SPACE 2022. Eugen Reichl

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SPACE 2022 - Eugen Reichl SPACE Raumfahrtjahrbücher

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      Wo stehen wir im September 2021?

      Zum Zeitpunkt, an dem diese Zeilen entstehen (Anfang September 2021), waren die Einsätze der Starship-Prototypen mit einem vollständig erfolgreichen Flug der Serien-Nummer 15 am 5. Mai 2021 abgeschlossen. Dieser Flug ging auf etwa 10.000 Meter Höhe und dauerte knapp sieben Minuten. Elon Musk entschied sich danach, keine weiteren atmosphärischen Testflüge der Orbitaleinheit durchzuführen, sondern gleich den nächsten Flug mit einer kompletten Starship/Super Heavy Kombination und einem teilorbitalen Flugprofil zu wagen. Die ersten Starship-Flugtestgeräte wurden informell als „Starhopper“ bezeichnet. Die Leute von SpaceX bezeichneten das allererste dieser Testgeräte auch scherzhaft als den „Fliegenden Wasserturm“. Der Spitzname kommt nicht von ungefähr, denn dabei handelte es sich tatsachlich um eine klobige Stahlstruktur in der Form eines großen Wasserturms, wie er für die Südstaaten der USA typisch ist. Dieses Testmodell diente dazu, das Grunddesign des Vehikels zu überprüfen, die Funktion des neu entwickelten Raptor-Triebwerks erstmals im Flug zu testen, und die Flugsteuerung des massiven Fahrzeugs zu erproben. Mit dem Grasshopper wurden am 26. Juli und am 27. August 2019 zwei erfolgreiche Flüge bis in 150 Metern Höhe und von etwa einer Minute Dauer durchgeführt. Dem ersten Flug waren drei statische Brennläufe vorausgegangen, bei denen der Starhopper von Klammern auf dem Boden festgehalten wurde. Dem folgten am 4. August und am 3. September 2020 zwei Flüge mit Testgeräten der zweiten Generation, SN 5 und SN 6 (SN für „Serial Number“) bezeichnet. Diese beiden Testfahrzeuge waren bereits wesentlich komplexer als der noch recht einfach gehaltene „Fliegende Wasserturm“. Sie wurden mit jeweils drei Raptor-Triebwerken ausgerüstet und nicht nur mit einem einzelnen, wie beim „Starhopper“. Auch diese beiden Einsätze dauerten jeweils etwa eine Minute und führten bis in 150 Meter Höhe.

      Zwischen dem 9. Dezember 2020 und dem 30. März 2021 kamen die Prototypen der dritten Generation zum Einsatz, die SNs 8 – 11. Mit ihnen wurden erstmals komplexe Manöver geflogen, wie etwa der so genannte „Bellyflop“, bei dem sich das Vehikel im Landeanflug in eine horizontale Lage begibt, um größtmögliche Vorteile aus der atmosphärischen Abbremsung zu ziehen. Dieses Manöver muss unmittelbar vor dem Aufsetzen wieder umgekehrt werden. Das heißt, dass sich das Vehikel nun wieder innerhalb von nur etwa zwei bis drei Sekunden in eine vertikale Position begibt, um die raketengestützte Landung durchzuführen. Für diese Manöver ist es auch nötig, die Triebwerke während der mehrere Minuten langen Freifallphase abzustellen, um sie danach erneut zu zünden. Diese Testeinsätze gingen bis in zwölf Kilometer Höhe und dauerten jeweils zwischen sechs und achteinhalb Minuten. Drei der vier Versuche endeten entweder als Teilerfolg (das Vehikel führte jeweils alle Testparameter bis auf das Aufsetzen erfolgreich durch) oder, wie beim Flug mit der SN 11 als Fehlschlag (mit einer Explosion bereits in der Luft während der Landezündung). Beim Flug mit der SN 10 gelang auch die Landung. Jedoch war das Aufsetzen wegen eines mechanischen Fehlers an einigen Landebeinen und einer etwas ungenügenden Triebwerksleistung so hart, dass es zu Beschädigungen führte, die einige Minuten nach dem Aufsetzen doch noch mit einer Explosion des Testvehikels endeten. Der erste und einzige Flug des Prototypen SN 15 verlief dagegen am 5. Mai 2021 vollständig erfolgreich. Dies führte zu dem mutigen Entschluss, danach gleich mit der gesamten Trägerkombination einen teilorbitalen Versuchsstart zu unternehmen, den „Starship-Testflug nach Hawaii“, dessen Planung immer klarere Formen annimmt und den wir gleich beschreiben werden. Doch zunächst ein wenig SpaceX-Terminologie.

