Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Ich weiß nicht, wie enge dem Künstler der Mythische Cyklus werden müßte, wenn Hr. Leßing ihm alle Historische und Dichterische Situationen untersagte, ihm nur zuließe, in ihm personifirte Abstrakta zu suchen, und jeden kleinen Wiederspruch, der in der Handlung gegen die Abstrakte Idee des Charakters (ein Idol der neuern Mythologisten!) vorkäme, verböte. Lebe alsdenn wohl, Handlungsvolle Kunst! du bist in der Mythologie eine Gallerie einförmiger Ideen, Abstrakter Charaktere!
»Wenn der Dichter Abstrakta personisiret: so sind sie durch den Namen, und durch das, was er sie thun läßt, genugsam charakterisiert. Dem Künstler fehlen diese Mittel. Er muß also seinen personifirten Abstraktis Sinnbilder zugeben, durch welche sie kenntlich werden. Diese Sinnbilder hat bei dem Künstler die Noth erfunden; wozu aber den Künstler die Noth treibet, warum soll sich das der Dichter aufdringen lassen, der von dieser Noth nichts weiß? Es sey ihm also Regel, die Bedürfnisse der Malerei nicht zu seinem Reichthume zu machen, und seine Wesen mit Sinnbildern der Kunst auszustaffieren. Er lasse seine Wesen handeln, und bediene sich auch poetischer Attribute« – u.s.w. Wie gerne, wie unermüdet hört man Hr. L. sprechen,5 wenn er – doch ich will nicht loben. Sollte alles dies nicht auch auf den vorbetrachteten Fall der Kunstcomposition gelten? Der Maler findet im Lande des Dichters personifirte Abstrakte, die auch in seinem Gemälde, durch das, was er sie thun läßt, gnugsam charakterisirt sind. Dem Künstler einer Figur fehlt dies Mittel: er muß also seinen personifirten Abstraktis Sinnbilder geben, durch welche sie känntlich werden; aber diese Sinnbilder erfand bei ihm die Noth? Wozu also den Künstler ohne Handlung die Noth trieb, warum sollte sich das der Künstler mit Handlung aufdringen lassen, wenn er von dieser Noth nicht weiß? Es sei ihm also Regel, auch das, was seiner Kunst Bedürfniß ist, im andern Fall nicht zu seinem Reichthume zu machen, seine Wesen nicht mit Sinnbildern zu überhäufen, sie, wo sie als höhere Individua in Handlung erscheinen, nicht zu Puppen auszustaffieren, und am mindsten es gar zum Hauptsatze seiner Kunst zu machen: »mir sind die Personen der Mythologie nichts als personifirte Abstrakta, die beständig die ähnliche Charakterisirung beibehalten müssen, wenn sie erkenntlich seyn sollen.« Bei diesem Grundsatze, was wird aus der Kunst, die Compositionen liefern soll? Eine Maskerade Symbolischer und Allegorischer Puppen!
Es giebt also selbst unter den Künsten, die sich auf Zeichnung gründen, noch immer beträchtliche Unterschiede, die eine oder die andere mehr dem Dichterischen nähern. Die Bildhauerkunst entsteht ihr am weitesten: die Malerei aber, in ihrer Komposition zumal, zumal in der Komposition Dichterischer Geschöpfe, die ursprünglich Wesen der Einbildungskraft und nicht des Anschauens sind, tritt der Poesie weit näher. Sie hat ein Drama ihrer Figuren: sie stellt alle bloß in der Absicht zusammen, um eine Handlung zu repräsentiren: sie läßt also so viel möglich weg, was zur Handlung nicht gehört, oder ihr gar widerspräche. Sollte in jedem Kunstwerke von Composition jede Mythologische Person mit allem dem Zubehör überladen werden, der ihr zukommen mag, aber zu dieser Handlung nicht gehört: sollte sie der Historische und Dichterische Maler nur als personifirte Abstrakta behandeln sollen, die beständig die ähnliche Charakterisirung beibehalten müssen: welch ein verwirrendes und zerstreuendes Geschleppe von Symbolischen Zeichen und charakterisirenden Prädikaten! Soll Venus in einem Gemälde von Komposition nie anders, als die Liebe selbst, (und nicht blos als die Göttin der Liebe) erscheinen, und als die Liebe selbst jedesmal charakterisirt werden; und alle Theilnehmende Personen ebenfalls so, jede nach ihrer Art – weg mit dem Ball in Maske. Der Maler war hier in der Komposition eines Dichterischen Süjets Dichter: seine Figuren sollen sich durch Handlung känntlich machen: auf diese Handlung sollen sich die Attribute beziehen, die er ihnen giebt: solche, die zu dieser Vorstellung nicht gehören, so lange nur die Person noch känntlich bleibet, lasse er weg: er opfere dem Mangel, der Nothwendigkeit seiner Kunst so wenig auf, als er darf, und am allerwenigsten mache er diesen Mangel, dies Gesetz der Noth zu seiner allgemeinen, wesentlichen Regel: bei dem Künstler sind Götter und geistige Wesen personifirte Abstrakta, »die beständig die ähnliche Charakterisirung behalten müssen.«6 Ich sage umgekehrt: auch bei ihm sollen Götter und geistige Wesen sich durch Handlung charakterisiren, wo sie es können; und blos im Fall, wo sie es nicht können, sich als personifirte Abstrakte, durch die ihnen beigelegte Symbole, känntlich machen. Im Grunde also einerlei Gesetz, einerlei Freiheit.
1 p. 113–118.
2 p. 99. 100.
3 p. 100. 101.
4 p. 99.
5 p. 115. 116.
6 p. 99.
XII.
Von Seiten der Dichtkunst kann es keine nöthigere Lehre geben, als die:1 der Dichter mache sich die Bedürfnisse der Malerei nicht zu seinem Reichthume: er staffiere die Wesen seiner Einbildungskraft nicht Malerisch aus, lasse sie handeln, und auch die Attribute, womit er sie bezeichnet, müssen handelnd, Poetisch, nicht Malerisch seyn. So dichten die alten Dichter: die neuern malen.
Unter den Römern in ihrer besten Poetischen Zeit ist vor Allen Horaz ein Liebhaber von Moralischen Wesen, von personifirten Abstraktis; diese Personendichtung ist mit ein Hauptstrich seines Genies, und hat seine Oden sehr verschönert. Da eine solche Moralische Person bei ihm gemeiniglich schnell, mit wenigen, aber lebendigen Attributen, und recht in die Handlung der Ode auf einmal hineintritt: so lieben wir den angenehmen Sylphen, die schöne Sylphide, die uns so gelegen vorüber rauschet. Wie süß ist sein Bild der lächelnden Venus, die der Scherz und die Amors umflattern:
– Erycina ridens
quam Jocus circumvolat et Cupido –
Welch ein Bild! wenn Furcht und Sorge ihren Herrn auch zu Schiffe verfolgen, auch hinter ihm zu Pferde sitzen, auch des Nachts um die Dächer der Reichen flattern: wenn der Tod mit seinem Fuß an die Hütten der Armen, und an die Palläste