SELBST-geführte Psychotherapie. Uta Sonneborn

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SELBST-geführte Psychotherapie - Uta Sonneborn

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Sicht heraus und waren sich nicht im Klaren, dass sie »ihrem Menschen« heute damit unter Umständen sogar schaden könnten. Ja, oft kannten sie das Selbst »ihrer« Person gar nicht. Aus einer ursprünglichen – damals dramatischen, traumatisierenden, verletzenden – Situation heraus wollten sie Schaden abwehren und fanden so in ihre Rolle des Beschützers. Dessen höchstes Bestreben ist es, dass »sein Mensch« nie wieder mit dieser Situation und den dabei aufgetretenen Schmerzen, verletzten Gefühlen, Entwürdigungen etc. konfrontiert sein soll, koste es, was es wolle. Für die damalige Situation ergab es Sinn, dass der Mensch in einer traumatischen Situation die dazugehörenden Gefühle, Körpergefühle, Gedanken, Bilder, Erinnerungen und selbstabwertenden Kognitionen abspaltete. Und Beschützeranteile entwickelt – Abwehrmechanismen, Symptome und Krankheiten, wie wir sie als Traumafolgestörungen kennen (Essstörungen, Süchte, Dissoziationen, Selbstverletzungen, Suizidalität, Ängste, Panikstörungen, Schmerzstörungen und Depressionen), um mit den aus dem Trauma resultierenden Seelenschmerzen nie wieder in Kontakt zu kommen. Diese Seelenschmerzen sollen beschützt werden und in der Verbannung bleiben. Aus dieser Haltung heraus ist die Arbeit der Beschützer zu verstehen und zu würdigen. Vorher können sie nicht sehen, dass sie heute »ihrem Menschen« damit nicht nur nicht nutzen, sondern oftmals eher Schaden zufügen. Hier ist eine freundliche Klarstellung angezeigt, ohne die Anteile manipulieren zu wollen. Wenn das Selbst des Klienten mit seinen Beschützeranteilen in Kontakt tritt und diesen achtsam und mit Wertschätzung begegnet, dann sind die Beschützer meist bereit, dem Selbst zu vertrauen. Sie ­können dem Selbst ihre Geschichte anvertrauen, und sie erleben, wie heilsam die Verbindung vom Selbst zu ihnen und den verbannten Anteilen wirken kann. Sie sind bereit, dem Selbst die Führung zu überlassen und ihm den Zugang zu den verbannten Anteilen zu gewähren. Das Selbst bezeugt die Geschichte des Verbannten und die Arbeit der Beschützer, und wenn die Zeit dafür reif ist, entlastet es die Teile von den Folgen des Erlebten. Dann können sich die Teile vorstellen, aus ihren extremen Rollen zu schlüpfen und die ihrem eigentlichen Wesen entsprechenden Aufgaben zu übernehmen. So könnte der Selbstverletzungs-Impuls als blitzartig auftauchender Beschützer wahrgenommen werden, der vor Verletzungen beschützen will, und statt sich destruktiv auszuagieren, überlässt er es dem Selbst, die entsprechenden Maßnahmen zum Schutz vor Verletzung zu ergreifen. Die Teile können in ihrer entlasteten Form in die ihnen eigentlich innewohnende positive, nicht mehr extreme Rolle zurückkehren. Auch den Teilen wohnen Selbstqualitäten inne, zu denen sie zurückfinden können. Sie verbinden sich gerne mit dem Selbst ihres Menschen und fühlen sich gut dabei, Teil eines größeren Selbst, eines größeren Ganzen zu sein.

      Das Selbst

      Schwartz weist dem Selbst zwei wesentliche Bedeutungen zu. Einmal die spirituelle Dimension des höheren Selbst und zum anderen die Bedeutung des Selbst als dem Zentrum, den unverletzbaren Wesenskern eines jeden Menschen. Mit dieser Bedeutung arbeitet die »Systemische Therapie mit der Inneren Familie« vorwiegend. Hier ist in Sternstunden der kleine göttliche Funke, wie C.G. Jung es ausdrücken würde, erlebbar, wobei sich die Verbindung zu der erstgenannten Bedeutung von Selbst zeigt.

      Wie bereits gesagt: Das Selbst ist kein Teil. Das Selbst erfährt sich an den Teilen. Es kann aktiv und mitfühlend das System führen, wenn es ausdifferenziert und nicht mit Teilen verschmolzen ist. Es ist unparteiisch und nicht identifiziert mit einem Teil. Es ist kompetent, sicher und ­voller Selbstvertrauen, gelassen und in der Lage, Rückmeldungen der Teile zu hören und darauf einzugehen. Das Selbst hat nur so viel Macht, wie die Teile ihm zugestehen. Das Selbst respektiert die Teile, es bittet zum Beispiel die Teile um etwas, auch kann es sich bei den Teilen bedanken. Das Selbst muss auch nicht hundertprozentig vorhanden sein. Richard Schwartz meint, 30 Prozent seien genug

      Das Selbst kann sich zeigen durch zehn Eigenschaften, die wir die C-Worte oder auch die zehn Cs, nennen, da sie im Englischen alle mit C beginnen:

calm – ruhig, gelassenconfident – vertrauensvoll, zuversichtlich
curious – neugierig, offen, interessiert compassionate – mitfühlend
creative – kreativconnected – verbunden
clear – klar, stimmigconstant – verlässlich
centered – zentriertcourageous – mutig

      Diese zehn Eigenschaften (hier wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben) kommen gegenüber den eigenen Anteilen zum Ausdruck sowie gegenüber anderen Menschen, der Natur und der Umwelt.

