Der Nerd und sein Prinz. B.G. Thomas
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Der Spitzenkandidat von Patricia Nell Warren hatte sein Leben verändert. Seine Mutter hatte lange gekämpft, um das Buch in die Bibliothek zu bekommen. Genau aus diesem Grund hatte Jason es gelesen und war verblüfft gewesen, dass es sich um eine schwule Liebesgeschichte handelte. Durch dieses Buch hatte er den Mut gefunden, sich zu outen – erst seiner Schwester, dann seinen Eltern gegenüber. Keinen von ihnen hatte er damit überrascht.
»Ach, komm schon«, sagte Daphne und verdrehte die Augen. »Ich bin deine Zwillingsschwester. Denkst du, dass du das vor mir verheimlichen könntest? Ich wusste es schon, bevor ich wusste, dass du ein Nerd bist.«
»Warum hast du dann nichts gesagt?«
»Du Dummerchen! Natürlich dachte ich, dass du längst weißt, dass ich es weiß!«
So viele wunderbare, wundersame Bücher. Die Geschichten seiner Mutter und seine lebenslange Angewohnheit, Bücher zu sammeln, beflügelten seine Fantasie geradezu.
Und eigentlich hatte er sogar drei Leidenschaften. Denn er liebte es auch, Menschen zum Lesen zu bringen.
Deswegen liebte er das The Briar Patch.
»Findest du nicht, dass es ein wenig riskant ist, in Buckman einen Buchladen aufzumachen?«, fragte Daphne ihn, als er ihr sagte, was er mit dem Haus vorhatte, das ihre Großtante ihnen vererbt hatte. »Unsere Mitbürger sind ja nicht unbedingt literarisch begeistert.«
Er zuckte mit den Schultern. »Wenn ich schon hier wohne, sollte ich auch etwas tun, das mir Spaß macht.«
»Aber –«
»Kein Aber«, rief er und hob eine Hand. »Mein Entschluss steht fest!«
»Du bist wirklich ein Nerd«, meinte sie lachend.
»Als hättest du das nicht schon längst festgestellt«, entgegnete er und fiel in ihr Lachen ein.
Er hatte Glück gehabt, dass ihm sein Nerdtum in der Schule keine Feinde gemacht hatte. Er hatte zwar keine Freunde, wurde aber auch nicht gehasst. Keine Mobber, die ihn terrorisierten oder die Bücher, die er immer mit sich herumtrug, in eine schlammige Pfütze warfen. Keine gefürchteten Hosenzieher.
Aber eben auch keine Freunde. Tatsächlich war Daphne seine beste Freundin. Natürlich gab es in ihrer kleinen Abschlussklasse auch nicht sonderlich viel Auswahl. Aber seine Liebe zu Büchern hatte ihn nicht zu jemandem gemacht, mit dem alle abhängen wollten.
Und dann war da noch das Schreiben. Er verspürte den Drang, seine eigenen Geschichten von Leidenschaft und Abenteuern zu erzählen. Über einen Verlag namens New Visions Press hatte er sogar ein paar seiner Gay Romance-Romane veröffentlicht. Er war überrascht und sprachlos gewesen, als er ein paar Wochen nach seiner Bewerbung einen Vertrag für sein erstes Buch unterschrieben hatte. Das zweite hatte sich sogar gut auf Amazon verkauft. Mehr noch: Gail Southgate, die Inhaberin und Geschäftsführerin des Verlages, hatte ihm vor Kurzem geschrieben und gefragt, wann er wieder etwas schreiben würde.
Ein glücklicher Augenblick.
Also waren es vier Leidenschaften.
Kochen, Lesen. Andere zum Lesen bringen. Und Schreiben.
Halt! Er liebte es auch, andere zum Schreiben zu ermuntern. Einen Stift zur Hand zu nehmen und ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Mehrmals die Woche öffnete The Briar Patch abends seine Tore für Gruppen, die einen Ort brauchten, um sich zu treffen. Eine von ihnen war seine Schreibgruppe, die zweimal im Monat zusammenkam. Das Alter der Mitglieder reichte von sechzehn bis siebenundsechzig und er war froh, dass die Gruppe, die er gegründet hatte, die Leute dazu brachte, ihre Kreativität auszuleben. Im winzig kleinen, langweiligen Städtchen Buckman mit seinen 2.749 Einwohnern, wo kaum etwas passierte.
