Perspektivenwechsel. Fokus Zukunft. Christoph Zollinger

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Perspektivenwechsel. Fokus Zukunft - Christoph Zollinger

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so: ein Seherlebnis.

      Szenenprofis sprechen davon, dass es heute entscheidend sei, Aufmerksamkeit zu generieren. Auffallen um jeden Preis! Die Medien machen es vor. Kunstprofis sprechen vom New Realism. Oder vom Ende der konstruktiven Postmoderne, mit ihrer Verneinung jeglichen Bezugs zur Wirklichkeit. Dies alles bewegt die Massen. Besucherzählungen in den Museen zeigen steil nach oben. Printmedien füllen ihre Blätter mit überdimensionierten Fotos und unterdurchschnittlich intelligenten Begeisterungsausbrüchen.

      Der Aussagewert, die Aussage selbst – beides ist umstritten. Ist Gegenwartskunst heute primär da, um Aufmerksamkeit zu generieren oder um mit dem Kauf Gebühren und Steuern zu sparen (etwa wenn in schweizerischen Zollfreilagern zu diesem Zweck stapelweise Gemälde gehortet werden)? Aus früheren Zeiten jedenfalls ist nicht überliefert, dass rostige Hafenkräne oder weisse WC-Schüsseln gesammelt, ausgestellt oder gehortet wurden.

      Bekanntlich nehmen wir unsere Umgebung, unser Land, die Welt u. a. bildhaft wahr. Schon unsere Vorfahren über die Jahrtausende hinterliessen eindrückliche Spuren ihrer stupenden Fähigkeit, die Welt – wie sie diese erfuhren – künstlerisch darzustellen.

      Älteste Spuren führen zurück in die Zeit vor 35 000 – 10 000 Jahren (z. B. die Höhlenmalerei in Lascaux, F). Auch Wandmalereien aus Ägypten oder Fresken aus Kreta haben 4000 – 5000 Jahre «überlebt». Aus der Antike stammen die wunderschönen griechischen Vasenmalereien oder zeugen etwa die römischen Fresken aus Pompeji von hohem Kunstverständnis und malerischem Können.

      Die Renaissance steht unverrückbar als eigentliches Wunder des 15. und 16. Jahrhunderts und jenes gewaltigen Entwicklungsschubs nicht nur in der Malerei. Unerreicht sind Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael. Aus der Barockzeit kennen wir Rubens oder Rembrandt. Diese Namen stehen für eine Vielzahl weiterer begnadeter Interpreten.

      Im 20. Jahrhundert schliesslich verändert sich die Malerei erneut, der abstrakte Expressionismus entsteht. Meine rudimentäre Aufzählung endet hier mit dem Namen Mark Rothko. Ich bin mir bewusst, dass eine solche subjektive Rückschau eigentlich gar nicht statthaft ist. Im Kontext dieses Buches sei mir diese «Barbarei» verziehen.

      Über alle Zeiten haben Künstler Zeugnis davon abgelegt, wie sie ihre Welt interpretieren. Schon immer spielte das natürliche Umfeld eine prägende Rolle: Landschaften, Menschen, Tierwelt wurden abgebildet – mal unglaublich detailliert, ein anderes Mal abstrakter gestaltet. Die Realität ist ja so oder so nicht abbildbar («Ceci n’est pas une pipe!»). Somit spielten idealisierte Wahrnehmung und Umsetzung immer eine grosse Rolle. Auch Projektion und Interpretation formen ein Bild – so, wie der Künstler das eben erlebt und sieht.

      Die lautlose Sprache des Bildes verfehlt seine subtile Wirkung auf den vor ihm stehenden, in Gedanken versunkenen Menschen nicht. Er oder sie, alle sind beeindruckt, ab und zu gefesselt vom Gesehenen. Sie sehen zwar künstlerisch dargestellte Natur, opulente, nackte Gestalten, fragile Tiere oder geheimnisvoll lächelnde Damen – doch was sie dabei denken, mag sich völlig von dem unterscheiden, was dem Künstler wichtig war. «Mona Lisa» von Leonardo da Vinci – Louvre, Paris. Zum Beispiel.

      Mit dem Aufkommen der Fotografie wandelt sich in der Moderne das Spektrum der Abbildung des Gesehenen. Die neue Technik des Fotografierens übernimmt: akkurater, billiger und schneller. Ab diesem Zeitpunkt verändert sich die Botschaft des Bildes. Sie ist jetzt versteckt hinter der neuen Farbenwelt des Abstrakten.

      Noch immer spricht das Bild zum Gegenüber. Doch der angesprochene Mensch wird völlig sich selbst überlassen: Er sieht weder Häuser, Bäume, Kühe noch Akte. Den Interpretationsraum der Botschaft überlässt der Künstler weitgehend dem Betrachter. Doch dieser, so sagte es Klaus Merz einmal, «muss zuhören, was einem die Bilder erzählen – und diese Erzählungen dann mit den Geschichten und Eindrücken verbinden, die man in sich selber drin hat, denn es lagert ja unheimlich viel Bild- und Erzählmaterial in uns».

