stempel eines erstrangigen Kompendiums europäischen Denkens auf.»

      Diese Einführung aus der Neuauflage 2015 spricht vom 20. Jahrhundert als Bezugsrahmen. Ich möchte das etwas weiträumiger definieren: Viele der gefundenen oder antizipierten Beschriebe sind auch stupende Voraussagen dessen, was sich im 21. Jahrhundert abspielt.

      Gebser selbst schrieb 1973: «Das neue Bewusstsein des Menschen, für welches die junge Generation besonders hellhörig ist, und welches von der Veränderung des menschlichen Verhältnisses zur Zeit ausgeht, ist das Generalthema meiner Arbeit.» Diese «junge Generation» ist mittlerweile im Pensionsalter …

      Wer Neues beschreibt, neue Tendenzen entwickelt oder bahnbrechende Innovationen kommentiert, muss dafür notgedrungen neue Wörter «erfinden» oder bestehende in einen neuen Zusammenhang stellen. Aperspektivisch ist ein solches. «In der perspektivischen Weltvorstellung wurde alles mit räumlichen Massen gemessen. Für den perspektivisch denkenden Menschen hat die Zeit keinen Qualitätscharakter.» Diese mentale Struktur (der Vergangenheit) hat die Zeit zu einer analytischen Massbeziehung pervertiert, sie materialisiert und das extrem dualistische Denken heraufbeschworen, das in der Welt nur zwei gegensätzliche und unversöhnliche Komponenten anerkannte, befand Gebser.

      Und er ergänzte sogleich: «Wer der aperspektivischen Welt den Vorwurf macht – und dies wird ausgiebig geschehen –, dass sie unvorstellbar, unbegreiflich, unfasslich, unbeweisbar und nicht räumlichend zu Denkendes sei, der scheitert nur an der Begrenztheit der eigenen, an das Erfassen und das Sehen gefesselten Weltvorstellung.»

      Die Bewusstwerdung der Zeitfreiheit ist eine weitere, wichtige Begriffsauslegung Gebsers. «Der Einbruch der Zeit in unser Bewusstsein, dieses Ereignis ist das grosse und einzigartige Thema unserer Weltstunde. Ein neuer Ton, eine neue Form, eine neue Sicht wird dann dort wahrnehmbar werden, wo wir heute nur Schrei und Dissonanz zu hören glauben. […] Unsere Aufgabe ist es, die Zeit aus ihrer rationalen Vergewaltigung zu befreien. Diese Problemstellung klingt einfach, die Aufgabe aber ist von kaum vorstellbarer Schwierigkeit. Es ist von grundlegender Wichtigkeit, genauestens zwischen irrational und arational zu unterscheiden.»

      Während

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