Der Change-Code. Dieter Lederer
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Erfolg gegen den Trend
Otto hingegen ist der Einzige der ehemals drei größten deutschen Versandhändler, der die Digitalisierung überstanden hat, und gilt gar als Musterbeispiel für den digitalen Wandel. Was hat Otto anders gemacht als die anderen beiden Dinos? Offensichtlich wurden mit einer Melange an Neugierde, Bereitschaft zum Ausprobieren, Investitionswillen und Führungsstärke über die Jahre wegweisende Entscheidungen rechtzeitig, mit präziser Marktkenntnis und der passenden unternehmerischen Intuition getroffen. Beispielsweise ging bereits 1995 der erste Online-Shop an den Start und gleichzeitig wurde der Katalog um CD-ROMs ergänzt, die die Kunden aufs digitale Bestellen vorbereiteten. Später folgten die Gründung einer eigenen Digitaltochter und die Investition in Start-ups. Schließlich gelang der Ausbau des Online-Shops zu einem Marktplatz, auf dem auch andere Händler ihre Ware anbieten können6. Von Amazon will man sich dabei über die eigene Kultur und die sie tragenden Werte abheben. Partner sollen Verlässlichkeit und Fairness erleben, die der amerikanische Versandriese immer wieder vermissen lässt. Wie der Wettbewerb am Ende ausgeht, ist heute noch nicht ausgemacht. Doch die auf Fairness, Offenheit und Innovation basierende Unternehmenskultur, die Otto geprägt hat, lässt hoffen.
Fakt ist, dass auch Quelle einen ähnlichen Weg hätte einschlagen können, sich jedoch anders entschieden hat. Sie wenden möglicherweise ein, dass es einfach sei, das rückblickend festzustellen. Im Moment der Entscheidung ist die Zukunft ungewiss und wir liegen mit unseren Einschätzungen und Prognosen genauso oft falsch wie richtig. Ist es dann ein reines Glücksspiel? Nein, das ist es nicht. Vielmehr spielen dabei eine Reihe gut erforschter psychologischer Effekte eine Rolle. »Kognitive Verzerrung« ist der Fachbegriff dafür, Denkfallen sagt der Volksmund dazu. Sehr prominent ist der »status quo bias« oder Status-quo-Fehler. Er führt zum Bevorzugen der Ist-Situation und damit zum Ablehnen von Veränderungen, insbesondere wenn wir wenig über die möglichen Alternativen und deren Konsequenzen wissen7. Der »social proof effect« oder Mitläufereffekt verführt uns dazu, dem sozial Bewährten nachzueifern, also dem, was andere für richtig halten, egal ob Masse oder einzelne Autorität (Dobelli, Die Kunst des klaren Denkens, 2011). Kombiniert werden beide zu einer toxischen Mischung für Unternehmensentscheidungen. Gerade wenn neue Wettbewerber und ihre Technologien erst in den Kinderschuhen stecken und noch nicht abgeschätzt werden können, belächelt man erste Gehversuche oft überheblich und sucht im Austausch mit Mitbewerbern die Bestätigung der eigenen Sicht auf die Welt. Das führt schnell zum trügerischen und beruhigenden Gefühl, dass »die auch nur mit Wasser kochen«, dass es schon nicht so schlimm wird und es das Beste sei, erst mal abzuwarten.
Täuschende Langsamkeit
Und schon lauert die nächste Gefahr: Die meisten Veränderungen laufen anfänglich sehr langsam ab, fast wie in Zeitlupe. Wenn sie allerdings zur Marktreife kommen, nimmt ihre Geschwindigkeit exponentiell zu und ihr Vorsprung ist kaum mehr einzuholen. Dann brechen die eigenen Kunden- und Marktsegmente in kurzer Zeit weg. Zwar sind die evolutionsbiologisch ältesten Teile unseres Gehirns darauf programmiert, reflexartig auf Bedrohungen zu reagieren, jedoch braucht es dazu das Erkennen einer solchen. Kommt ein neuartiges Gerät auf den Markt, wie 2007 Apples iPhone, von dem man nicht mal genau weiß, was es sein soll – Computer, Music-Player oder Telefon –, und hat dieses zunächst nur einen verschwindend geringen Marktanteil, dann ist es nicht verwunderlich, dass sich Nokia als Platzhirsch unter den Anbietern erst mal entspannt zurücklehnt und keinerlei Bedrohung erkennt.
