Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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sich mit einer ersten Empfindung beginnen und sich mit gleichartigen und andern Wesen paaren und hernach zusammenschaffen und bilden mußte. Wenn nun Verstand ursprüngliche Empfindung ist, so ist er auch der Schöpfer von allem Individuellen.

      Der erste Trieb in jedem Lebendigen ist das Vergnügen oder nicht allein und vereinzelt zu sein. Der zweite weitere Erkenntnis und größere Kraft zugleich: dadurch erhob sich die vereinzelte Natur vom Wurm an bis zum erhabnen, freien, vielfassenden und verbindenden klaren Menschen, der deswegen die Sprache und alle Künste erfand. Der dritte, ungeheure, der alles unglücklich macht, die ganze Welt zu erkennen und sie sein zu wollen; und in der Tat tobt immer das dunkle Gefühl in uns auf, sie einmal gewesen zu sein und wieder zu werden.

      Kapitel 37

       Inhaltsverzeichnis

      Ardinghello. Ich erstaune über Eure kühnen Behauptungen, und es wird mir vieles Nachdenken kosten, deren Wahrheit oder Falschheit zu finden.

      Wenn Feuer sich in Luft verwandelt: bleibt es Feuer oder nicht? Und ferner: so wie nur eine gewisse Materie ist, die Licht hat, und eine, die Ton hat, so kann es ja auch eine geben, wenn man das Wort hierbei brauchen darf, die nur denkt und Verstand hat, Ursache der Bewegung ist, immer wirkt und nie leidet, bis das ganze Gebäude um sie her zusammenfällt.

      Demetri. Wenn Feuer sich in Luft verwandelt, so entsteht eben ein neues Ganzes aus Luft und Feuer. Und so sind wir selbst ein Ganzes aus verschiednen Elementen, so rein und harmonisch verschmolzen, daß wir in uns bei gesundem Zustande durch das feinste Bewußtsein nichts unterscheiden.

      Wenn nicht jede Art von Element sich selbst regte und bewegte, so würde jeder Leichnam ewige Mumie sein und der Wind immer von Osten her wehen.

      Was den Verstand betrifft, so nimmt Aristoteles selbst, wie Plato, nach dem Anaxagoras, dessen Meinung ich freilich nach meinem eignen Begriff erklärte, eine eigne Materie für den Verstand an und unterscheidet sie von aller andern, und sogar von der Seele, die, wie er sagt, im ganzen Körper sich befindet. Die Seele des Auges ist das Sehen, die Seele des Ohrs das Hören und so die des Gefühls das Fühlen. Die Seele des Baums ist, daß er wächst und seine Nahrung mit den Wurzeln einsaugt. Sie ist in allem Lebendigen dieselbe. Kraft in Ausübung ist ihm Seele, und kein Körper, kein Element ohne Seele. Aber Verstand hat seine eigne Natur, behauptet er, die nicht leidet. Das Auge kann verblendet, das Ohr betäubt werden, der Verstand hingegen von dem tiefsten Denken unbefangen auf das leichteste übergehen. (Vielleicht nur bei dem Fürsten der Philosophen! Andre müssen wenigstens ein Schachspiel dazwischensetzen.) Und doch soll derselbe ein besonder eigen Teilchen, wie er sich ausdrückt, nur der menschlichen Seele sein, und sagt, diejenigen hätten recht, die ihn darin den Ort der Formen nennten; Denken, Urteilen wäre Aufnehmung, Schaffung von Formen. Die sinnliche Kraft der Seele könne nicht ohne Körper bestehen, der Verstand aber davon abgesondert werden; er sei sich allein Materie. Nur sei er leidend und vergänglich, insofern er etwas denke und sich an etwas erinnere; gleichsam wie der Sonnenstrahl, wenn er an den Dingen Farbe wird. Das Denken aber und Erinnern mache sein Wesen nicht aus; an und für sich selbst denk er nichts, und so sei er unsterblich.

      Folglich ist die Seele, als Verstand betrachtet, nur unsterblich, insofern sie nichts denkt.

      Dies ist wohl eine von den schwachen Seiten seines Systems, um den Vorrang des Menschen vor andern Tieren zu erklären; und hierin weicht er ab vom Anaxagoras, der seinen Verstand allem Lebendigen zuschreibt.

      Wenn der Verstand nur unsterblich ist, insofern er nichts denkt, so ist alle andre Materie auf eben die Weise unsterblich, nämlich insofern sie außer der Zusammensetzung gedacht wird; und wenn ich den Verstand auf eine andre Art erklären kann, so brauch ich keinen Gott, den Knoten des Drama aufzuhauen. Kurz, es ist ein Schlupfwinkel, worin wir nicht weiterkommen.

