Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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schwebt im Genuß ihrer selbst: und vermischt erkennt sie nur die Vermischung.

      Liebe und Krieg ist ewig auf den Grenzen verschiedner Natur; jene nennen wir Ordnung, Leben, Schönheit, und wie die Namen alle lauten. Wie Kinder scheuen wir Tod und Vergehen; wir würden bei beständiger Dauer in immer einerlei Zusammensetzung vor Langerweile endlich auf ewiger Folter liegen in unsrer kleinen Eingeschränktheit. Die Natur hat sich aus eignen Grundtrieben dies Spiel von Werden und Auflösen so zubereitet, um immer in neuen Gefühlen selig fortzuschweben; und unser Beruf ist, dies zu erkennen und glückselig zu sein. Pythagoras hatte recht: die Welt ist eine Musik! Wo die Gewalt der Konsonanzen und Dissonanzen am verflochtensten ist, da ist ihr höchstes Leben; und der Trost aller Unglücklichen muß sein, daß keine Dissonanz in der Natur kann liegenbleiben. Die höchsten Granitfelsen der Alpen und des Kaukasus zermalmen endlich die Regen des Himmels und die Katarakten der Eisdecken auf ihren Gipfeln, und unsre Jahrtausende sind Momente der Ewigkeit. Kommen wir einmal zum Teil in den Mittelpunkt des Ozeans und der Erdkugel, so kommen wir auch in Sonnen und Gestirne und werden eins damit.

      Jedes Element hat nach höhern und mindern Graden von Regsamkeit die Eigenschaft, zu leben, zu empfinden; und die mancherlei Proportion gibt jedem einzelnen Dinge seinen besondern Urcharakter. Dem Affen ein wenig Licht und Luft mehr im Urton: und er stünd auf der Leiter der Schöpfung über den Homeren und Zenonen, freilich alsdenn auch in andrer Gestalt. Unser Gehirn scheint der hohe Rat der Republik zu sein, sich augenblicklich zu bewegen und die neuen Erscheinungen und Gefühle der Sinnen aufzunehmen und darnach für das kleine Ganze zu sorgen.

      Wer hat die Elemente so untersucht, daß er einem allein das Leben und Denken zuschreiben will? Warum sollten nicht alle mehr oder minder dazu fähig sein und die ganze Natur leben, denken und empfinden?

      Der Mensch macht ein Ganzes aus, und es ist alte Pedanterei, denselben nur in zwei ganz entgegengesetzte verschiedne Hälften zu teilen, wie man hernach bei allen Tieren und der kleinsten Mücke tun muß. Aber Gewohnheit zwingt alles unter ihre eiserne tyrannische Herrschaft, bis auf die sich frei wähnendsten philosophischen Häupter, die davon nichts träumen.

      Ardinghello. Auf einen Hieb fällt kein Baum, geschweige eine Zeder, die so viele Jahrhunderte, durch alle bekannte Zeitalter steht und mit ihrem immer grünenden Gipfel jedem Sturm trotzt. Die Menschen werden heutzutag schwerlich glauben, daß das Beste von ihnen nur Sonne war und die Planeten erleuchtete; sie sind zu stolz dazu geworden. Geschweige daß ihre Körper nur eine gewisse Ordnung seien, Wohnungen, Gasthöfe der Elemente, die augenblicklich durch sie reisten, sich nur Momente aufhielten, sie lebendig, vollkommner und bequemer für die nachfolgenden machten.

      Demetri. Und doch muß auch dem Dümmsten auffallen, daß er alle Woche wenigstens ander Fleisch und Blut hat; daß ihn sein Magen jeden Tag ein paarmal an neuen Ersatz erinnert; daß er stündlich stirbt und wieder aufersteht; immer etwas anders ist, immer ist wie das Wetter, das er sieht und einatmet. Und was wollt Ihr mit allen bekannten Zeitaltern? Habt Ihr vielleicht den Aristoteles gelesen?

      Ardinghello. Seine metaphysischen Schriften nur durchgeblättert! teils, weil sie mir zu weitläuftig und gleich anfangs mit Fleiß dunkel und rätselhaft geschrieben schienen, und teils, weil ich für wahr hielt, was Xenophon beim Eingange der Denkwürdigkeiten vom Sokrates meldet, nämlich: die Metaphysiker wären ihm vorgekommen wie Rasende, da die berühmtesten derselben schnurstracks sich entgegenstehende Meinungen behaupten. Die ganze Wissenschaft sei zu nichts nütze; und er hätte sich verwundert, wie es ihnen nicht offenbar wäre, daß unser Verstand darüber nichts Gewisses erfinden könnte. Die menschlichen Dinge allein machten uns genug zu schaffen.

