Der Change-Code. Dieter Lederer
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Rechnen Sie damit, dass Ihnen das Durchbrechen von Gewohnheiten einen gehörigen Strich durch die Rechnung beim Unternehmenswandel macht.
Wir sind Gewohnheitstiere
Wir lieben unsere vertraute Ordnung, wir lieben Verlässlichkeit und Kontinuität, wir lieben Gewohnheiten. Es ist folglich naheliegend, dass uns Neues häufig nicht nur unbequem, sondern bedrohlich erscheint. Die schnellsten Reflexe dazu kommen aus unserem Hirnstamm, auch »Reptiliengehirn« genannt, und sind ca. 500 Millionen Jahre alt: Angriff, Flucht oder Totstellen (Cannon, 1915). Sie zünden durch, wenn wir uns überrascht, in die Enge getrieben oder angegriffen fühlen, gleichwohl wir als moderne Menschen auch andere Optionen zur Verfügung hätten, wie etwa Verhandeln, Klären, Kompromisse schließen und Ähnliches. Rechnen Sie also damit, dass Ihnen das Durchbrechen von Gewohnheiten einen gehörigen Strich durch die Rechnung beim Unternehmenswandel macht. Das ist nichts Persönliches oder sonderlich Individuelles, es liegt vielmehr in unserer menschlichen Grundstruktur. Günstig ist es folglich, mit Veränderungen so umzugehen, dass sie als erstrebenswert, emotional zu befürworten und beherrschbar sowie weder als übertölpelnd noch als bedrohlich wahrgenommen werden. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit erheblich, dass uns die lieben alten Gewohnheiten weniger in die Quere kommen, als wir es heute noch viel zu oft erleben. Mehr dazu im zweiten Teil dieses Buchs.
1.2 Luftschloss Illusion
Wissen Sie, dass die ehrwürdige Traditionsmarke Leica, eine Legende bei professionellen Fotografen und ambitionierten Amateuren, fast vom Markt verschwunden wäre? Die Unternehmensleitung glaubte fest daran, dass die Digitalfotografie eine Modeerscheinung sei und Analogkameras eine Renaissance erfahren würden, ähnlich wie es bei Analoguhren der Fall war. Noch 2004, und damit zehn Jahre nach dem offiziellen Geburtsjahr der Digitalfotografie in Deutschland, hielt der damalige Leica-Chef Hanns-Peter Cohn digitale Kameras für ein vorübergehendes Intermezzo9. Entsprechend turbulent waren die Folgejahre, um von der Beinahe-Insolvenz über Eigentümerwechsel, Sanierung und Restrukturierung wieder in die Erfolgsspur zu kommen. Hätte dieser Verlauf vorhergesehen werden können? Ja, hätte er. Zwar ist Leica nicht die einzige Kameramarke, die ob der verschlafenen Digitalisierung in schwieriges Fahrwasser kam – der Niedergang des Digitalfotografie-Erfinders Kodak ist noch tragischer und der berühmte »Kodak-Moment« seitdem eine weithin bekannte Warnung vor dem Ignorieren von Markttrends10. Gleichwohl haben viele andere Foto-Hersteller die Transformation in die digitale Welt ohne größere Turbulenzen geschafft und Neulinge wie Sony die Chance zum Einstieg genutzt. Worin also lag der Fehler bei Leica und Kodak? Darin, sich der Illusion hinzugeben, dass die eigene Markteinschätzung zutrifft, und sowohl die Erfolge von Wettbewerbern als auch Kundenwünsche gönnerhaft vom Tisch zu wischen. Nein, die Kunden wollten keine analogen Filme und Bilder mehr. Sie zogen die Einfachheit des Bearbeitens, Teilens und Archivierens in der weit überlegenen Welt der Bits und Bytes vor – der über 150-jährigen Geschichte der Analogfotografie zum Trotz.