      SpaceX-Terminologie

      Vielleicht fällt Ihnen an dieser Stelle auf, dass die Starships SN 7, SN 12-14 und SN 16 bis 19 nirgendwo erwähnt werden. Genauso wenig wie die Super Heavies Nummer 1-3. Das liegt an der Testphilosophie von SpaceX, die – wie Elon Musk es bezeichnet – „hardware-rich“ angelegt ist. Es gibt also viel zu testende Hardware, und es wird von Anfang an geflogen. Testen und fliegen ist hier die Devise. Die klassischen Aerospace-Firmen machen es anders. Sie testen für viele Jahre nur auf Komponenten- und maximal Subsystem-Ebene. Eines Tages dann, meist viele Jahre nach Programmstart, erscheinen sie dann mit einem komplett fertigen Produkt auf der Startrampe, nur um dann möglicherweise festzustellen, dass dieses Produkt dann – siehe Ariane 6 – schon längst nicht mehr konkurrenzfähig ist. SpaceX pflegt seit Anbeginn des Unternehmens eine iterative Vorgehensweise, wie sie in der „klassischen“ Raumfahrt nur in ihren allerersten Anfängen betrieben wurde. Geflogen wird bereits im frühestmöglichen Stadium, auf einfachen, manchmal „rohen“ Prototypen und mit so genannten „Boilerplates“, die mit dem Endprodukt irgendwann nur noch die grobe äußere Form gemeinsam haben, und manchmal nicht einmal das. Dieses Vorgehen ist schon deshalb notwendig, weil SpaceX seinen Konkurrenten inzwischen so weit vorausgeeilt ist, dass das Unternehmen überall absolutes Neuland betritt. Technische Regionen, wo sich noch nirgendwo ein „klassisches“ Vorhaben etabliert hat. Entwicklung durch „Versuch und Irrtum“ ist hier die Devise. SpaceX baut deshalb Erprobungsträger am laufenden Band und verschrottet sie auch wieder, wenn sie nicht länger benötigt werden. Oberstes Prinzip dabei ist: Niemals knapp an Flugtest-Hardware werden. „Hardware-rich“ arbeiten. Zunächst baute SpaceX für die Starship-Entwicklung insgesamt vier so genannte „Starhopper“, die für Bodentests und kleine Testflüge bis in 150 Meter Höhe verwendet wurden. Sie sind – obwohl nie so benannt – die SNs 1-4. Offiziell begann die „SN“-Bezeichnung mit SN 5, die ebenso wie SN 6 für Tests in Bodennähe und Flugzeiten von etwa einer Minute verwendet wurden. SN 7 flog gar nicht, denn dieses Gerät wurde bei Bodenversuchen – absichtlich – bis zur Zerstörung geprüft. Den Einsatz der SNs 8-11 haben wir bereits eingangs beschrieben. Die bereits teilweise fertig gestellten SNs 12-14 wurden wieder verschrottet, weil mit SN 15 aufgrund der Erfahrungen der vorausgegangenen Flüge ein verbessertes Modell hergestellt wurde. Dieses Modell war – wir haben es oben gesehen – auf Anhieb erfolgreich. SN 16 war da schon fertig gestellt und wird möglicherweise zukünftig noch für einen supersonischen Testflug verwendet werden. Die schon fertigen Komponenten für die SNs 17-19 wurden wieder verschrottet.

      Das Vorgehen bei den „Super Heavies“ ist ähnlich. Die SNs 1-3 waren reine Bodentestgeräte und sind inzwischen teilweise schon wieder demontiert und der Stahlschmelze zugeführt. SN 4 wird die erste raumflugtaugliche Super Heavy sein. All das führt zu der (derzeit wahrscheinlichen) Erstflug-Kombination für den „Hawaii-Express“ von Starship SN 20/Super Heavy SN 4. Es könnte aber auch genauso gut Starship SN 21/Super Heavy SN 5 sein, denn auch diese beiden Testflugkombinationen sind bereits fertig produziert.

      Testflug nach Hawaii

      Wann wird nun der erste orbitale Testflug stattfinden? Und wie wird der Flugverlauf aussehen? Hier zeichnet sich zu dem Zeitpunkt, an dem diese Zeilen entstehen, bereits ein klares Bild ab. Zunächst einmal scheint es nicht ganz so schnell zu gehen, wie Elon Musk es gerne hätte, denn die erforderlichen Genehmigungen von FCC (Federal Communications Commission) und FAA (Federal Aviation Administration) stehen Anfang September 2021 immer noch aus. Die Behörde lässt sich nun schon einige Monate Zeit, diese beizubringen, denn immerhin hat SpaceX den Antrag bereits im Mai 2021 gestellt. Wie schon so manches Mal bei Anträgen von SpaceX zeigen sich auch dieses Mal die Behörden überfordert.

      Es ist aber auch zugegeben nicht ganz simpel beim Erstflug einer fünftausend Tonnen schweren Rakete, der zu drei Viertel um den Erdball herumführen soll. Immerhin scheint es einige Anzeichen dafür zu geben, dass das nicht mehr ganz so lange dauern wird, denn Elon Musk erspart es sich geflissentlich, auf die Trägheit der Behörde hinzuweisen, wie er es in der Vergangenheit schon öfters getan hat. Die Mission der

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