Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Nichts hingegen nöthige den Dichter, sein Gemälde in einen Augenblick zu concentriren. Er nehme jede seiner Handlungen, wenn er will, bei ihrem Ursprunge auf, und führe sie durch alle mögliche Abänderungen bis zu ihrer Endschaft. Jede dieser Abänderungen, die dem Künstler ein ganzes besondres Stück kosten würde, koste ihm einen einzigen Zug u.s.w. Das Kennzeichen selbst ist, wie gesagt, längst angegeben; Hr. L. macht aber dies angegebne Kennzeichen praktisch.
Nichts Uebergehendes also wähle die Kunst zum Augenblicke ihres Gegenstandes:2 aber was ist denn eigentlich, was in der Natur nicht transitorisch, was in ihr völlig permanent wäre? Wir leben in einer Welt von Erscheinungen, wo eine auf die andre folgt, und ein Augenblick den andern vernichtet; alles in der Welt ist an den Flügel der Zeit gebunden, und Bewegung, Abwechselung, Wirkung ist die Seele der Natur. Metaphysisch also – doch wir wollen hier nicht Metaphysisch; sinnlich wollen wir reden: und im sinnlichen Verstande, nach der Erscheinung unsrer Augen giebt es da nicht unabläßige, daurende Gegenstände gnug, die also die Kunst nachahmen soll? Allerdings, es giebt solche; und dies sind gewissermaßen alle Körper, und zwar so fern sie Körper sind. Diese, so abwechselnd ihre Zeitfolgen und Zustände auch seyn mögen; so schnell auch jeder Augenblick ihres Seyns sie ändere: so geht er doch nicht unsern Augen vorüber; für diese kann also der Künstler Erscheinungen liefern: er schildere Körper, er ahme nach die bleibende Natur.
Wenn aber diese bleibende Natur auch zugleich todte Natur wäre? wenn das Intransitorische eines Körpers eben von seiner Unbeseeltheit zeugte? Alsdenn, dies bleibende Intransitorische des Gegenstandes zum Augenmerke der Kunst ohne Einschränkung gemacht – was anders, als daß mit diesem Grundsatz der Kunst auch – ihr bester Ausdruck genommen würde? Denke dir, mein Leser, einen Seelenvollen Ausdruck durch einen Körper, welchen du wollest, und er ist vorübergehend. Je mehr er eine Menschliche Leidenschaft charakterisiret; um so mehr bezeichnet er einen veränderlichen Zustand der Menschlichen Natur, und um so mehr »erhält er durch die Verlängerung der Kunst ein widernatürliches Ansehen, das mit jeder wiederholten Erblickung den Eindruck schwächet, und uns endlich vor dem ganzen Gegenstande Ekel oder Grauen verursacht.« Die Einbildungskraft habe noch so viel Spielraum, noch so viel Flug: so muß sie doch endlich einmal an eine Grenze stoßen, und unwillig wieder zurück kommen; ja, je schneller sie gehet, je prägnanter der gewählte Augenblick sey, um so eher kommt sie zu Ziel. So gut als ich zu einem lachenden la Mettrie sagen kann, wenn ich ihn zum dritten, viertenmal, noch lachend sehe: du bist ein Geck! so gut werde ich auch endlich zu Myrons Kuh sagen können: nun so gehe doch fort, was stehest du? – Und so viel Ursache ich habe, einen schreienden, einen unabläßig schreienden Laokoon endlich unleidlich zu finden; so viel Ursache werde ich, nur etwas später, finden, auch den seufzenden Laokoon überdrüßig zu werden, weil er noch immer seufzet. Endlich also auch den stehenden Laokoon, daß er immerhin stehet, und sich noch nicht gesetzet hat: endlich auch eine Rose von Huisum, daß sie noch blühet, noch nicht verweset ist: endlich also jede Nachahmung der Natur durch Kunst. In der Natur ist Alles übergehend, Leidenschaft der Seele und Empfindung des Körpers: Thätigkeit der Seele und Bewegung des Körpers: jeder Zustand der wandelbaren endlichen Natur. Hat nun die Kunst nur einen Augenblick, in den Alles eingeschlossen werden soll: so wird jeder veränderliche Zustand der Natur durch sie unnatürlich verewigt, und so hört mit diesem Grundsatze alle Nachahmung der Natur durch Kunst auf.
Nichts ist gefährlicher, als eine Delikatesse unsres Geschmacks in einen allgemeinen Grundsatz zu bringen, und sie in ein Gesetz zu schlagen: sie giebt alsdenn bei einer guten gewiß zehn mißliche Seiten. Hr. L. wollte den höchsten Grad des Affekts von der Bildung einer Bildsäule ausschließen; gut! Er gab aber davon die Ursache, daß diese Leidenschaft transitorisch3 wäre; nicht so gut! Er machte endlich aus dieser Ursache einen Grundsatz: die Kunst drücke nichts aus, was sich nicht anders, als transitorisch, denken läßt: und dies verführt am weitesten. Mit ihm wird die Kunst todt und entseelt gemacht, sie wird in jene faule Ruhe versenket, die nur den Klosterheiligen der mitlern Zeit gefallen könnte: sie verliert alle Seele ihres Ausdrucks.