Trotz ihrer Größe liebte er diese Stadt. Egal wie klein und entlegen sie war.
Das bedeutete allerdings nicht, dass er nicht mehr wollte. Sich mehr erträumte. Mehr wünschte.
Ein Abenteuer. Etwas Aufregenderes als die Kegelhalle der Stadt mit ihren drei Bahnen, die beiden Bars oder das (mehr oder weniger) neue Kino. Verdammt. Sie konnten froh sein, ein Kino zu haben!
Aber wäre es nicht schön, einige der Orte zu sehen, an die seine Bücher und seine Fantasie ihn brachten? Island oder das Taj Mahal oder die Tempel von Khajuraho in Indien oder die Verbotene Stadt in China oder die Ewige Stadt Rom?
Italien! Die Heimat der Götter.
Oder das Parthenon in Griechenland…
Aber in der Zwischenzeit gab es The Briar Patch.
An diesem Morgen unterhielten Daphne und er sich nicht lange. Er musste alles für die Frühstücksgäste vorbereiten, aber sie ließ ihn wissen, dass sie vorbeikommen und ihm helfen würde, wenn er öffnete. Nachdem er sie schlauerweise daran erinnert hatte, dass Tom Rucker montags vor seinem wöchentlichen Lauf ins Patch kam. Tom war Fernfahrer und flirtete seit Kurzem mit Daphne und sie, nun ja, sie flirtete zurück. Und das freute Jason. Er konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal für einen Mann interessiert hatte.
Eine Stunde später kümmerte er sich um überraschend viele Gäste.
Offenbar hatten sich doch einige Leute aufgemacht, um sich den umgestürzten Baum anzusehen – in Buckman konnte man nicht viel unternehmen – und herauszufinden, was sonst noch beschädigt worden war. Abgesehen von ein paar Häusern, die wegen eines weiteren umgestürzten Baumes von der Stromversorgung abgeschnitten waren, war das Glück den Bürgern der Stadt hold gewesen.
Es gab sogar ein paar Leute, die auf einen freien Tisch warteten. Das löste er, indem er Daphne ein paar Klapptische auf der Veranda aufstellen ließ. Am Ende gingen Jason sogar die Eier und der Speck aus – das war schon lange nicht mehr passiert. Trotzdem waren alle guter Stimmung und nicht ein Gast hatte sich beschwert, dass die Eier falsch zubereitet waren (so lange es noch welche gegeben hatte), die Brötchen zu hart waren, die Maisgrütze nicht buttrig genug (es gab an jedem Tisch ein Stück Butter, also konnte das jeder selbst handhaben) oder der Kaffee zu stark oder nicht stark genug war.
Wunderbar.
Und ja, Tom war vorbeigekommen – er war attraktiv und letztes Jahr aus einer nahe gelegenen Stadt nach Buckman gezogen. Er hatte sich einen eigenen Lkw gekauft (oder war dabei, einen zu kaufen) und würde in Zukunft überall Anhänger abholen und sie dahin hinbringen, wo sie eben gebraucht wurden. Es war riskant, sich heutzutage als Trucker selbstständig zu machen, aber Tom versuchte es und das konnte Jason nur respektieren. Und er brachte Daphne zweifellos zum Lachen.
Umwerfend. Nicht wirklich Jasons Typ – Tom las nicht und liebte Country- und Western-Musik –, aber er war umwerfend. Und wie Jason konnte Daphne etwas Liebe gut gebrauchen. Es war schön zu sehen, dass eine von ihnen sie bekam. Oder zumindest bald bekommen würde.
Während des Aufräumens – zwei Stunden, in denen die Küche kalt blieb, man aber ein Stück Kuchen bestellen konnte (heute gab es Apfel, Kokos-Sahne und Himbeere) – erschien Jasons liebste Sorte Kunden. In diesem Fall handelte es sich um zwei Jungs von der Highschool, die tatsächlich ein Buch suchten. Na ja, zumindest einer von ihnen. Er hatte im Unterricht Nichts ist okay! von Jason Reynolds und Brendan Kiely gelesen und zu seiner eigenen Überraschung hatte es