      Kapitel 36

       Inhaltsverzeichnis

      Demetri. Auch beim Sokrates ist nicht alles Gold! Dies war zuverlässig in die Luft gesprochen, ohne hinlängliche Überlegung. Das Allgemeine können wir wissen, aber nicht das Besondre. Ohne Arbeit und Mut wird dem Menschen nichts Großes verliehen. Wer weiß, wie viele Jahrhunderte noch dazu gehören, ehe wir in Erkenntnis der Natur so weit gelangen, als unser Verstand reicht, und das höchste Ziel berühren! Viele verzweifeln daran, nur etwas Wahres zu finden, und wollen immer im Finstern herumtappen; aber es kommen Augenblicke, wo sie erschrecken, ein bloßes Nichts zu sein, ohne sich mit der Natur zusammen zu denken. Harmonie mit dem Weltall ist das höchste Gut! und welcher gute Kopf will sein Leben lang zu dem Gesindel gehören, das die Wetterfahne aller Meinungen ist? Jeder muß hier endlich so weit, als er kann; und es hilft da kein Sträuben. Unsre Bestimmung, wenn wir eine haben sollen, kann keine andre sein, als die verschiednen Naturen des Weltalls in der Zusammensetzung zu fassen, woraus wir bestehen. Der Mensch selbst ist gleichsam eine herumwandelnde Metaphysik; wer wollte sich nicht damit beschäftigen? Sie ist die erste und höchste aller Wissenschaften.

      Wenn wahr ist, wie es denn allen Schein der Wahrheit an sich trägt, was Alkibiades vom Sokrates in Platons Gastmahl erzählt, so hat auch hierin der, den das Orakel (vielleicht hauptsächlich deswegen, was Ihr eben aus den Denkwürdigkeiten von ihm angeführt habt!) zum Weisesten erklärte, doch auch hierin seine Schuldigkeit beobachtet. Er stand einst im freien Felde vom Morgen an, den ganzen Tag über und die Nacht durch, unbeweglich auf einem Flecke in dem allertiefsten Nachdenken versunken und verloren: und betete die Sonne an, als ihre reine volle Feuersphäre über die östlichen Gipfel Strahlen des Lebens wehte.

      In den geringsten Wissenschaften und Künsten herrschen verschiedne Meinungen; und es ist natürlich, daß in der höchsten die mehrsten herrschen, weil alle zum steilen Gipfel wollen und nur äußerst wenige dazu genug Atem in der Brust, Stärke in den Knochen und ausdauernden Mut und Verstand gegen alle die Gefahren haben, die in den halsbrechenden Pfaden auf sie lauern.

      Nutzen? Soll man denn alles des Mauls und Magens wegen tun? und macht Erkenntnis der Wahrheit nicht schon an und für sich glückselig? ist sie nicht die höchste Glückseligkeit? Gehört das Vergnügen, die Freude nicht zu Nutzen?

      Freilich muß jeder den Weg endlich selbst machen. Es muß erst einer wissen, wo der Ätna liegt, eh er hinauf will. Und dann ist für uns die Reise durch die Scylla und Charybdis die kürzeste, und durchaus zu Pferd ist nicht möglich. Oder: man muß ohngefähr so weit sein, als sie selbst waren, ehe man die Systeme großer Philosophen vollkommen versteht; und ferner sie nicht auf den ersten Seiten vollkommen begreifen wollen; man muß sie erst ganz kennen, ehe man nur etwas von ihnen in allem seinen Verhältnis einsieht.

      Das System des Aristoteles liegt, es ist wahr, noch zum Teil da im Chaos; aber binnen zweitausend Jahren hat sich kein beßrer Architekt gezeigt. Er trug allen philosophischen Reichtum jener glücklichen Zeiten zusammen und brütete darüber wie ein Gott. Seine physischen und metaphysischen Werke sind ein langwieriges Studium, und es läßt sich in einem Gespräche davon kein Auszug machen. Ihr müßt sie selbst lesen; und es wird Euch Lust sein, zu sehen, wie er die Natur herumarbeitet und bis auf ihre kleinsten Bestandteile zergliedert, wenn Ihr auch nur den Tiefsinn des Menschen an ihm bewundern solltet.

      Für jetzt nur noch einige Rhapsodien nach ihm und gegen ihn, und Launen und Einfälle. Stellt Euch das Universum wie eine Laute vor, worauf ich Euch nach augenblicklicher Lust und Liebe vorphantasiere. O nichts ist reizender und lockender dazu! es ist der schönste Gegenstand meiner Poesie in der Einsamkeit. O es macht mich glücklich, und mich überläuft wieder zuweilen ein menschlicher Schauder, wenn ich bedenke, was ich vielleicht schon war und ferner sein werde! was ich jetzt bin und den folgenden Morgen, die folgende Stunde schon vom neuen anfange zu sein. Übrigens genieß ich jeden Moment der Spanne meines gegenwärtigen Lebens, so gut ich kann, und ergebe mich Kleinigkeit in die Umwälzungen der ungeheuern Massen.

      Was Demetri darauf ferner sagte, davon mehr nur den Inhalt als seine Worte, insoweit ich denselben

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