Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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oder Arm- und Beinteile? Und so genau alle von derselben Proportion? Und wie halten sich diese Teile in den Speisen auf, wovon sie sich nähren? Das Herz eines Alexander in Tauben und Hasen, und Prokoli und Blumenkohl, und anderm Fleisch und Gemüse, wovon Olympia ihre Mahlzeiten hielt? Der Kopf Homers in Hühnern und Gänsen und den Fischen des Ionischen Meers? Offenbare Albernheiten!

      Andre glaubten, der Same jedes Individuums wäre von Ewigkeit im Weltall und folglich nur eine gewisse Anzahl von Menschenkernen, Löwen- und Adlerkernen, die kommen und wieder gehen und jedesmal sich in die vorhandne Materie kleiden. Zum Beispiel: Alkibiades war einmal da zu Athen und so ein andermal zu Rom und Konstantinopel und Lappland und Peru. Es gehörte nur Glück oder Unglück dazu, daß er von diesem oder jenem Winde da- oder dorthin geführt und von einer Königin oder Magd aufgefangen und geboren wurde; und seine Individualität änderte sich jedesmal nach den Umständen.

      Diese Meinung hat weniger Schwierigkeiten. Aber aller Same ist zusammengesetzt: und wie erhält sich die Zusammensetzung in der unaufhörlichen Zermalmung desselben, die wir bei allem Einzelnen in der Natur sehen? Und noch finden wir überall, daß Same wird und nicht ist.

      Im Gegenteil ist sehr wahrscheinlich, daß, wenn alles, was auf unsrer Erdkugel Mensch werden könnte, auf einmal wirklich Menschen und unzählbare Scharen von Völkern wäre und man sie an einen neuen Ort, in andre Planeten versetzte: daß, sag ich, vielleicht wenig von derselben übrigbleiben und wir alsdenn erkennen würden, daß sie, samt allen Tieren, Pflanzen und Bäumen, nur ein runder Klumpen Kirchhof gewesen sei, wo die Lebendigen von den Toten aßen. Und ist's nicht augenscheinlich, daß immer ein neu gesundes Paar aus den Früchten von wenig Hufen Landes alle andre Zonen bevölkern könnte?

      Kurz, jedes Einzelne ist nur durch die zusammengesetzte Form das, was es ist; jede Art von Wesen ist sich übrigens gleich. Und die Form entsteht durch die innre Proportion verschiednen Wesens mit Hülfe der äußern Dinge.

      Ardinghello. Also könnte die Erdkugel möglicherweise zu ebenso ungeheuern Scharen Eseln, Maulwürfen, zu einem unendlichen Mückenschwarm werden als zu unzählbaren Völkern von Menschen; und Mann und Weib sind weiter nichts als Anlaß zu neuen Männern und Weibern, wozu sich die Elemente von selbst bilden? Der Mensch zum Beispiel ist also nur eine gewisse Proportion verschiedner Elemente? Ein Knabe von dreißig Pfund bestünd ohngefähr aus sechszehn Pfund Erden und Salzen, dreizehn Pfund Wassern und einem Pfunde Lüften und Feuern; und der einzige Unterschied zwischen ihm und einem Kälbchen wäre, daß dies etwa nur ein halbes Pfund Lüfte und Feuer zu seinen Bestandteilen habe! Dies allein veränderte die Form und machte Sokraten und Platone zu Kälbern und Kälber zu Platonen und Sokraten?

      Der Schluß daraus, ist er nicht, daß alle Geschöpfe die Gegenstände nur nach ihrer Form empfinden und beurteilen und wir so vielerlei Wahrheit von demselben Dinge haben, als verschiedne Gattungen schon von Tieren sind? Jedes handelte und dächte nach seiner Form und hätte nach derselben seine Begierden; und es gäbe überhaupt keine allgemeine Wahrheit, und die ganze Welt sei ein Tollhaus?

      Also wär es wohl keine Fabel mehr, daß Medea einen Greis in kleine Stücke zerhacken und wieder jung machen könnte, wenn sie nur den gehörigen Grad der Wärme träfe, wodurch sie sich wieder zu einem harmonischen Ganzen zusammenzögen?

      Demetri. Richtig, mein Freund, wenn sie den gehörigen Grad der Wärme träfe und wieder hinzubrächte alle Augenblicke, was vom gehörigen Wesentlichen abdünstete, wie im Mutterleibe geschieht, und die vorige Lebenszeit schon abgedünstet wäre.

