SPACE 2022. Eugen Reichl

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SPACE 2022 - Eugen Reichl SPACE Raumfahrtjahrbücher

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des Fluges noch nicht einmal vollständig fertiggestellt sein dürfte. Super Heavy SN 4 wird für diesen Flug nur mit 29 Triebwerken ausgerüstet sein, anstatt mit 32, wie bei den späteren „normalen“ Einsätzen. Dem Flug vorausgehen werden einige – wahrscheinlich drei oder vier – so genannte „Static Firings“, bei denen die Rakete auf dem Startsockel festgehalten wird. Der erste dieser statischen Brennläufe wird wahrscheinlich nur mit einigen wenigen Triebwerken erfolgen, wahrscheinlich mit drei bis neun der Raketenmotoren. Danach wird das gesteigert, bis beim letzten dieser Probezündungen alle Triebwerke für wenige Sekunden gleichzeitig laufen. Gleichzeitig gezündet werden sie übrigens nicht, sondern in einer genau choreografierten, nur wenige Hundertstelsekunden auseinander liegenden Abfolge, um gefährliche Resonanzen zu unterbinden.

      All das sind extrem kritische Momente, denn beim Betrieb so vieler Raptor-Triebwerke tut sich ein Höllenfeuer auf. Nie seit den Tagen der Saturn V hat es je einen solchen feuerspeienden Vulkan auf einer Startrampe gegeben. Wenn dann beim tatsächlichen Start alle Triebwerke laufen, dann wird der Gesamtschub doppelt so groß sein, wie seinerzeit beim Start zu den Apollo-Mondflügen. Mit den dabei ablaufenden thermodynamischen Prozessen befindet sich SpaceX, wie schon so oft in seiner Geschichte, wieder einmal in absolutem Neuland.

      Elon Musk erklärte in einem Interview im August, er hoffe, dass die Rakete zumindest den Startplatz in geordnetem Zustand verlässt, bevor es zu einem möglichen „RUD“ kommt. Ein RUD ist in seiner manchmal etwas selbstironischen Terminologie eine „Rapid Unscheduled Disassembly“, also eine schnelle ungeplante Demontage, für gewöhnlich auch „Explosion“ genannt.

      Wenn der Rakete so etwas schon kurz nach dem Abheben passiert, ist das nicht schön. Schlimm wäre es aber, wenn es noch auf der Rampe geschieht. Denn die „Stufe Null“, wie Elon Musk den Startplatz gerne bezeichnet, ist wesentlich teurer und komplizierter als die Rakete selbst. Ein neues Starship herzustellen sei zwar nicht billig, so meint er, aber immer noch viel billiger und weniger zeitaufwendig, als eine völlig zerstörte Startanlage neu aufzubauen.

      Gehen wir davon aus, dass die Rakete den Startsockel sicher verlassen hat. Nun folgt der Aufstieg der Rakete. Zunächst vertikal, dann immer mehr nach Südosten hin geneigt. Überraschend für den Betrachter wird sein, wie schnell sich die Rakete bewegen wird. Das Schub-Gewichtsverhältnis des Behemots liegt fast bei 1,5 zu 1. In etwa 12.000 – 16.000 Metern kommt eine weitere sehr kritische Phase: Die Zone der maximalen dynamischen Belastung. Die Rakete durchquert hier die Übergangszone vom transsonischen zum supersonischen Geschwindigkeitsbereich. Hier treten Schockwelleneffekte auf, starke aerodynamische Turbulenzen und vor allem ein enormer Staudruck, der auf der Struktur der Rakete lastet. Diese Zone, von den Raumfahrttechnikern „max q“ genannt, war schon das Grab so mancher Rakete, insbesondere bei ihren ersten Testflügen. Hier passiert vieles, was sich nicht mit letzter Gewissheit berechnen oder auf dem Boden testen lässt. Hier treten Vibrationen auf, es entstehen Resonanzeffekte und ganz generell zeigt sich hier, was eine Rakete aushält.

