Leben nach der DDR. Klaus Behling

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Leben nach der DDR - Klaus Behling

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Schluss, dass alle Besitzer von Grund und Boden beruhigt in die Zukunft sehen könnten. Deren Wert würde auf das Hundertfache steigen. Mit einer Verdreifachung rechneten die SPD-Genossen beim Wert der Immobilien. Immerhin eins zu eins dürften sich Antiquitäten umrechnen. Doch dann stellten die Politiker fest: »Der übergroße Teil unserer Bürger hat nichts von all dem. Die Dinge in unseren Wohnungen und Garagen – Autos, Fernsehgeräte, Waschmaschinen und Möbel – werden nach der Währungsunion bestenfalls noch ein Drittel wert sein. In unserem Land fiel erarbeitetes Sachkapital stets an den Staat, und so kommt es, dass bei uns der Bürger höchstens 20 Prozent aller Werte, der Staat dagegen 80 Prozent besitzt. In der BRD ist dies Verhältnis genau umgekehrt. Abgesehen davon, reichen unser aller Ersparnisse vielleicht für den Erwerb von 10 Prozent allen Eigentums im Lande. Zwingend folgt, dass wir große Teile dieses Eigentums unentgeltlich übertragen müssen, soll es nicht für uns verloren sein. Es wäre außerdem pervers, noch einmal zu bezahlen, was uns de facto bereits gehört.«

      Klar war zu jener Zeit bereits, dass mit der DM Subventionen des Staates auf Mieten, Energie, Grundnahrungsmittel, Kinderbekleidung und vieles andere wegfallen würden. Massive Preissteigerungen für die alltäglichen Dinge waren zu erwarten. Um sie abzufangen, sollte – so die Überlegung der SPD – pro Anteilschein monatlich eine Rendite von etwa drei Prozent gezahlt werden. Einen derartigen Ausgleich hielt man auch im Westen für denkbar. Am 9. Februar 1990 erklärte Finanzminister Theo Waigel, dass »auch an die Ausgabe von Volksaktien« gedacht werden könne. Sechs Tage vor der Volkskammerwahl forderte der konservative Wirtschaftsprofessor Wolfgang Engels die Ausgabe einer unentgeltlichen, nicht übertragbaren »DDR-Aktie«.

      Ein paar Leute im Osten machten sich derweil schon einmal Gedanken, wie so eine »DDR-Aktie« aussehen könnte. »Vermögens-Anteil-Urkunde an einem 16 Millionstel Anteil am Volksvermögen der DDR zugunsten, Name, Vorname, geboren am …, ausgegeben am …« würde vorn draufstehen. Dazu gäbe es dann auch noch einen sachdienlichen Hinweis: »Diese Urkunde (und nicht Ihre Ersparnisse) geben Sie in Zahlung, wenn Sie Ihre volkseigene Wohnung als Eigentumswohnung erwerben wollen. Mietwucher wäre dann kein Thema mehr. Wenn Sie ein Gewerbe eröffnen wollen, brauchen Sie Geschäfts- oder Betriebsräume. In einem der vielen unrentablen VEB werden Sie Ihren Raum finden. Sie erwerben ihn mit Ihrer Vermögens­urkunde.«

      So sollte verhindert werden, dass die »DDR-Aktie« schnell zum Spekulationsobjekt würde. SPD-Wirtschaftsexperte Horst Schneider erläuterte dazu in der bereits genannten DPA-Meldung: »Die Anteilscheine der Bürger, die erst nach drei bis fünf Jahren handelbar sein dürften, würden treuhänderisch von den Investmentgesellschaften – mit einer Treuhandbank an der Spitze – verwaltet … Die Bank organisiere die Verteilung des Kapitals in Aktiengesellschaften, Immobilien- und Investmentfonds. Ein Verband der Anteilseigner könnte die Vertretung der vielen Eigentümer übernehmen … Vorgesehen sei aber auch, Anteilscheine zu beleihen, so die SPD. Damit wäre Kapital frei für die Gründung von Kleinbetrieben oder die Schaffung von Wohneigentum. Neben dem Eigentum an Kapitalgesellschaften soll es genossenschaftliches ebenso wie unmittelbar persönliches Eigentum geben. Dem neuen Staat soll nur das Verfügungsrecht über Eigentum bleiben, das gesellschaftlichen oder kommunalen Zwecken dient.«

      Dass die Träume um die »DDR-Aktie« nur Schäume blieben, lag an der Wahlniederlage der SPD am 18. März 1990. Sie erreichte nur knapp 22 Prozent, die zusammengeschlossenen Bürgerbewegungen lagen bei unter 5 Prozent der Stimmen. Enttäuscht schrieb Günter Nooke, damals Mitglied bei »Demokratie Jetzt«, am 20. Juni 1990 im einstigen »Zentralorgan« der SED, Neues Deutschland: »Das erste aus demokratischen Wahlen hervorgegangene Parlament dieses Landes gab den Freibrief für die Totalenteignung seiner Bürgerinnen und Bürger.«

