Leben nach der DDR. Klaus Behling
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Nachdem die politische Entscheidung über die Währungsunion zugunsten der DDR gefallen war, ging es um die Details. Wolfgang Schäuble (CDU), damals als Innenminister Verhandlungsführer der Bundesregierung beim Einigungsvertrag, erinnerte sich: »Rasch zeichnete sich ab, dass generell im Verhältnis 2:1 umgestellt werden sollte. Nach entsprechenden Festlegungen im Wahlkampf zur Volkskammerwahl war allerdings klar, dass pro Person ein bestimmter Betrag, eventuell sozial gestaffelt, im Verhältnis 1:1 umgetauscht werden konnte.«
Den Grund für die darauf folgende Bevorzugung von Rentnern nannte der letzte DDR-Ministerpräsident, Lothar de Maizière: »Ich habe dem Kohl damals gesagt, das ist eine Riesenwählerschaft, die wir da verprellen, wenn wir denen also ihr Geld wegnehmen. Das begreift ein Kanzler wie Kohl immer, wenn es um Wählerstimmen geht.«
Am Ende wurde beschlossen, jedem DDR-Bürger 4.000 Mark – Kindern bis zu sechzehn Jahren 2.000 Mark und Rentnern 6.000 Mark – zum Kurs von 1 zu 1 in DM umzutauschen. Der Rest wurde 2 zu 1 umgestellt, allerdings mit der Option, dass nachgebessert werden könnte, wenn aus dem DDR-Volksvermögen nach dessen Abrechnung noch etwas übrig sei. Das war dann jedoch nicht der Fall.
Für die 160 Milliarden Mark Sparguthaben der Bevölkerung – im statistischen Schnitt 9.600 DDR-Mark pro Kopf –, zu denen noch knapp 20 Milliarden Ansparguthaben aus Versicherungen kamen, ließ sich diese massive Aufwertung verkraften. Lothar de Maizière: »Aus denen sind 120 Milliarden DM Kaufkraft geworden, die ganz überwiegend den westdeutschen Produkten zugutegekommen ist.« Ein Beispiel: In der DDR wurden pro Jahr insgesamt rund 80.000 Kraftfahrzeuge zugelassen. Allein in den gut drei Monaten zwischen Währungsunion und Einheit waren es 450.000 private Pkw.
Doch wie sah es bei den laufenden Einkommen aus? Wolfgang Schäuble: »Die schwierigste Frage war das Umstellungsverhältnis für Löhne, Gehälter und Renten. Bundesbank und Finanzministerium plädierten für eine Relation von 2:1.« Dabei wussten alle Beteiligten, dass in diesem Fall soziale Aufbesserungen sowohl bei den Löhnen und Gehältern als auch bei den Renten notwendig werden würden.
Dennoch hätte die augenscheinliche Halbierung der Einkommen mit dem Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ab 1. Juli 1990 den Weg in die Einheit unkalkulierbar behindert. Sie stieß in der DDR auf massiven Widerstand. Es wurde befürchtet, die DDR-Bürger würden sich von Anfang an als »Deutsche zweiter Klasse« fühlen, wenn sie nicht nur erheblich weniger als ihre Landsleute West in der Lohntüte hätten, sondern ihre ohnehin schon bescheidenen DDR-Gehälter auch noch gekappt würden.
Deshalb musste ein anderer Weg gefunden werden. Das geschah, indem mit den Löhnen auch die im Westen üblichen Abgaben kamen. Deren Struktur kannte im Osten niemand. Deshalb blieb weitgehend verborgen, dass der Umtauschkurs rechnerisch am Ende doch fast bei 2 Ost- zu 1 Westmark lag. Darauf verwies Wolfgang Schäuble in seinem Resümee der Vertragsverhandlungen: »Da mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion allerdings Steuern und Sozialabgaben auf Löhne und Gehälter eingeführt wurden, war im Ergebnis der Unterschied dieses Umtauschkurses [von 1 zu 1 bei Löhnen und Gehältern, Anm. d. Verf.] zu dem eines Verhältnisses von 2:1 bei entsprechenden Aufbesserungen eher marginal. Der Unterschied lag in der psychologischen Wirkung auf die Menschen in der DDR.« Anlässlich des fünfundzwanzigsten Jahrestags der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion bestätigte auch der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel: »Unterm Strich hatten wir einen Umtauschkurs von 1 zu 1,8. Das war ziemlich nahe an dem Vorschlag der Bundesbank, die damals 1 zu 2 für das richtige Verhältnis gehalten hatte.«
Dass das alles dennoch gravierende politische Konsequenzen haben würde, war im Osten wie im Westen bekannt. Richard Schröder, damals Fraktionschef der SPD in der Volkskammer, fasste es so zusammen: »Wir waren der Meinung, dass die Währungsunion den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft nicht bewirken, sondern verschärfen werde. […] Wir wussten, dass der Staat DDR in Devisen hoch verschuldet ist und da nicht aus eigener Macht herauskommen kann. Dann habe ich zu der Währungsunion gesagt: ›Lieber mit ruinierter Wirtschaft in die Einheit als ohne Einheit mit ruinierter Wirtschaft.‹«
War der Umtauschkurs falsch?
