Leben nach der DDR. Klaus Behling
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Mit einer massiven Wiederaufnahme der Wanderung aus der DDR in den Westen wäre zu rechnen gewesen, hätte man auch nur erwogen, Löhne, Gehälter und Renten anders als 1 zu 1 umzustellen. Der Grund lag darin, dass ein Facharbeiter nur etwa 48 Prozent des Westlohns bekam. Für das gesamte DDR-Lohngefüge berechnete das Statistische Bundesamt 1990 ein Niveau von unter einem Drittel im Vergleich zum Westen. Erfahrungen besagten, dass abhängig Beschäftigte ihre Koffer packen, wenn ihr Einkommen 70 Prozent dessen unterschreitet, was sie anderswo bekommen würden. Eine Währungsunion wäre damit zum Motor des Weglaufens geworden.
Eine recht abenteuerliche Kritik am Umtauschkurs gab es auch von östlicher Seite. Sie verwies auf die hohe Kaufkraft der DDR-Mark im Land. Schließlich kostete ein Brötchen nur fünf Pfennige, der Eisenbahnkilometer und die Kilowattstunde Strom acht Pfennige und die Miete höchstens 1,25 Mark pro Quadratmeter mit »Vollkomfort«. Daraus folgte die Behauptung, eigentlich sei die DDR-Mark mehr wert als die DM. Sie knüpfte an die jahrelange Propaganda gegen den »Schwindelkurs« an, die immer dann ihre Höhepunkte erlebte, wenn es um die Begründung eines höheren »Mindestumtauschs« für Westbesucher ging. So schrieb zum Beispiel Neues Deutschland am 15. Oktober 1980: »Bereits vor fünf Jahren betrug die Kaufkraft der Mark der DDR 1,09 Mark der BRD, das heutige Verhältnis beträgt 1:1,29. Im Reiseverkehr ist dieses Verhältnis infolge besonders großer Preisunterschiede für Dienstleistungen sogar 1:2,30.« Diese Rechnung entstand durch den Vergleich subventionierter DDR-Waren mit Westpreisen und umfasste damit nicht die tatsächlichen Lebenshaltungskosten.
Im Zusammenhang mit der Währungsunion gab es aber auch eine Zahl, die vordergründig überzeugend klang. Es wurde moniert, dass den DDR-Bürgern durch den Umtauschanteil von 1 zu 2 insgesamt eine Summe von etwa 64,3 Milliarden Mark verlorenging. Auf die Einwohner umgerechnet, machte das rund 4.000 DM pro Person. Daraus folgte die Schlussfolgerung, eigentlich hätte es für 1 DDR-Mark etwa 1,50 DM geben müssen.
Das war eine klassische »Milchmädchenrechnung«. Sie ignorierte die Art des Wirtschaftens in der DDR. »Stabile Preise«, später modifiziert in »stabile Preise für den Grundbedarf«, gehörten zum politischen Fundament. Die Differenz zwischen den tatsächlichen Preisen für Waren und Dienstleistungen kam aus Subventionen. Diese wiederum waren ein realer Einkommensbestandteil, »zweite Lohntüte« genannt. Die Betriebe mussten 70 Prozent der Bruttolohnsumme an den »Gesellschaftlichen Fonds« des Staates abführen. Die Arbeitenden blieben so von der Finanzierung der gesamten Staatsausgaben entlastet. Im Gegenzug war ihr Lohn im Vergleich zum Westlohn kärglich. Allein die Subventionen auf Nahrungsmittel werteten sie jedoch bereits um etwa 19,6 Prozent auf.
Neue Währung, neue Preise: Einen Korb frischer »Ost-Schrippen« bietet diese Verkäuferin aus einem Bäckerladen im Ostberliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg Anfang der 1990er Jahre an. Die knusprigen Brötchen – nach DDR-Rezept ausschließlich mit Hefe gebacken – kosten pro Stück 28 Pfennige. In der DDR kostete ein subventioniertes Brötchen 5 Pfennige. (picture alliance / dpa – Report / Peer Grimm)
Auch die Umstellung der Sparguthaben und Lebensversicherungen blieb eine Ausnahme im Transformationsprozess Osteuropas. In den einstigen »sozialistischen Bruderländern« fraß sie die Inflation, um so die Staatsschulden zu tilgen. In der DDR wurden sie durch den Umtausch gerettet. Es hätte auch anders kommen können. Lothar de Maizière erinnerte sich an die Lage 1990: »Die 160 Milliarden Mark Ersparnisse der DDR-Bevölkerung waren durch nichts abgedeckt.« Auch die Versicherungsguthaben von etwa 20 Milliarden Mark waren verbraucht worden. Dass die DDR über Jahrzehnte bei den eigenen Bürgern hatte anschreiben lassen, bestätigte Günter Schabowski als Mitglied des Politbüros der SED: »Die DDR stand mit rund 200 Milliarden Ostmark in der Kreide, wodurch praktisch alle Sparguthaben der DDR-Bürger wertlos waren.« Dass die Guthaben der DDR-Bürger trotzdem zu DM-Konten wurden, verdankten sie der Einheit. In ihrem gesamten Volumen entsprachen sie ungefähr der jährlichen Zuwachsrate westdeutscher Sparer.
