SPACE 2022. Eugen Reichl
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Was kommt nach dem Hawaii-Express?
Auch die kühnsten Optimisten nehmen nicht an, dass der Flug des „Hawaii-Express“ reibungslos vonstatten gehen wird. Das Gerät ist ungleich komplexer als die Falcon 9, der heutige Standardträger von SpaceX. Selbst die brauchte eine ganze Anzahl von Missionen und viele Fehlversuche, bis der heutige Status erreicht war, bei dem 95 Prozent der Landungen erfolgreich verlaufen. Man kann also davon ausgehen, dass auch mit dem Starship eine größere Anzahl von Flügen stattfinden wird, bis das System perfektioniert ist. Vieles wird schief gehen, doch irgendwann wird es klappen. Wie immer der Flug des „Hawaii-Express“ ausgeht, die nächste Mission danach wird nicht lange auf sich warten lassen. Man kann davon ausgehen, dass SN 21/BN 5 im Frühjahr 2022 auf die Reise gehen wird. Für den Fall, dass der Flug von SN 20/BN 5 wenigstens teilweise erfolgreich war, dann wird es dieses Mal in einen stabilen Orbit und über mehrere Erdumkreisungen gehen. Möglicherweise wird schon bei dieser zweiten Orbitalmission ein Rückflug zur Start- und Fanganlage versucht. Zwei bis drei weitere Testflüge könnten danach im Jahr 2022 noch folgen. Alleine schon SpaceX wird also wieder einmal für ein spannendes Raumfahrtjahr sorgen.
Privater Ausflug in den Orbit
Der japanische Journalist Toyohiro Akiyama war der Erste. Und es gefiel ihm nicht besonders. Akiyama gilt heute als der „Antiheld“ der Raumfahrer. Dabei hatte er sich eigentlich freiwillig gemeldet, aber eher weil er dachte, dass er das seiner Tätigkeit als Journalist schuldete und es vielleicht auch seiner Karriere förderlich sein könnte. Mit seinem Raumflug so richtig angefreundet hat er sich erst lange Jahre danach.
1989 verfiel sein Arbeitgeber, die Tokio Broadcasting Corporation (TBC), auf die Idee, den 40. Geburtstag des Senders mit einem ganz besonderen Ereignis zu begehen. Er beschloss einen bemannten Raumflug für einen seiner Angestellten zu finanzieren. Möglich war das nur mit den Sowjets. Als ausländischer „Zivilist“ im Shuttle-Programm zu fliegen war unmöglich. Vor allem im Licht der noch nicht lange zurückliegenden Challenger-Katastrophe von 1986.
Mit den Sowjets hingegen ging es. Die Raumstation Mir nahm zu diesem Zeitpunkt schon laufend ausländische Gäste auf. Allerdings alles hochtrainierte und für einen Raumflug hoch motivierte Personen, die von ihren jeweiligen Raumfahrtagenturen entsandt wurden. Sie hatten allesamt quasi den Status von Profi-Kosmonauten. Die Idee der TBC war natürlich als Werbung für den Sender gedacht. Die Gesellschaft erhoffte sich eine enorme Steigerung der Zuhörer- und Zuseherquote und vor allem reichlich Werbeeinnahmen. Der Deal wurde abgeschlossen, und man bezahlte den Sowjets dafür einen Betrag, der bis heute nicht genau bekannt ist. Man spricht von einer Summe zwischen 25 und 37 Millionen Dollar. Die Sowjets selber gaben allerdings an, nur 14 Millionen Dollar erhalten zu haben. Am Ende bewarben sich 163 Angestellte des Senders. Ausgewählt wurden am 17. August 1989 der schon erwähnte Toyohiro Akiyama, der langjährige Washington-Korrespondent des Senders und einer seiner Star-Journalisten, und die Kamerafrau Ryoko Kikuchi. Beide meldeten sich im Oktober desselben Jahres zum Training im Moskauer Juri Gagarin- Kosmonautenzentrum.
