Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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p. 78. 79.

      XI.

       Inhaltsverzeichnis

      Götter und geistige Wesen sind dem Künstler freilich personifirte Abstrakta, und Charakterfiguren, so lange er sie allein, blos in einem ihnen gemäßen Anstande, oder höchstens in einer intransitiven Handlung bilden soll; aber alsdenn sind sie es nur aus Noth, aus Muß, um känntlich zu seyn. Venus, Juno, Minerva haben diese und keine andre Bildung der Schönheit, nicht als wenn diese immer ein innerer Charakterzug ihres Abstrakten Wesens wäre; gnug, daß sie ein von Dichtern einmal beliebtes und vestgesetztes äußeres Kennzeichen dieser Gottheit ist. Ich verstehe mich nicht gnug auf den Abstrakten Begriff der Liebe, als daß ich wissen könnte, ob jede Kleinigkeit bei der Bildung der Venus, und keiner andern Göttlichen Schönheit, da sey, weil sie nothwenig das Abstraktum der Liebe charakterisire? ob z.E. das υγρον ihrer Augen, und das Lächeln ihrer Wangen, und das Grübchen ihres Kinnes zu diesem Begriffe so unentbehrlich sey, als auf der andern Seite die majestätische Brust der Juno, und die schlanke Taille der Diana, und die unschuldige Mine der Hebe, zu diesem Begriffe eben hinderlich sein müste. Ich habe nie die Mythologie, als ein solch Register allgemeiner Begriffe studirt, und bin allemal in die Enge gerathen, wenn ich gesehen, wie andre sie am liebsten auf solche Art angesehen.

      So viel ist einmal gewiß, daß Dichter, und kein anderer, die Mythologie erfunden und bestimmt, und da wette ich, fürwahr nicht als eine Gallerie Abstrakter Ideen, die sie etwa in Figuren zeigten. Wo bleibe ich mit den allerdichterischten Geschichten Homers, wenn ich mir seine Götter, nach Damms Lehrart, nur als handelnde Abstrakte betrachten wollte? Es sind himmlische Individua, die freilich durch ihre Handlungen sich einen Charakter vestsetzen, aber nicht da sind, diese und jene Idee in Figur zu zeigen: ein ausnehmender Unterschied. Venus kann immer die Göttin der Liebe seyn; nicht aber alles, was sie bei Homer thut, geschieht deßwegen, um die Idee der Liebe in Figur zu repräsentiren: Vulkan mag seyn, was er will; wenn er den Göttern ihren Nektarbecher umreicht, ist er nichts als – ihr Mundschenke.

      Nun schließe ich weiter. Wenn also in der Mythologie und Geisterlehre der ältesten Dichter der Individuelle oder Historisch handelnde Theil vor dem Charakteristisch handelnden das Uebergewicht behält: und eben diese Dichter doch die ursprünglichen Stifter und Väter dieser Mythologie und Geisterlehre gewesen; so sei die bildende Kunst, so fern sie Mythologisch ist, blos ihre Dienerin. Sie entlehnt ihre Geschöpfe und Vorstellungen, so fern sie sie brauchen und ausdrucken kann.

      Bei jeder einzelnen Figur also, und mithin meistens bei den Werken der Bildhauer, die einzelne Gestalten bilden, fodert es der Mangel, die Gränzen, nicht aber das Wesen der Kunst, die Personen mehr Charakteristisch, als Individuell, auszudrücken: denn sonst verirren sie sich in die Menge Historischer Personen, und laufen Gefahr, unkänntlich zu werden.

      So bald es aber dem Künstler die Grenzen seiner Kunst verstatten, dem Dichter zu folgen; so gleich nimmt der Dichter, dem eigentlich die Mythologie gehört, sein Recht wieder, und die Anordnung des Kunstwerks wird, dem Ursprunge Mythologischer Ideen gemäß, Dichterisch. Blos um das Unkänntliche zu vermeiden, schränkte er sich auf die Abstrakte Idee ein; Noth und Dürftigkeit war sein Gesetz: ist aber dies Gesetz – diese Furcht gehoben; kann er auf andere Art hoffen, känntlich zu werden, als durch die einförmige Charaktervorstellung; verbeut das Wesen seiner Kunst diese andre Art der Känntlichkeit nicht; erreicht er durch dieselbe gar einen Zweck, den er durch die Abstrakte Idee nicht erlangen konnte: so hat er mit dem Dichter einerlei Rechte. Die ganze Mythologie ist eigentlich ein Land Dichteri scher Ideen, und auch wenn sie der Künstler bildet, wird er Dichter.

      Und bei diesem ganzen Privilegium des Künstlers, worauf kommt sein unumschränkter Gebrauch an? auf das Wort: Handlung. Kann der Künstler z.E. Maler, seinem Werke Handlung geben; kann er mehrere Personen gruppiren, die gemeinschaftlich eine Poetische oder Historische Situation vorstellen, känntlich und schön vorstellen können; o so vergesse er sicher die innere und äußere Charakteristik seiner Götter, die ihm sonst einzeln nothwendig waren. Immerhin lasse er auch seine Handlung dem Abstrakten Charakter sichtlich wiedersprechen: immerhin male er uns auch eine auf ihren Kupido zürnende Venus; denn wenn sie auch in diesem Augenblick nicht die Liebe selbst bliebe, so bleibt sie doch, was sie ursprünglich ist, die Göttin der Liebe, die Mutter des Kupido.

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