Bei einer Betrachtung aller Aspekte des Umtauschkurses der DDR-Mark in DM kann es kein wirtschaftliches, sondern nur ein politisches Fazit geben. Es wurde ein Kompromiss gefunden, der im Westen finanzierbar und im Osten tragbar war. Er rechtfertigte sich mit dem schnellen Start in die Einheit, schuf aber auch Probleme, die 1990 kaum jemand vermutete. Sie finden bis heute im mühsamen Angleichungsprozess der Lebensverhältnisse in Ost und West ihren Ausdruck.
Wer hatte den Daumen auf der DDR-Kasse?
Es ist eine vergessene Geschichte. Mit der Bildung der letzten DDR-Regierung nach der Wahl vom 18. März 1990 endete das selbständige Wirtschaften des Landes. Seit der Amtsaufnahme des SPD-Finanzministers Walter Romberg wurde jeden Morgen um neun Uhr in der »Ständigen Arbeitsgruppe Liquidität« ein Kassensturz gemacht. Dabei rechnete man Steuereinnahmen und Kredite zusammen. Jeweils am Freitag gab es dann eine Runde, um eine Vorschau auf Ausgaben und Einnahmen zu erarbeiten und damit einen Staatsbankrott der DDR zu verhindern. So entstanden monatliche Kassenpläne – es ging nur noch von der Hand in den Mund.
Sehr schnell tauchten im Ostberliner Finanzministerium »Leihbeamte« aus Bonn auf, die dem Bundesfinanzminister Theo Waigel berichtspflichtig waren. Dennoch warf er Walter Romberg mehrfach vor, die DDR-Seite habe ihn nicht rechtzeitig und umfassend informiert. Das wies Romberg zurück: »In Bonn wusste man zu jeder Zeit und zu jeder einzelnen Frage detailliert Bescheid.« Und er spürte, dass er nur noch eine Marionette war.
Über das hinter dem Druck aus Bonn stehende Parteiengerangel sprach der SPD-Politiker Walter Romberg erst nach der Einheit: »Regine Hildebrandt und ich haben immer wieder auf die katastrophale Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Osten hingewiesen. Aus Bonn kam eine Menge von Zweckoptimismus, den ich nicht teilte. Ich wollte den nach dem 1. Juli abzusehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch nicht mit schönen Worten überdecken. Außerdem waren Regine Hildebrandt und ich ja Sozialdemokraten und als solche ohnehin ein Feindbild.«
Ostberlin, 1. Juli 1990, im Haus des DDR-Ministerrats: Vor dem Schriftzug »Die Regierung der DDR informiert. Start in die soziale Marktwirtschaft« geben sich Bundesfinanzminister Theo Waigel (rechts) und DDR-Finanzminister Walter Romberg bei einer Pressekonferenz zur Währungsumstellung die Hand. Im Hintergrund links – im geblümten Kleid – die stellvertretende DDR-Regierungssprecherin Angela Merkel. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
Wie harsch der DDR-Finanzminister aus Bonn reglementiert wurde, belegt ein Brief von Bundesfinanzminister Theo Waigel vom 28. Juni 1990, also zwei Tage vor dem Einzug der DM:
»Sehr geehrter Herr Kollege,
eine Pressemeldung vom heutigen Tage, nach der Sie für den Staatshaushalt von einem Haushaltsdefizit für das zweite Halbjahr 1990 von 35 Mrd. DM ausgehen, gibt mir Veranlassung, Ihnen meine tiefe Sorge über den unter Ihrer Verantwortung aufzustellenden Entwurf des Staatshaushaltes für das 2. Halbjahr 1990 mitzuteilen. Ich halte die Bekanntgabe einer derartigen Einschätzung, die mit mir als dem für eine eventuelle Erhöhung der Kreditobergrenze zuständigen Minister nicht abgestimmt worden ist, für wenig hilfreich.
Nach der Beurteilung meiner Mitarbeiter aus der Haushaltsabteilung sollte es bei der gebotenen äußerst strengen Ausgabedisziplin möglich sein, die derzeit bestehenden Mehrforderungen der Ressorts zu reduzieren und die finanziellen Eckwerte des Staatsvertrages, den ich sehr ernst nehme, einzuhalten.
Ich würde es deshalb begrüßen, wenn Sie in der für die kommende Woche vorgesehenen Vorlage an den Ministerrat ein Kürzungskonzept vorlegen, das zu einem ausgeglichenen Staatshaushalt für das 2. Halbjahr 1990 führt. Dabei gehe ich davon aus, dass die Vorlage entsprechend der bisherigen Übung