      Die nun gewählte Koalitionsregierung unter Führung der CDU änderte mehrfach das Treuhandgesetz, so dass schließlich die Finanzierung des Wirtschaftsumbaus mit dem verbliebenen »Volkseigentum« im Mittelpunkt stand. Trotzdem wurde noch eine nachträgliche Aufbesserung des Umtauschs der DDR-Sparguthaben erörtert. Ministerpräsident Lothar de Maizière erinnerte sich an eine Bemerkung seines Bonner Beraters Fritz Holzwarth dazu: »Als diese Passage in der Volkskammer diskutiert wurde, befand ich mich … in meinem Büro … Er sagte zu mir, ich solle diesen Quatsch unterbrechen, da die Treuhandanstalt doch nie ein positives Ergebnis erzielen würde, geschweige denn ein solches, das eine nachträgliche Umstellung von Sparguthaben erlauben würde. Ich habe damals Fritz Holzwarth etwas zynisch geantwortet, dass ich den Abgeordneten diese Diskussion lassen wolle. Zumal wir bei der Beendigung der Tätigkeit der Treuhandanstalt ohnehin nicht mehr verantwortlich sein würden.«

      Für die DDR-Bürger war der schöne Traum vom großen Geld zur Kannbestimmung geworden. Das Gesetz machte es aber immerhin noch möglich, »dass nach einer Bestandsaufnahme des volkseigenen Vermögens und seiner Ertragsfähigkeit sowie nach seiner vorrangigen Nutzung für Strukturanpassung der Wirtschaft und die Sanierung des Staatshaushaltes den Sparern zu einem späteren Zeitpunkt für den bei der Währungsumstellung am 2. Juli 1990 reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilsrecht an volkseigenem Vermögen eingeräumt werden kann«. Diese Verheißung wurde später durch das »Gesetz zur abschließenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt« vom 9. August 1994 wieder aufgehoben.

      Weshalb wurde ein »Einigungsvertrag« geschlossen?

      Sechs Tage nach Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der DDR und der Bundesrepublik, am 6. Juli 1990, landete Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble mit einer Bundeswehrmaschine in Berlin-Schönefeld. Zu Beginn der Gespräche teilte ihm Ministerpräsident Lothar de Maizière nach seiner Erinnerung mit: »Die DDR sei bereit und entschlossen, die staatliche Einheit nach über vierzig Jahren der Teilung durch einen Beitritt zur Bundesrepublik und zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gemäß Artikel 23 zu vollenden …« Das entsprach Wolfgang Schäubles Erwartungen. Erste Vorstellungen darüber, wie das alles in der Praxis ablaufen sollte, hatte er bereits am 29. Mai 1990 mit DDR-Staatssekretär Günther Krause ausgetauscht.

      Der Artikel 23 des Grundgesetzes galt seit 23. Mai 1949 und nannte die Bundesländer, in denen das Gesetz in Kraft trat. Laut Präambel galt es jedoch »für das gesamte Deutsche Volk«. Darunter verstand man alle Deutschen, die in den Grenzen des Deutschen Reichs von 1937 lebten. Für sie sah das Grundgesetz vor: »In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.«

      Es gab aber auch einen weiteren Weg zur deutschen Einheit. Er stand im Artikel 146: »Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.«

      Mit 48,15 Prozent der abgegebenen Stimmen hatte am 18. März 1990 das Wahlbündnis »Allianz für Deutschland«, bestehend aus der ehemaligen »Blockpartei« CDU, der Deutschen Sozialen Union (DSU) und dem Demokratischen Aufbruch (DA), die Wahl gewonnen. Es trat für eine schnelle Vereinigung und die Wiederherstellung der Länder im Osten ein. Ministerpräsident Lothar de Maizière: »Wir hatten schon in der Koalitionsverhandlung gesagt, dass wir den Weg über den Artikel 23 gehen, aber nicht ohne Bedingungen. Nach der Wahl habe ich auch gesagt: ›Die Frage des Ob ist entschieden, die Frage des Wie, da werden wir noch ein gewichtiges Wörtchen mitzusprechen haben!‹«

      Das wollte er mit seinem Gespräch mit Wolfgang Schäuble am 6. Juli 1990 beginnen. Der Westpolitiker erinnerte sich: »Die DDR habe den Wunsch, so fuhr de Maizière fort, über die Voraussetzungen des Beitritts ein Abkommen zu schließen, das nicht lapidar Zweiter Staatsvertrag, sondern ›Einigungsvertrag‹ genannt werden sollte. Die Verhandlungsthemen müssten breit gespannt sein, gelte es doch, eine Balance herzustellen zwischen dem, was auf beiden Seiten in den vier Jahrzehnten der Teilung unterschiedlich gewachsen sei.«

      Das scheinbar angemessene Wort »Einigungsvertrag« erfand der damalige Regierungssprecher Matthias Gehler. Erst später kamen ihm Bedenken: »Ich ärgere mich noch heute darüber, denn es ist ein Unwort! Bei jedem Vertrag einigt man sich. Eigentlich, wenn man es genau nimmt, müsste es ›Vereinigungsvertrag‹ heißen.«

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