Internationales Strafrecht. Robert Esser
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2. Ersatz des materiellen Schadens (pecuniary damage)
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Grundsätzlich soll der Bf. finanziell in die Lage versetzt werden, in der er sich ohne den Eintritt des Konventionsverstoßes befände (restitutio in integrum; § 10 PD-JS). Zum ersatzfähigen materiellen Schaden zählen daher prinzipiell alle durch den Konventionsverstoß erlittenen Vermögenseinbußen (damnum ermergens; z.B. Lohn- bzw. Verdienstausfall, entgangener Gewinn; Arzt- und Pflegekosten; Zinsverluste; mit einer Geldleistung verbundene Strafen oder Sanktionen)[45] oder zu erwartende finanzielle Einbußen in der Zukunft (lucrum cessans; z.B. Wegfall einer Unterhaltsleistung).
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Einer Entschädigung zugänglich sind allerdings nur solche aktuellen oder zukünftigen finanziellen Einbußen, die unmittelbar auf den konkreten Konventionsverstoß zurückzuführen sind (damage is the result of a violation found; § 8 PD-JS). Diesen eindeutigen Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem festgestellten Konventionsverstoß (clear causal link; § 7 PD-JS) muss der Bf. in seinem Antrag auf Gewährung einer Entschädigung substantiiert darlegen und nachweisen (supported by appropriate documentary evidence; § 5 PD-JS). Ebenso muss die Schadenshöhe nachgewiesen werden; grobe Schätzungen genügen nicht. Die Darlegungs- und Beweislast (sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach) liegt einzig und allein beim Bf. (§ 11 PD-JS).
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Die Anforderungen des EGMR an den geforderten Kausalzusammenhang zwischen Konventionsverletzung und Schaden – sowohl in inhaltlicher als auch rein finanzieller Hinsicht – sind im Allgemeinen beträchtlich. Bei Verletzungen von Verfahrensgarantien kann ein Schaden oft nicht nachgewiesen werden.[46] Der Gerichtshof lehnt es jedenfalls ab, über den Ausgang des Verfahrens zu spekulieren.[47] So spricht der Gerichtshof keine Haftentschädigung bei Verstößen gegen die Verfahrensfairness aus, es sei denn, dass die Inhaftierung selbst mit Art. 5 EMRK unvereinbar war.[48]
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Insbesondere bei der Geltendmachung eines Einkommensausfalls ist zu beachten, dass der Gerichtshof nicht darüber spekuliert, wie das Verfahren ohne den festgestellten Konventionsverstoß ausgegangen wäre (§ 7 PD-JS).[49] Erforderlich sind konkrete, glaubhafte Angaben zum Eintritt, zur Art und zum Umfang der Schädigung (§ 11 PD-JS). Zur Festlegung einer konkreten Summe als Schadensersatz kann die Kammer ein Sachverständigengutachten einholen (z.B. zum Wert einer beschädigten, beschlagnahmten Sache).[50] Weil sich materielle Schäden häufig nur schwer beziffern lassen und sich zudem von immateriellen Schäden nicht immer exakt abgrenzen lassen, entscheidet der Gerichtshof in vielen Fällen nach Billigkeit (assessment on an equitable basis; vgl. §§ 2, 14 PD-JS), was die Vorausberechnung einer zu erwartenden Entschädigungssumme erheblich erschwert.
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Billigkeitserwägungen (reasons in equity) können auch dazu führen, dass die vom Gerichtshof festgesetzte Entschädigungssumme unterhalb der tatsächlich nachweisbaren Vermögenseinbuße liegt (§ 12 PD-JS).