      Ist auch das überstanden, dann könnte der Flug ruhiger werden. Bis etwa 150-170 Sekunden nach dem Liftoff. Dann erfolgt die Stufentrennung. Die Kombination ist nun etwa 6.500 Kilometer pro Stunde schnell und bewegt sich in einer Höhe von etwa 60 Kilometern über dem Golf von Mexiko. Hier hat sich SpaceX ein völlig neues Verfahren ausgedacht, um den Betrieb pyrotechnischer Vorrichtungen oder vorgespannter Federmechanismen zu vermeiden, über deren Auswirkungen bei so immens großen Körpern wenig bekannt ist. Die ganze Starship-Kombination wird in eine leichte Drehung versetzt und die beiden Komponenten trennen sich sanft und langsam voneinander. Die Stufentrennung wird damit etliche Sekunden länger dauern, und weniger dynamisch und explosiv ablaufen, als das sonst bei Orbitalraketen der Fall ist. Ist der Vorgang abgeschlossen, dann zünden zunächst die sechs Raptor-Triebwerke des Starship und der weitere Aufstieg in den Orbit wird fortgeführt. Nur Sekunden später dreht sich die Super Heavy und zündet drei bis sechs ihrer 29 Triebwerke, um den Rückflug zum Startplatz einzuleiten. In einer weiten Parabel erreicht die 70 Meter lange Stufe nach einigen Minuten das Apogäum ihrer ballistischen Bahnkurve in etwa 110 Kilometern Höhe und fällt dann wieder der Golfküste vor Boca Chica entgegen. Nach etwa sieben Minuten beginnt der „Re-entry Burn“, ein Brennmanöver, mit dem die Geschwindigkeit soweit herabgesetzt wird, dass die thermischen und dynamischen Belastungen beim finalen Landemanöver nicht zu groß werden. Etwa 30 Sekunden vor dem Aufsetzen beginnt der „Landing Burn“. Ein Brennmanöver bei dem zunächst noch drei, danach nur noch ein Triebwerk eingebunden ist. Im Normalfall wird die Super Heavy zum Startplatz zurückkehren. Der „Booster-Touchdown“ sollte etwa achteinhalb Minuten nach dem Liftoff erfolgen. Bei diesem allerersten Flug wird ihre Mission aber nicht dort enden. Aus Sicherheitsgründen erfolgt der Landeversuch etwa 30 Kilometer vor der Küste von Boca Chica im Wasser. Diese erste Super Heavy ist somit als Verlustgerät geplant. Die Rakete wird, wenn sie eine halbwegs saubere Landung hinlegt, schwimmfähig sein (sie hat ja riesige und nunmehr leere Tanks) und kann dann geborgen werden. Allerdings nicht für den Zweck, weitere Flüge durchzuführen, dazu werden die Schäden zu groß sein.

      In der Zwischenzeit setzt die Oberstufe, also das Starship, seinen Flug fort. Er verläuft in Richtung Florida-Straße, wo sie zwischen den Florida Keys und Kuba hindurchfliegt und etwa an dieser Stelle auch die Umlaufbahn erreicht. Für gut zehn Minuten wird das Starship nun im Orbit verbleiben, bis über dem Südatlantik das Retro-Manöver erfolgt.

      Die Landung wird etwa 100 Kilometer nordwestlich von Kaui erfolgen, einer Insel, die zum Hawaii-Archipel gehört. Sollte auch die erfolgreich verlaufen, dann könnte auch die Oberstufe aus dem Wasser geborgen werden, wenn auch nicht mehr in flugfähigem Zustand. Das Starship sollte seinen Flug ziemlich genau 90 Minuten nach dem Liftoff beendet haben, sofern die Dinge nach Plan verlaufen. Die ganze Mission wird fast vollständig über Wasser erfolgen, auch das ist eine Sicherheitsmaßnahme. Land wird lediglich, sieht man von den südlichen Florida-Keys einmal ab, über Namibia und Botswana und später im Flug über Papua Neuguinea berührt. In etwa 100 Kilometern Abstand wird auch das Kwajalein-Atoll passiert, das über exzellente Trackingvorrichtungen des US-Militärs verfügt. Das könnte die Landephase des Starship im Zentralpazifik unterstützen.

      Das zukünftige Landeverfahren

      SN 20/BN 4 sind beide Verlustgeräte. Allerdings ist das nur zu verständlich angesichts des frühen Stadiums der Entwicklung und (angesichts) des technologischen Neulands, das dabei betreten wird. Keinesfalls will SpaceX die teuren Anlagen in Boca Chica gefährden, wenn möglicherweise eine außer Kontrolle geratene Super Heavy in den Start- und Fangturm kracht. Letzterer wird allerdings beim Start von SN 20/BN 4 ohnehin erst in seiner Startkonfiguration fertig sein. Die Fertigstellung der Fanganlage dürfte noch einige Monate länger dauern. Das sensationelle Landeverfahren für die Super Heavy und das Starship, das sich Elon Musk und seine Ingenieure ausgedacht haben, wäre alleine schon einen großen Artikel wert. Vielleicht in SPACE 2023. Für dieses Mal nur kurz: Sowohl das Starship als auch die Super Heavy werden über keine Landebeine verfügen. Eine Ausnahme davon gibt es nur für die zukünftige Mondlandevariante des Starship. Vielmehr werden die beiden Fahrzeuge in der Endphase der Mission den Starttum direkt anfliegen, und dort von gewaltigen Greifarmen gewissermaßen aus der Luft „gepflückt“, und wieder auf den Startsockel gestellt (Super Heavy) oder gleich nach dem Einfangen wieder auf den Booster aufgesetzt (Starship). Ursprünglich war angedacht, genau wie bei der Erststufe der Falcon 9, Landebeine an beiden Stufen anzubringen. Davon ist SpaceX inzwischen abgekommen. Die notwendigen strukturellen Verstärkungen und das (beim Start) tote Gewicht der Landebeine – es wären bei diesem System etliche Tonnen an Masse – können so direkt in Nutzlast investiert werden. Der Startturm dient gleichzeitig als Landeanlage. Eine kühne Idee, erfordert sie doch, dass ein zurückkehrender Booster und ein zurückkehrendes Starship metergenau den Startturm anfliegen, dort vertikal am Turm entlang nach unten sinken, dann von Fangarmen in der Luft ergriffen und danach

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