      Der Beweis, womit Anaxagoras, Plato und Aristoteles das Dasein des Verstandes dartun, ist: es muß ein Wesen geben, das unvermischt ist und alles durchdringen kann, damit es Gewalt darüber habe und erkenne.

      Fürs erste also ist jedes Element in seiner Reinheit unvermischt; und so Haufen Elemente in ihrer Reinheit beisammen.

      Sind die Elemente an ursprünglicher Feinheit verschieden, so ist, nach aller Erfahrung, wahrscheinlich das Feuer oder Lichtelement das feinste. Folglich hätte das Feuer alle Eigenschaften, die sie zu ihrem Verstand erheischen.

      Ist dies Seele, was, nach dem allgemeinen Begriff, andres durchdringt, so kann man auch mehrere Arten von Seelen annehmen. Feuer durchdringt die Luft; Luft und Feuer durchdringen das Wasser; und Feuer, Wasser und Luft durchdringen die Erde, und bändigen sie nach ihrem Wohlgefallen, und bequemen sich wieder als der Grundfeste freundlich nach ihr. Und so überhaupt eins nach dem andern. Herrschen ist Wohltun, alle andre Gewalt Tyrannei. Wer weiß, ob der Gegensatz von Feuer und Erde nicht zu stark ist, ob Erde nicht zu grob und Feuer zu fein gegeneinander sind, um vollkommen aufeinander zu wirken? Ob nicht Mittel dazwischen sein müssen? (Wie zum Exempel in den mildern Erdstrichen; in Griechenland, dem Klima der Schönheit.)

      Überhaupt sagt uns alles, daß da die höchste Vollkommenheit und Glückseligkeit ist, wo die höchste Fülle. Wenn die Zusammensetzung so harmonisch, so proportioniert ist, daß jedes Element sich regen kann nach seinen Kräften, entsteht der höchste Verstand; eins erkennt das andre auf diese Weise am reinsten und vollkommensten. Und dies möchte wohl der Aristotelische Verstand sein, der durch alle die feinen Röhren des menschlichen Gebäudes im Gehirne sich absondert; die reinsten Verschiedenheiten von Feuer, Luft und Wasser und Erde kommen hier lauter zusammen und machen ein göttliches Ganzes, wie in unendlichen Massen die Welt ist.23 Bei den andern Tieren sondern sie sich nur nicht so rein und in der Fülle und Proportion ab, von Urbeginn durch den Druck der umgebenden Kräfte daran verhindert.

      Ardinghello. Aber die ersten Geschöpfe Paar und Paar, Tier und Mensch, und Gras und Baum, wo leitet Ihr und Aristoteles diese her?

      Demetri. Wie unser Verstand in der Zusammensetzung Wissenschaften und Künste aus verschiednen Erfahrungen der Sinnen bildet, aus Empfindungen, die mit Bewegung und Sturm und Aufruhr in uns kommen, eine Iliade, einen Ödip, so kann er auch von Anbeginn mit Hülfe der ganzen Natur die Gestalten der verschiednen Gattungen gebildet haben. Man muß bei Zeugung und Untergang allezeit auf Elemente kommen, die unzerstörbar sind und aus welchen alles Zusammengesetzte wird.

      Unser Erdboden hat ohne Zweifel, nach Vernunft und Naturgeschichte, einmal in einer weit glücklichern Lage zu Entstehung der Geschöpfe geschwebt als jetzt. Und wer weiß, ob nicht die edelsten nach Aufhörung derselben untergegangen sind? Die Geschöpfe sind ihrer Natur nach nicht in einem Lande und wahrscheinlich nicht auf einmal entstanden.

      Aristoteles braucht gewöhnlich das Gleichnis: Der Mensch und die Sonne erzeugt den Menschen; doch erklärt er sich etwas deutlicher hierüber in seiner Lehre von Gott und der Zeugung. Und sehen wir nicht, daß die Sonne noch jetzt Ursache des Frühlings und der Begattung ist? Warum sollte sie nicht auch im Anfange bei den ersten Geschöpfen Hülfe gewesen sein? Jedes Geschöpf wächst aus seinen Elementen hervor, und die Sonne löst mit ihrer Wärme deren Kräfte, daß sie frei wirken können.

      Jedoch haben immer über die Entstehung des Einzeln die alten Weisen die sonderbarsten Meinungen behauptet. Einige nahmen für jedes Geschöpf ein verschieden Element an, und nicht allein für jedes Geschöpf, sondern für jedes Glied desselben. Da waren zum Beispiel verschiedne Elemente für den Menschen, die sich wieder für Kopf und Hand und Fuß abteilten und zerstreut in der Natur lagen. Die Weiber sammelten dieselben bei der Begattung in sich, wo sie sich alsdenn zu einem Ganzen vereinigten. Freilich die leichteste Art, das Rätsel aufzulösen! wenn noch andre

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