Retrospektive Verklärung
Vergleichbare Beispiele, in denen disruptive Innovationen vorherige Erfolgsmodelle abgelöst haben, gibt es mehr als genug: Auto und Pferdekutsche, Transistor und Röhren, CD und Schallplatte, Flachbildschirm und Kathodenstrahlröhre, Smartphone und herkömmliches Handy, Musikdownload und CD, Interneteinkaufsportal und Katalogversandhändler – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Man könnte meinen, dass es angesichts der schieren Anzahl und Vielfalt dieser Beispiele leichtfiele, wachsam zu sein, die Märkte sehr aufmerksam zu beobachten, Trends zu erkennen und zu bewerten, um darauf basierend rechtzeitig den Wandel des eigenen Unternehmens einzuleiten. Doch dem ist nicht so. Einer der Gründe dafür ist der »hindsight bias« oder Rückschaufehler (Dobelli, Die Kunst des klaren Denkens, 2011). Dessen Mechanik ist einfach zu verstehen: Retrospektiv betrachtet erscheinen uns Entwicklungen als logisch und zwingend sowie als Resultat unserer Einschätzungen und Handlungen. Dies gilt auch dann, wenn in der Vorausschau Prognosen hoch unsicher waren und ein Gutteil des eigenen Erfolgs von glücklichen Umständen abhing. Insofern glauben wir bereitwillig, aber zu Unrecht, die Qualität und Treffsicherheit unserer Vorhersagen seien weitaus höher, als sie es in Wirklichkeit sind. Die Folgen reichen bis zu katastrophalen Fehleinschätzungen von Marktentwicklungen und darauf basierenden Fehlentscheidungen.
Dazu kommt, dass es sehr verführerisch ist, bahnbrechende Innovationen als irrelevant abzutun, die zunächst improvisiert und hemdsärmelig daherkommen. Als 2006 in Kalifornien ein Verrückter fast 7000 Laptop-Batterien in einen Roadster einbaute und das Ergebnis ein Elektroauto nannte, lachte die Fachwelt darüber. Als derselbe Verrückte 2012 eine batterieelektrische Oberklasse-Limousine auf den Markt brachte und anfing, ein Schnellladenetz dazu aufzubauen, lachten schon weniger. Sie ahnen es bereits, die Rede ist von Tesla. Den wahren Kern dieses Angriffs auf die träge gewordene Old-School-Autoindustrie haben die meisten Experten jedoch über viele Jahre hinweg nicht erkannt oder nicht wahrhaben wollen: Es geht nicht nur um ein Auto, es geht um ein ganzes Ökosystem, das so um Räder, Sitze und Lenkrad herum gebaut ist, dass es softwaregetriebene Innovationen und darauf basierende Geschäftsmodelle ermöglicht, von denen die allermeisten sonstigen Hersteller sehr weit entfernt sind11. Für die Kunden heißt das: Ihre Fahrzeuge gewinnen durch bequeme und kostenlose Updates über die Zeit an Features und an Wert. Das schlägt sich als Begeisterung, Zufriedenheit und emotionale Markenbindung ebenso nieder wie im Wiederverkaufspreis. Zwar mögen die Spaltmaße und so manch anderes Qualitätsproblem der Tesla-Fahrzeuge Anlass zum Zweifel geben, das Gesamtpaket jedoch wird heute von Experten als dem Wettbewerb um Jahre voraus eingeschätzt, und dies bei gleichzeitig deutlich höherer Innovationsgeschwindigkeit.
Selbstüberschätzung statt Selbstreflexion?
Zu viele Unternehmer und Manager vertrauen den Luftschlössern ihrer eigenen Illusionen und hinterfragen diese selbst dann nicht konsequent genug, wenn am Markt schon deutlich sichtbar wird, dass neue Technologien längst den Siegeszug angetreten haben. So diagnostizierte Stephen Elop 2011 als Nokia-CEO zwar, dass sein Unternehmen im Smartphone-Markt weit ins Hintertreffen geraten war. Tatsächlich war der Marktanteil bei Neuverkäufen gegenüber der Spitzenzeit in 2007 um rund die Hälfte gesunken12. Doch leider kam der Chef über eine Brandrede kaum hinaus und ließ energisches Gegensteuern vermissen. Trotz zutreffender Analyse war das Handeln immer noch vom Vertrauen in die eigene Technologie und der Hoffnung auf evolutionäre Lösungsfähigkeiten bestimmt. Der Rest ist Geschichte.
Selbstüberschätzung verhindert Veränderung.
Offensichtlich spielt dabei eine zweite Denkfalle eine Rolle, die die Psychologie »overconfidence effect« oder Selbstüberschätzungseffekt nennt (Dobelli, Die Kunst des klaren Denkens, 2011). Dieser