Internationales Strafrecht. Robert Esser
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Einen Sonderfall bei der Berechnung der Angemessenheit einer Entschädigung für Nichtvermögensschäden bilden Sammelklagen. Hierzu hat die GK im Urteil Kakamoukas[64] Leitlinien entwickelt: Wenn in einem verbundenen Verfahren eine überlange Verfahrensdauer festgestellt wird, muss berücksichtigt werden, wie die Zahl der Beteiligten das Ausmaß der Ängste, Unbequemlichkeiten und Unsicherheiten, die jeder von ihnen empfunden hat, beeinflusst. Einer Personengruppe anzugehören, die sich entschlossen hat, ein Gericht wegen derselben tatsächlichen und rechtlichen Umstände anzurufen, hat zur Folge, dass man sowohl die Vorteile als auch die Nachteile eines verbundenen Verfahrens teilen muss. Wenn gemeinsame Verfahren von demselben Bevollmächtigten betrieben und koordiniert werden, sind Kosten und Gebühren für den einzelnen Kläger außerdem normalerweise niedriger als bei einer einzelnen Klage, was den Zugang zu den Gerichten vereinfacht. Außerdem ermöglichen gemeinsam erhobene Klagen den Gerichten häufig, gleichartige Verfahren zu verbinden, was eine gute Justizverwaltung erleichtert und dazu führen kann, das Verfahren zu beschleunigen.
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Andererseits können die erwähnten Besonderheiten verbundener Verfahren bei den Betroffenen die Erwartung wecken, dass der Staat bei der Behandlung ihrer Fälle besondere Sorgfalt walten lässt. Ungerechtfertigte Verzögerungen können deswegen einen möglicherweise erlittenen Schaden vergrößern.
4. Erstattung der Kosten und Auslagen (costs and expenses)
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Erstattungsfähig als costs and expenses sind prinzipiell alle zur Vermeidung, Geltendmachung und ggf. Wiedergutmachung des vom EGMR festgestellten Konventionsverstoßes entstandenen Kosten (§ 16 PD-JS), soweit sie entweder auf nationaler Ebene und/oder im Verfahren vor dem Gerichtshof tatsächlich und notwendig entstanden sind (actually and necessarily incurred, §§ 18 f. PD-JS).[65] Für ein „Entstehen“ der Kosten beim Bf. ist nicht Voraussetzung, dass dieser die einzelnen Summen bereits tatsächlich aufgewendet hat. Ausreichend aber auch erforderlich ist eine gesetzliche oder vertragliche Kostentragungspflicht des Bf. (§ 18 Satz 2 PD-JS).[66]
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Gebühren und Auslagen für Rechtsanwälte (legal assistance) sind erstattungsfähig (§ 16 PD-JS), soweit sie in Hinblick auf den Beschwerdegegenstand auf nationaler Ebene (subject-matter) bzw. den späteren Ablauf des Verfahrens vor dem Gerichtshof (procedure adopted before the Court in this case) als notwendig (necessarily incurred) und angemessen erscheinen (reasonable as to quantum; § 20 PD-JS).[67] Die Erforderlichkeit einer Vertretung durch mehrere Anwälte (sei es auf nationaler Ebene oder vor dem EGMR) kommt nur in ganz außergewöhnlich schwierigen oder umfangreichen Verfahren in Betracht.[68]
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Eine verlässliche Aussage über die zulässige Höhe von Gebühren oder die Erstattungsfähigkeit einzelner Kostenarten wird auch hier dadurch erschwert, dass der EGMR zunehmend nach Billigkeit entscheidet. Nationale Gebührenordnungen (RVG) bieten allenfalls einen Anhaltspunkt für die Angemessenheit der vom Bf. geltend gemachten Gebühren.[69] Honorarvereinbarungen (auch Stundenhonorare) stehen einer Erstattungsfähigkeit nicht entgegen, haben aber keine bindende Wirkung für den Gerichtshof. Dieser verlangt stattdessen meist einen konkreten Tätigkeitsnachweis (nach Stunden) und spricht üblicherweise eine Gebühren- und Auslagenerstattung zwischen 1.500 € und 5.000 € aus (Richtwert für das gesamte nationale und EGMR-Verfahren in Bezug auf den konkreten Konventionsverstoß), je nach Komplexität des Falles und detailliertem Tätigkeitsnachweis können aber auch Gesamthonorare (deutlich) über 5.000 € erstattungsfähig sein.