      Das Selbst wertet nicht. Das Selbst weiß intuitiv am besten, wie den Teilen zu helfen ist – wenn diese es zulassen. Im Zustand des Selbst erlebt der Mensch (Klient*in, Therapeut*in) Empathie, Annahme und Akzeptanz für seine Persönlichkeitsanteile, seine verschiedenen Seiten und Facetten. In der Selbstführung liegt ein großes (Heilungs-)Potenzial. Menschen, die ihr wahres Selbst erfahren haben, wissen, dass nicht sie, sondern »nur« Teile von ihnen die Aufgabe von extremen Rollen übernehmen. Sie hegen große Wertschätzung für die Teile. Personen im Selbst sind fähig, zentriert zu bleiben und trotzdem die Gefühle der Teile zu erleben, anstatt von den Gefühlen überschwemmt zu werden, mit ihnen zu verschmelzen oder mit ihnen identifiziert zu sein. Sie können aus ihrer Selbsthaltung ihre Teile bitten, sie nicht zu überfluten, weil sie ihnen dann nicht helfen können. Einen Menschen mit Selbstführung zu erkennen ist leicht. Bei ihm hat man das Gefühl, so sein zu können, wie man ist, ihm nichts vormachen zu müssen, sich angenommen, sich gesehen, sich nicht bewertet zu fühlen, seine menschliche Präsenz, seine Güte, sein Wohlwollen, seine Offenheit, sein echtes Interesse, seine Neugier zu spüren. Man erkennt an seinen Augen, der Stimme, der Körpersprache, der Haltung, der Bewegung, dass er verlässlich, natürlich, ungekünstelt, authentisch und absichtslos ist. Er ist nicht fixiert auf eigene Ziele oder Selbstdarstellung, hat eine natürliche Bereitschaft zu geben, ohne sich ausnutzen zu lassen. Er spürt Dankbarkeit und Demut ohne Unterwürfigkeit. Er muss nicht mithilfe von Gesetzen oder Moral dazu gezwungen werden, das Richtige zu tun. Er hat ein natürliches Mitgefühl für alle Kreaturen und die Natur, eine Leidenschaft für das Leben. Er ist motiviert, den Zustand der Menschheit und der Umwelt zu verbessern, weil er das Bewusstsein hat, dass wir alle miteinander verbunden sind. Jeder Mensch kann in sich SELBST sein, und keiner wird es dauerhaft sein. Es geht nicht darum, ein »Heiliger« zu werden, sondern die Freude einer möglichen Selbstführung immer wieder erleben zu dürfen. Das Schöne daran ist: Je mehr die Teile dem Selbst vertrauen und je mehr die Teile von Alt- oder Erblasten entlastet und befreit sind, umso mehr Selbstqualitäten entfalten sie und arbeiten freudig dem Selbst zu – auf natürliche Weise; ein System in einer stimmigen Ökologie. Das Selbst in der IFS hat also diesen im Alltag sichtbaren, im bewussten mentalen und körperlichen Erleben spürbaren und identifizierbaren Aspekt, mit dem es sich – auch therapeutisch – so wunderbar arbeiten und leben lässt. Gleichzeitig ist das Selbst aber auch ein ozeanisches Gefühl von Verbunden-Sein, in der Welt sein, eins zu sein mit der Natur und dem Universum, ein Gefühl von innerer Zufriedenheit, von Glück, von Grenzenlosigkeit, ein Flow. Es kann spürbar sein als pulsierende Wärme, Licht oder Energie durch den Körper oder um ihn herum, von Weite und Raum in Körper und Geist. Auch in unserer Körperhaltung, in unseren Augen, in unserer Gestik, Mimik, Körperspannung, unseren Bewegungen können wir spüren, wie wir SELBST präsent sind. Ein stimmiges Körpergefühl und Herzenswärme ist ein weiterer Hinweis dafür, gerade bei sich SELBST sein. Es ist Liebe, Seele, Natur. Es ist grundlegend da, bei jedem, manchmal mehr oder weniger verborgen, verdeckt, versteckt. Wenn die Therapie die Blätter der Teile, die auf ihm liegen und es verdecken, einzeln identifizieren und um ein bisschen Abstand zum Selbst bitten, wird es sichtbar und erlebbar.

      Bei schwer traumatisierten Menschen kann das Selbst auch außerhalb des Körpers zu finden sein. Beschützerteile haben es einst in der traumatischen Situation aus dem Körper herauskatapultiert, um das System vor Schmerz, Gewalt, Erniedrigung zu schützen. Das Selbst muss jedoch verleiblicht sein, um die Selbstführung übernehmen zu können. In diesem Fall muss das Selbst erst wieder den Weg zurück in den Körper finden, bevor die Teile es als ihre Führung anerkennen können. Eine vollständige Antwort, was das Selbst sein kann, wage ich

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