      Für die abstrakte Bilderwelt gilt mehr denn je, dass sie, zuerst in des Künstlers Vorstellung, dann im Kopf des elektrisierten Käufers oder abwägend Schauenden, spontan eine neue Verbindung herstellt, individuelle Wirklichkeiten miteinander vernetzt. Ohne gegenständliche Vorgabe ist der kreativen Imagination keine Leitplanke gesetzt.

      Betrachteten noch die gotischen Maler ein Bild als Wiedergabe der (Heiligen) Schrift, so änderte sich das in der Renaissance mit der Einführung des perspektivischen, auf den Blickpunkt des Betrachtenden ausgerichteten Bildraums. In diesem Moment wurde ein Bild zur illusionistischen Darstellung einer Szene. Damit verschwand die Schrift aus dem Bild, denn sie hätte die Illusion gestört. Diese Konstellation galt weitgehend auch für die auf die Renaissance folgenden Jahrhunderte, als sich die neuen Gattungen des Stilllebens und der Landschaftsmalerei herausbildeten. «Da diese an die perspektivische Raumauffassung gebunden sind, schliessen sie die nicht motivierte Integration von Schrift und Bild aus», schrieb Peter Bürger 2010 in der NZZ: «Erst als Georges Braque und Pablo Picasso in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, ausgehend von einigen Landschaften des späten Cézanne, in denen der Raum keine Tiefe mehr zu haben scheint, sich von dem perspektivisch auf den Blickpunkt des Betrachters hin orientierten illusionistischen Raum verabschieden, tritt auch, was die Schrift im Bild angeht, eine Änderung ein. Indem die beiden Maler in der Phase des analytischen Kubismus ein Vokabular aus Flächenfacetten entwickeln, in denen unterschiedliche Ansichten des Gegenstandes aufscheinen, leiten sie eine Revolution des seit der Renaissance geltenden Darstellungssystems ein.»

      Interessant erscheint mir die Ansicht eines anderen Kritikers, der 1960 befand, dass die Gegenstandslosigkeit die moderne Malerei vor erhebliche Probleme stelle. Das abstrakte Bild werde somit in einem bisher nicht gekannten Sinne kommentarbedürftig. Denn es sei die Anwesenheit des Diskurses im Bild, sei es als Erzählung, sei es als Gegenstand, die es ermögliche, dem Einzelbild eine kommunizierbare Bedeutung zuzusprechen. «Zwar vermögen Mark Rothkos vor einem monochromen Hintergrund schwebende Rechtecke beim Betrachter eine starke, wenngleich unbestimmte Stimmung auszulösen, und sie können ihn auch in eine meditative Versenkung versetzen, dem einzelnen Bild aber kommt keine nur ihm eignende Bedeutung zu.»

      Mit solchen Kommentaren bin ich nicht einverstanden. Sie sind für mich Zeichen, dass Kritiker eine neue Bilderwelt mit den alten Ansichten des einst gültigen Massstabs beurteilen und nicht verstanden haben, dass die «kommunizierbare Bedeutung» nicht mehr in Worten und Sätzen geschieht, sondern in Stimmungen und Gefühlen, die vom Maler ausgesendet werden, jedoch individuell empfangen und gedeutet werden. Damit entwickelt sich die oben genannte lautlose Sprache des Bildes.

      Ein Maler wie Albert Anker oder Ferdinand Hodler vermittelt zum Beispiel ein klares, von ihm gewolltes (jedoch oft nicht der Wirklichkeit entsprechendes) Bild seiner persönlich interpretierten Sicht. Dieses lässt keinen Interpretationsspielraum zu und es «gefällt» jenen begeisterten Käufern, die sich mit dieser Weltsicht identifizieren mögen.

      Ganz anders mit den Farbbotschaften eines Rothkos oder anderer Vertreter z. B. des Color Field Painting. Hier erhalten Farben und Flächen einen neuen Stellenwert. Farbe wird zum Signal und zum Ausdrucksträger und lädt zur Kontemplation oder Meditation ein. Nicht mehr der Maler diktiert den Dialog. Er entlässt sein Werk sozusagen in die Fremde, wo er keinen Einfluss mehr auf die Rezeption hat. Der emanzipierte Besitzer oder Betrachter dieses Bildes interpretiert autonom, sogar mit wechselndem «Empfang».

      Zusammenfassend: Nicht mehr die Autorität der Kirche oder der Bibel, auch nicht jene eines dem Zeitgeist verpflichteten politischen oder gesellschaftlichen Vorbilds, bestimmt den Rahmen.

      Die vierte Dimension ist unserer Erfahrung nicht zugänglich. In Verallgemeinerung der physikalischen Theorien Albert Einsteins

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