Der Umtauschkurs von einer DM zu zwei DDR-Mark sei falsch gewesen, gehört bis heute zur ökonomischen Kritik der Einheit. Der frühere Präsident der Bundesbank, Karl Otto Pöhl, erklärte nach zehn Jahren Erfahrung: »Es kann heute keinen Zweifel mehr geben, dass dies eine ökonomisch verhängnisvolle Entscheidung war. Alle Betriebe der DDR mussten von einem Tag auf den anderen ihre Löhne und Verpflichtungen in D-Mark bezahlen, die sie nicht hatten und auch nicht verdienten. So wurden damals alle Betriebe schlagartig zahlungsunfähig. Dies wurde dann durch Kredite der Treuhand aufgefangen.« Auf Nachfrage verwies er auf die massive Aufwertung der DDR-Mark durch Einführung der DM um mehr als das Vierfache: »Das kann keine Volkswirtschaft der Welt ohne dramatische Folge verkraften.« Nicht kommentiert wurde bei dieser Bewertung, dass die DDR-Mark eine reine, nicht konvertierbare Binnenwährung war. Sie durfte weder aus- noch eingeführt werden und spielte auf den internationalen Finanzmärkten keinerlei Rolle.
Viele Ökonomen unterschiedlicher politischer Ausrichtung teilen dennoch die Einschätzung, der Kurs sei falsch gewesen. Sie beruht auf der Devisenrentabilität der DDR-Wirtschaft. Im geschlossenen Wirtschaftsraum zwischen den sozialistischen Staaten spielte sie keine große Rolle. Mit der Einheit wechselte die DDR jedoch komplett auf den internationalen Markt. Damit wurde entscheidend, wie viel sie aufwenden musste, um den Gegenwert einer DM zu erlösen. Dieses Verhältnis hatte sich im Laufe der Jahre erheblich zuungunsten der ostdeutschen Wirtschaft verschlechtert. 1970 genügte noch der Einsatz von 1,70 Ostmark, 1976 waren es bereits 2 Mark und 1985 dann 2,50 Mark. Am Ende der DDR musste im Durchschnitt für 4,40 DDR-Mark produziert werden, um 1 DM kassieren zu können. So erklärte sich das vielen DDR-Bürgern bekannte »Verschleudern« der Waren in den Westen.
Die Devisenrentabilität variierte in den einzelnen Branchen. Bis zum Sturz Erich Honeckers blieb sie ein Geheimnis der Außenhändler. Erst im zweiten Halbjahr 1990 wurden die Kennziffern erstmals öffentlich. Das erbrachte ein bedrohliches Ergebnis: Elektrotechnik minus 50,82 Prozent, bei Glas und Keramik minus 70,48 Prozent, im Maschinenbau minus 38,45 Prozent und in der Textilindustrie minus 41,98 Prozent. Diese Zahlen sagen im Grunde, am Beispiel der Elektrotechnik illustriert: Wäre die gesamte Belegschaft dieses Industriezweigs bei voller Bezahlung nach Hause geschickt und die Produktion gestoppt worden, hätte man nur die Hälfte des Verlustes eingefahren, der durch den Verkauf in den Westen entstand. Im Außenhandel der DDR führte das, trotz einer Abfederung durch die Geschäfte mit den sozialistischen Staaten, zu einer erheblichen Einbuße. Erwirtschaftete die Bundesrepublik allein durch die Differenzen zwischen Export- und Importpreisen, den Terms of Trade, zwischen 1971 und 1987 einen Gewinn von 156 Milliarden US-Dollar, machte die DDR im gleichen Zeitraum daraus 22 Milliarden US-Dollar Minus.
Aus währungstechnischer Sicht stellte sich die Einführung der DM ab 1. Juli 1990 so dar: Ein DDR-Produkt, das bis zum 30. Juni 1990 für 1.000 DM auf dem Weltmarkt zu haben war, kostete ab dem 1. Juli 1990, null Uhr, 4.400 DM. Das führte dazu, dass die traditionellen Partner im ostdeutschen Außenhandel – die Sowjetunion und die ehemaligen Ostblockstaaten – in der Noch-DDR nicht mehr einkaufen konnten. Ihnen fehlte einfach das Geld dazu. Hinzu kam noch die internationale Konkurrenz. Auch für die Bundesrepublik war die DDR nicht mehr der »billige Jakob«. Produkte, die vormals die Versandhauskataloge von Quelle bis Neckermann füllten, machten einen Preissprung. Die Folge: Sie wurden nicht mehr gekauft.
Vor diesem Hintergrund polemisierten Publizisten im Westen noch jahrelang gegen den Umtauschkurs bei der Währungsunion. Fernsehjournalist Wolfgang Herles nahm die Stimmung auf und nannte ihn einen »Fabelkurs«, der »die Ausschaltung der Vernunft als Maßstab der Politik« gewesen sei. Das sah der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière ganz anders: »Es gingen nach dem Fall der Mauer täglich zwei- bis dreitausend Menschen, und wir