Akiyama, komplett unsportlich und obendrein ein starker Raucher, der vier Packungen Zigaretten täglich konsumierte, litt schon während des Trainings erheblich an der Sache. Zu diesem Zeitpunkt mag er auch noch gehofft haben, dass Ryoko Kikuchi für die Mission nominiert würde, und die Chancen waren für sie auch nicht schlecht. Doch dann erlitt sie kurz vor dem Flug einen Blinddarm-Durchbruch und Akiyama verblieb als einziger Kandidat. Schließlich startete er am 2. Dezember 1990 zusammen mit Victor Afanasjew und Mussa Manarow in Sojus TM-11 und es war ein persönliches Desaster für ihn. Wohl kaum ein Mensch davor (der US-Senator Jake Garn mag hier die Ausnahme sein) und keiner danach litt so sehr unter der Raumkrankheit wie er. Das hatte auch erheblichen Einfluss auf seine Performance als Berichterstatter. Er sollte täglich in jeweils einer Fernsehsendung und zwei Rundfunkübertragungen aus dem Weltraum berichten, war aber so gehandicapped, dass ihm das nur unzureichend gelang. Manche seiner banalen (Ich sehe jetzt hier grade aus dem Fenster raus) oder skurillen Kommentare (Dicke japanische Frösche im Weltraum lieben die Schwerelosigkeit. Dünne japanische Frösche benehmen sich, als wären sie lieber in Yokohama) hatten seinerzeit einen gewissen Kultstatus. Andere würden in unserer eher humorlosen Zeit als politisch unkorrekt gebrandmarkt werden (Ich kann’s nicht erwarten, wenn ich endlich wieder eine rauchen kann). Insgesamt ließ das Publikumsinteresse gegen Halbzeit seiner knapp achttägigen Mission deutlich nach, und die Quoten des Senders waren ab da kaum besser als vor dem Flug von Akiyama. Am Ende stellte sich die Sache für TBC als finanzieller Flop dar. Man sprach von einem Minus von 7,4 Millionen Dollar, welches das Unternehmen mit dem Projekt machte. Aber immerhin: der erste kommerzielle bemannte Raumflug war Geschichte. Und mit Akiyama war gleichzeitig der erste Japaner in den Weltraum geflogen. In den Jahren danach wurde immer wieder über den tatsächlichen Status von Akiyama diskutiert. War er nun ein „Weltraum-Tourist“ oder eher der erste Weltraum-Geschäftsreisende? Einen ähnlichen Sonderstatus wie Akiyama bekam auch ein halbes Jahr später Helen Sharman, die erste Britin im Weltraum. Für ihren Flug war das „Projekt Juno“ ins Leben gerufen worden. Ihr Flug wurde zum Teil durch ein Konsortium britischer Firmen finanziert. Den anderen Teil bezahlte seinerzeit die Sowjetunion. Sharman, die einen Doktortitel in Chemie hatte, wickelte allerdings bei ihrer Mission ein volles Forschungsprogramm ab. Sie war im besten Sinne als professionelle Kosmonautin unterwegs, aber nachdem sie nicht einem institutionellen Astronautencorps angehörte, wird sie heute eher als „Spaceflight Participant“ tituliert, also als „Teilnehmerin an einem Raumflug“. Im Übrigen war sie zum Zeitpunkt ihres Fluges noch keine 28 Jahre alt, und damit einer der jüngsten Menschen, die je in den Orbit flogen.
Zwischen 2001 und 2009 besuchten insgesamt neun Männer und eine Frau mit Hilfe der Russen die Internationale Raumstation. Der erste war Dennis Tito der letzte Guy Laliberté, der Mitbegründer des Cirque du Soleil. Einer von ihnen, Charles Simonyi flog sogar zweimal. Von diesen insgesamt elf Missionen waren acht rein privat von diesen Einzelpersonen finanziert. Die restlichen drei wurden von Institutionen im Heimatland der „Spaceflight Participants“ bezahlt.
Nach 2009 trat eine zehnjährige Pause im orbitalen Weltraumtourismus ein, denn in der Nach-Shuttle-Ära hatten alle westlichen Astronauten keine andere Möglichkeit zur ISS zu gelangen, als mit Hilfe russischer Raumfahrzeuge. Diese Flüge wurden über die NASA organisiert, die schlichtweg alle freien Plätze bei den Sowjets wegkaufte. Freie Plätze standen somit nicht für „touristische“ Flüge zur Verfügung. Eine Ausnahme war die Mission von Hazza al Mansouri, der im September 2019 mit Sojus MS-15 die ISS für eine Woche besuchte. Sein Aufenthalt war nur deswegen möglich, weil die US-Astronautin Christina Koch einen Besatzungswechsel übersprang, und erst nach fast einem Jahr im Weltraum wieder zur Erde zurückkehrte.
Doch nun ist die