      Die zusammengesetzte Form ist nur das Mittel: das Wesen selbst erkennt, wie vom Urbeginn, die Wahrheit. Alle Sinnen fassen nur einseitig: Verstand das Ganze, und der reinste am vollständigsten. Die Tiere sind nur dadurch verschieden, wie der Mensch, daß sie mehr oder weniger, vollkommen geläutert oder minder vollkommen, davon besitzen. Und eben dieser ist die erste gegebne Proportion ihrer ganzen Zusammensetzung.

      Ardinghello. Aber wieder alle Gattungen von Tieren und Pflanzen, Paar und Paar von dem Grashälmchen an bis zum Menschen? Männchen und Weibchen, wie wollt Ihr dies erklären?

      Macht der Verstand in den Elementen allein Mann und Weib, so muß einmal, nach dem komischen Einfall des Aristophanes beim Plato, Mann und Weib bei allen Gattungen zusammengewachsen gewesen sein und ein Ganzes gebildet haben: sonst bleibt's unerklärlich, wie die Geschöpfe sich aus sich selbst so verschieden und doch paarweise sollten geformt haben.

      Demetri. Man kann gewiß leichter über diese Dinge schreiben als ein Gespräch führen! Dort läßt man solche Fragen aus, und ich habe noch bei keinem Weisen hierüber eine Antwort aus bloßer Vernunft gefunden. Weil ich aber einmal, wie einst der Platonische Sokrates, die Löwenhaut umgeworfen habe, so will ich aushalten.

      Alles, was ich darauf sagen kann (fuhr er lächelnd fort), ist folgendes: Wenn ich keine Menschen- und Eselelemente, keine Nasen- und Lippen- und Lefzenelemente anzunehmen Ursach finde, so find ich es eher notwendig, männliche und weibliche Elemente in der Natur anzunehmen. Der Mann ist der vollkommenste, der ganz aus männlichen Elementen zusammengesetzt ist, und das Weib vielleicht das vollkommenste, welches nur gerade so viel weibliche Elemente hat, um Weib bleiben zu können; so wie der Mann der schlechteste ist, der gerade nur so viel männliche Elemente hat, um Mann zu heißen.

      Männliche und weibliche Elemente machten außerdem am begreiflichsten die Natur lebendig und erklärten die ewige unaufhörliche Bewegung und den wütenden Trieb zur Begattung, welche Aristoteles für die Bestimmung jedes einzelnen Dinges hält, am besten. Liebe, Hochzeit, Ehe und Ehescheidung: daraus bestünde die Welt. Ferner wäre das Rätsel aufgelöst, welches noch niemand, soviel ich weiß, berührt hat, warum von jedem Geschlechte, fast durch alle Tiere, ohngefähr soviel von dem einen als andern geboren würden.

      Wem dies nicht gefallen sollte, der könnte jedoch noch immer annehmen, daß zu einem Ganzen ein Paar gehört und daß der Verstand von Anfang an alles paarweise hervorgebracht hat, ohne daß eben das Zusammengewächs mehr als jetzt nötig war: in einer solchen bequemen Lage von Materialien zu Schaffung seines mächtigern Ganzen befand er sich.

      Kapitel 38

       Inhaltsverzeichnis

      Ardinghello. Ihr geht wie ein echter Kretenser, Zögling des Minos, mit dem schönen Geschlecht um! Ich glaube, daß ein Mädchen wie ein Mann immer ein unnatürliches Ding sei und daß die tapferste Amazone selbst unter einer Phryne stehe. Ich will Euch hierüber zu keiner neuen Hypothese treiben; wiederholen wir noch einmal Euer Hauptstück.

      So von allem Wirklichen abgesondert mag es wohl endlich leicht sein, zu denken, Verstand des Menschen hat den Menschen hervorgebracht, und ebenso, Verstand jedes Dinges hat das Ding hervorgebracht, durch Hülfe einer Kraft, die allem Raum schafft, sich nach Willkür oder Verlangen zu bewegen: allein sich die Sache auch nur einigermaßen sinnlich vorzustellen ist gewiß ohne Vergleich schwerer.

      Nehmen wir einmal, wie der Verstand des ungebornen ersten Kindes sich das Auge gebildet hat, nur eins fürs erste.

      Wozu braucht er das Auge?

      Zum Sehen.

      Kann er nicht sehen ohne dasselbe?

      Allerdings; da er alles durchdringt, berührt er an und für sich auch gewiß die Sonnenstrahlen oder wird ihre Wirkung gewahr auf Oberflächen.

      Was will er also damit?

      In einen Körper eingeschlossen sich eine Öffnung für dieselben machen.

      Gut.

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