Die meisten Veränderungen laufen anfänglich fast wie in Zeitlupe ab.
Dabei ist bei genauem Hinsehen nur eines von Bedeutung: Wie groß ist das Potenzial der neuen Technologie und deren Geschäftsmodell, Kunden vom größeren Nutzen derselben gegenüber dem Gewohnten zu überzeugen? Dabei sei die Lifestyle-Komponente, die für Kaufentscheidungen auch eine große Rolle spielt, hier bewusst außer Acht gelassen. Smartphone oder herkömmliches Telefon, Online- oder Offline-Buchkauf, Elektroauto mit Ladenetzwerk oder Verbrenner mit Tankstellen, Online-Videothek oder DVDs, Ride-Hailing oder Taxi? Der Nutzen und die Attraktivität für die Kunden haben am Ende entschieden.
Hier noch ein Beispiel, das nicht in der Vergangenheit liegt, sondern gerade vor unseren Augen abläuft. Es geht um das Münchner Start-up Celus, das sich anschickt, die Entwicklung von Elektronikplatinen mit einer KI-basierten Technologie zu automatisieren. Das bedeutet im Vergleich zum bisherigen, hochgradig manuellen und fehleranfälligen Vorgehen eine massive Einsparung von Geld, Zeit und Personalressourcen. Diese disruptive Erfindung kann zum Game-Changer für eine ganze Industrie werden. Man sollte meinen, dass die Marktführer im Bereich der Technologie für Elektronikentwicklung hellhörig werden. Doch dafür gibt es keine Anzeichen, wie die Wettbewerbsuntersuchungen von Venture-Capital-Unternehmen zeigen, die das Start-up und seinen Markt in Due-Diligence-Verfahren eingehend durchleuchten. Wie kann das sein, mögen Sie sich jetzt fragen, und finden in den genannten Denkfallen eine zutreffende Erklärung: In der Wahrnehmung der Platzhirsche wirken die vorherrschende Technologie und Marktposition unangreifbar durch den »neumodischen Schnickschnack«. Es liegt keine Bedrohung vor und es gibt folglich keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Wie tragfähig diese Einschätzung ist, wird die Zeit zeigen.
Wenn Sie Ihr Unternehmen in allzu liebgewonnene Gewohnheiten verstrickt wähnen, ist Handeln überfällig.
Die folgenden Abschnitte werfen einen detaillierten Blick auf die Vermeidungsstrategien in Unternehmen. Auch wenn das in den allermeisten Fällen keine bewusst gewählten Vorgehensweisen, sondern unwillkürliche Reflexe sind, können sie brandgefährlich sein. Wenn Sie Ihr Unternehmen in allzu liebgewonnene Gewohnheiten verstrickt wähnen, wenn Sie mit unhaltbaren Illusionen umworben werden, Durchhalte-Parolen hören oder gar selbst ausgeben, ist Handeln überfällig. Die Wirtschaftsgeschichte hält zu viele Beispiele parat für gefahrenblindes Zurücklehnen und das Ignorieren von Veränderungen samt den daraus resultierenden dramatischen Folgen.
1.1 Warum Gewohnheiten bequem sind
Gewohnheiten retten Leben, so könnte man es ausdrücken. Letzen Endes ist unser ganzes Leben von Gewohnheiten durchzogen, bis hin zu den Basisfunktionen unseres Körpers, die völlig selbstverständlich und ohne bewusstes Zutun in gewohnter Manier ablaufen. Tun sie das nicht, empfinden wir das als massive Störung und versuchen, die bekannte Ordnung schnellstmöglich wiederherzustellen. Auf Gewohnheiten ist