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(a) Die im nationalen Strafverfahren entstandenen Auslagen für den Verteidiger werden nur erstattet, soweit sie konkret auf die Geltendmachung des – später vom EGMR festgestellten – Konventionsverstoßes vor den nationalen Behörden und Gerichten entfallen. Nicht erstattungsfähig sind daher Kosten, die unabhängig von dem vom EGMR festgestellten Konventionsverstoß angefallen wären. Das gilt insbesondere für die auf nationaler Ebene allgemein – d.h. unabhängig vom Konventionsverstoß und ohne Bezug zum späteren Verfahren vor dem EGMR – entstandenen Kosten der Verteidigung.[70]
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(b) Sonstige dem Bf. im Rahmen des nationalen Strafverfahrens entstandene Kosten (z.B. Gebühren, Auslagen, Kostenvorschüsse im Verfahren vor den Strafgerichten oder im Rahmen einer Haftprüfung) sind ebenfalls nur erstattungsfähig, soweit sie sich auf ein Rechtsbehelfsverfahren beziehen, mit dessen Hilfe der (eingetretene) Konventionsverstoß abgewendet werden sollte. Auch hier müssen sich die Kosten konkret auf die festgestellte Verletzung beziehen (in so far as they relate to the violation found).[71] Das Verfahren vor dem EGMR selbst ist kostenfrei (siehe noch Rn. 540).
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(c) Die Gebühren und Auslagen für einen Rechtsbeistand im Verfahren vor dem EGMR sind ebenfalls erstattungsfähig, soweit sie im Zusammenhang mit einer vom Gerichtshof festgestellten Verletzung der EMRK entstanden sind.[72] Sie müssen vom Bf. detailliert dargelegt werden (set out in detail).[73] Andernfalls verweigert der Gerichtshof eine Erstattung oder entscheidet auch diese Frage nach billigem Ermessen, unter Anrechnung einer etwaigen vom Europarat gewährten Verfahrenshilfe (siehe auch gleich noch Rn. 515).[74] Ebenfalls erstattungsfähig sind – soweit notwendig, angemessen und hinreichend dokumentiert (Rule 60 Abs. 2) – Reise-, Aufenthalts-, Übersetzungs- und Dolmetscherkosten.[75]
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Hinweis
Die für Rechtsanwaltsgebühren für Verfahren vor dem EGMR bestehende Gesetzeslücke wurde zum 1.8.2013 durch den neuen § 38a RVG geschlossen. Darin wird auf die Gebühren im Revisionsverfahren im jeweiligen Rechtszug verwiesen. Der Gegenstandswert ist nach billigem Ermessen zu bestimmen, beträgt aber mindestens 5.000 €.[76]
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(d) Eine auf nationaler Ebene oder vom Europarat gewährte Verfahrenshilfe (legal aid; Rules 100-105) wird stets in Abzug gebracht (§ 18 Satz 3 PD-JS). Zur Gewährung von Verfahrenshilfe vgl. Rn. 382.
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Der Bf. hat die geltend gemachten Kosten durch detaillierte Rechnungen und Quittungen zu belegen (§ 21 PD-JS). Eine detaillierte Anwaltsrechnung („itemised fee note“) wird normalerweise ausreichen, um die Anwaltskosten zu belegen, nicht jedoch eine (Selbst-)Berechnung unter Berufung auf das RVG.[77]
5. Verzinsung der Entschädigungssumme (default interest)
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Neben der Festsetzung der Entschädigungssumme kann die Kammer außerdem beschließen, dass dieser Betrag zu verzinsen ist, wenn die Zahlung nicht innerhalb einer