3. Ersatz des immateriellen Schadens (non-pecuniary damage)
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Über die Festsetzung einer Geldsumme als Schmerzensgeld oder allgemein als finanziellen Ausgleich für einen infolge des Konventionsverstoßes eingetretenen immateriellen, psychischen Schaden, Angstzustände, Ungewissheiten oder Unbequemlichkeiten entscheidet der Gerichtshof stets nach billigem Ermessen (equitable basis) unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls.[51] Maßgebliche Faktoren sind die Schwere des Konventionsverstoßes, insbesondere der Eintritt psychischer Schäden, die der Bf. – bzw. sein Angehöriger (z.B. beim Tod des Bf.) – erlitten hat.[52]
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Der Bf. ist gehalten, in seinem Antrag auf Festsetzung einer angemessenen Entschädigung konkrete Vorstellungen zu der angestrebten Entschädigungssumme zu äußern, zumal der EGMR grundsätzlich keine höheren Entschädigungen gewährt als von dem Bf. gefordert.[53] Bei mehreren Konventionsverstößen, die jeweils unmittelbar zu nicht-immateriellen Einbußen geführt haben, kann der Bf. entweder eine seiner Ansicht nach angemessene Gesamtsumme (lump sum) benennen oder aber den von ihm begehrten finanziellen Ausgleich für jeden Konventionsverstoß separat beziffern (§ 15 PD-JS). Es kommt auch vor, dass der Bf. die konkrete Höhe der Entschädigung für immateriellen Schaden in das Ermessen des Gerichtshofs stellt und dieser dann eine Entschädigung in nicht unbeträchtlicher Höhe zuspricht.[54] Keine Entschädigung gewährt der Gerichtshof jedoch dann, wenn lediglich eine unbezifferte Entschädigung gefordert wird und ihre Höhe nicht explizit in das Ermessen des Gerichtshofs gestellt wird.[55]
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Die zugesprochenen Beträge bewegen sich inzwischen in einer Größenordnung von 1.000-10.000 €, in schwereren Fällen (Folter; Tötung von Familienangehörigen; willkürliche Inhaftierung oder Verurteilung) hat der Gerichtshof aber auch schon Beträge von 15.000-180.000 € zugesprochen (z.T. als billige Gesamtsumme für materielle und immaterielle Schäden).[56]
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Ausgeschlossen ist die Zusprechung einer Entschädigung, falls der eingetretene Nichtvermögensschaden bereits durch die Feststellung der Konventionsverletzung vollständig kompensiert wird (sufficient just satisfaction, § 2 PD-JS).[57] Ein finanzieller Ausgleich bleibt dem Bf. ebenfalls versagt, wenn ihm der Nachweis eines immateriellen Schadens nicht gelingt oder sich ein nachweisbarer Schaden nicht unmittelbar auf den festgestellten Konventionsverstoß zurückführen lässt. Das ist bei Verfahrensfehlern häufig der Fall; andererseits hat der Gerichtshof aber auch bei Verstößen gegen die Verfahrensfairness (Art. 6 Abs. 1 EMRK) wegen der mit der („unfairen“) Verurteilung verbundenen Freiheitsentziehung Entschädigungssummen zugesprochen (§§ 7, 8 PD-JS).[58]
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Die Höhe der Entschädigung mindern können sämtliche Maßnahmen, die der betroffene Vertragsstaat zur Wiedergutmachung des eingetretenen Schadens bereits ergriffen hat, selbst wenn diese nicht mit einer ausdrücklichen Anerkennung des Konventionsverstoßes verbunden waren (z.B. Milderung der verhängten Strafe; Anrechnung der Untersuchungshaft).[59] In engen Grenzen kann auch ein für den Eintritt des Konventionsverstoßes mitursächliches Verhalten des Bf. eine die Entschädigung reduzierende Wirkung haben.[60]
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Im speziellen Fall der überlangen Verfahrensdauer (Art. 6 Abs. 1 EMRK) spricht der EGMR eine finanzielle Entschädigung für einen immateriellen Schaden nur dann zu, wenn die Unangemessenheit der Verfahrensdauer nicht bereits im nationalen Strafurteil strafmildernd berücksichtigt worden ist[61] und die Feststellung des Konventionsverstoßes allein keine ausreichende Wiedergutmachung darstellt.
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In zivilrechtlich geprägten Fallkonstellationen berechnet der EGMR die Entschädigung mit einer Summe von 1.000-1.500 € pro Jahr Verfahrensdauer (auf den verzögerten Teil des Verfahrens kommt es insoweit nicht an); der so ermittelte Gesamtbetrag wird um 2.000 € erhöht,