Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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er sie durch das Gehör empfängt, so klar zu denken, als wenn er sie sähe? Wegen der Attribute selbst also kann wohl die Stelle Horaz nicht frostig werden; aber wohl wegen der Composition dieser Attribute zu einem Bilde. Die Necessitas geht vor der Fortuna voraus – wohl! und wir erwarten, wozu sie gehen, was sie ausrichten wolle? Sie trägt Keule und Nagel – wohl! wozu trägt sie sie? – Es fehlt ihr auch nicht Klammer und fließend Blei – hier wird der Poetische Leser ungeduldig – was brauche ich alles das zu wissen, was ihr fehlt, oder nicht fehlt? was sie hat oder nicht hat? ich höre ja nicht, was sie damit will, oder soll? ich stehe vor einem todten Gemälde. Was sie damit soll? antwortet Hr. Klotz:10 »sie soll damit die Macht des Glücks anzeigen, die Göttin anzeigen, der nichts widerstehet, der alles weichen muß, die Göttin von unwandelbarem Willen. Wie schön alles passet! Das Gemälde muß allen gefallen, die Poetischen Geist haben.« Hätte Hr. Kl. gesagt, die Malerischen Geist haben, so recht! – aber die Poetischen Geist haben? ich wüßte nicht, was in der Wirkung des Gemäldes Poetisches wäre. Der Dichter hat einen andern Pinsel, die Göttin zu charakterisiren, der nichts widersteht, der alles weichen muß, die von unwandelbarem Willen ist, als daß er ihr ein Stück Blei, und Eisen in die Hand gebe, und sie damit traben lasse: die mindeste Handlung, ja das bloße Wort: sie ist die Göttin, der nichts widersteht, der alles weichen muß, ist besser, als eine mit Mordgewehren wandelnde Figur. Kurz: nicht die Beschaffenheit der Attribute selbst, daß sie fürs Auge sind, auch nicht eben die Gehäuftheit der Attribute, ist der Fehler des Bildes, sondern die Komposition derselben zu einer bloßen Symbole: zu einer Symbole, die nichts thut, die mit ihrem Prosaischen nec abest, blos da steht, damit ihr nichts an ihrem Umgehänge fehle, damit sie als eine völlige Symbole in einem Gemälde paradire – dies beleidigt den Leser, insonderheit in einer Horazischen Ode. Er rufft ihr gleichsam zu, an der Handlung der Ode mit Theil zu nehmen, oder sich weg zu machen, auf eine Leinwand, an eine Wand, in ein Gemälde der Fortuna.

      Und wie kam Horaz zu der todten Figur? Wahrscheinlich, daß er sie von einem solchen Gemälde kopirte, daß er sie mit den Zügen kopirte, mit denen sie vielleicht im Tempel zu Antium anzutreffen war. Was also in einer Ode Horaz auf den locus communis des Glücks ein befremdender Fehler seyn würde, das findet in einer Ode auf die Fortune von Anzo wenigstens eine entschuldigende Deutung. Es verewigte ein Gemälde, ein schönes Symbolisches Gemälde, das ein Schatz des Tempels seyn konnte, in welchen diese Ode, als ein Schatz, auch hingehörte. Man kritisire Horazen nicht als Dichter, sondern hier als Dichter für Anzo.

      Ich glaube hiemit auch den folgenden Moralischen Wesen Licht und Deutung gegeben zu haben, die man so sehr verkannt hat:

       Te Spes & albo rara Fides colit

       Velata panno –

      Aber auch der Epische Dichter hat personifirte Ideen nöthig, die man gemeiniglich Maschinen zu nennen gewohnt ist – wie soll er sie erschaffen? Als symbolische Wesen des Künstlers, als Allegorien, oder als handelnde Subjekte? Wenn ein Dichter es nöthig hat, sich vom Künstler zu unterscheiden, so ists der Dichter der Epopee, insonderheit in seinen Maschinen – ich wollte, daß Hr. L. darauf gekommen wäre!

      Ich weiß, daß manche sich Leidenschaften, Tugenden und Laster und ein ganzes Heer Moralischer Personen zu Maschinen personifirt haben: allein, ich weiß auch, wie frostig, wie überflüssig diese Maschinen oft ganze Gedichte herunter erschienen sind, blos weil sie als personifirte Abstrakta erschienen, weil ihnen Individualität fehlte. Ein wirkliches Abstraktum in Person zu malen, ihm äußere Gestalt zu geben, um es Dichterisch bekannt zu machen, geht ohne Symbole nicht an; denn im Innern, im Wesen eines Abstrakten Begriffes liegen nicht Farben und Gestalten. Der Dichter läuft also Gefahr, daß, wenn er uns eine lange Seite herab, die Unschuld, den Neid, die Naturlehre u.s.w. symbolisch gemalt hat, wir hinterher fragen: wie sah das Ding aus? Alle einzelne charakterisirende Züge sind vergessen: wie kann ich sie zusammen nehmen, daß ein ganzes Bild vor mir stehe? Er hat die Arbeit der Danaiden gehabt, immer neue Züge zu schöpfen, die aber augenblicklich wieder wegschlüpfen, und jetzt stehe ich, und habe in meinem löcherichten Siebe – nichts.

      Nun soll diese Abstrakte Person als Maschine handeln; natürlich nicht anders, als aus ihrem Wesen, wie die Unschuld, der Neid, der Zorn handeln muß. So sehe ich ja jeden ihrer Tritte voraus: jede ihrer Reden verrathe ich schon aus ihrem Namen; nur diesen brauche ich, nur die Idee selbst, und das Uebrige wird Poetische Einkleidung, ein Redezierrath. Das ganze Wesen ist aus einem Begriffe geschaffen, und in ein Wort eingehüllt: kann es mich also rühren? Epische Bewunderung in mir erregen? mir einen ungewohnten großen Anblick gewähren? Eine solche Schöpfung durch ein Wort, das jeder nachsagen, das jeder voraus ausdenken kann, ist – Spielwerk.

      Nein! Homers Maschinen sind keine Abstrakten Begriffe: es sind Subjekte, die aus sich handeln, vollstimmige Individua. Nicht kann ich es aus einer willkührlichen Idee errathen, wie hier und da Jupiter und Juno, und Minerva handeln werden, weil sie Einkleidungen dieser Idee sind. Alle seine Götter sind erdichtete Personen; aber Personen, mit vollständig bestimmter Denkart, mit Schwachheiten und Stärke, mit Fehlern und Tugenden, mit allem, was zu einem daseyenden Wesen gehört. Sie zeigen nicht blos Gedanken, Worte, Handlungen; sondern ich sehe auch aus der Art, aus dem Zusammenhange dieser Gedanken, Worte, Handlungen, daß sie aus dem Innersten eines Individuums fließen: der Poet bezaubert mich, daß, so lange ich lese, ich ein solches Wesen glaube. Ihr Herren Allegoristen, ihr Namenschöpfer von Maschinen, ihr Ideenbildhauer der Epischen Dichtkunst – das thut ihr nicht! ihr malet, ihr schildert; und so lese ich euch auch, als Maler,

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