Und welches wäre denn die angebliche Ursache einer so grausamen kritischen Arznei? Weil eine transitorische Erscheinung, sie möge angenehm, oder schrecklich seyn, durch die Verlängerung der Kunst ein so widernatürliches Ansehen bekomme, daß mit jeder wiederholten Erblickung4 – Ich mag nicht weiter! Wiederholte Erblickung! jede wiederholte Erblickung! wer wird auf diese rechnen? Wer wird sich in seiner Jugend ein Vergnügen versagen, weil es endlich mit jedem wiederholtem Genusse schwächer werden müßte? wer mit sich selbst hadern, mit seiner Empfindung zanken, statt sich ungestört dem angenehmen Jetzt zu überlassen, ohne an die Zukunft zu denken? ohne aus dieser sich selbst Schatten hervor zu ruffen, die die Freuden von uns scheuchen? Alle sinnliche Freuden sind bloß für den ersten Anblick, und für ihn allein sind auch die Erscheinungen der schönen Kunst. »La Mettrie, der sich als einen zweiten Demokrit malen lassen, lacht dir nur die ersten male, da du ihn siehest: du betrachtest ihn öfter, und er wird aus einem Philosophen ein Geck; aus seinem Lachen wird ein Grinsen.« Es kann seyn! aber wenn dieser lachende Demokrit auch nur für den ersten Anblick gebildet seyn wollte? Wie nun? war bei diesem ersten Anblicke schon sein Lachen nicht anders, als verächtlich, und widerlich; ward so gleich dadurch der Philosoph ein respektiver Geck, und seine Demokritmine ein Grinsen: so ists freilich schlimm für ihn und den Künstler. Das Lachen hätte unterbleiben sollen; aber – nicht seiner permanenten Dauer, sondern seines verächtlichen widerlichen Anblickes willen. War dies aber nicht: dünkt dir nur nach öfterm Besuche der lachende Philosoph ein Geck – delikater Freund! so bilde dir ein, du habest ihn noch nicht gesehen, oder – meide ihn. Aber uns verwehre darum nicht seinen ersten Anblick: und noch weniger forme ein Gesetz, daß hinkünftig kein Philosoph lachend gemalt werden solle. Warum? weil das Lachen was transitorisches sey. Jeder Zustand in der Welt ist so mehr oder minder transitorisch. Sulzer5 hat sich mit gesenktem Haupte, mit einem vom Finger unterstützten Kinne, und mit tiefer Philosophischer Mine stechen lassen. Nach Hr. Leßings Grundsatze müßte man ihn im Bilde anreden: Philosoph, wirst du bald deine Aesthetik ausgedacht haben? stirbt dir nicht dein gesenkter Kopf, und dein erhabner Finger? Seufzender Laokoon, wie lange wirst du seufzen? So oft ich dich sehe, ist dir noch die Brust beklemmt, der Unterleib eingezogen? ein transitorischer Augenblick, ein Seufzer, ist bei dir widernatürlich verlängert. Der Donnerwerfende Jupiter, und die schreitende Diana, der den Atlas tragende Herkules, und jede Figur in der mindsten Handlung und Bewegung, ja auch nur in jedem Zustande des Körpers ist alsdenn widernatürlich verlängert: denn keine derselben dauret ja ewig. So wird also, wenn die vorstehende Meinung Grundsatz würde, das Wesen der Kunst zerstört.
Es kann also auch nicht als Ursache gelten, warum die Kunst keine Höhe des Affekts ausdrücken müßte: es ist nicht Delikatesse, sondern Ekel des Geschmacks.
Jedes Werk der bildenden Kunst ist, wenn wir uns die Eintheilung Aristoteles gefallen lassen, ein Werk und keine Energie: es ist in allen seinen Theilen auf einmal da: sein Wesen besteht nicht in der Veränderung, in der Folge auf einander, sondern im Coexsistiren neben einander. Hat also der Künstler es dem ersten aber ganzen und genauesten Anblicke, der eine vollständige Idee liefern muß, vollkommen gemacht; so hat er seinen Zweck erreicht, die Wirkung bleibet ewig: es ist ein Werk. Es steht auf einmal da, und so werde es auch betrachtet: der erste Anblick sey permanent, erschöpfend, ewig, und blos die Menschliche Schwachheit, die Schlaffheit unsrer Sinne, und das Unangenehme des langen Anstrengens macht, bei tief zu erforschenden Werken, vielleicht das zweite, vielleicht hundertste Mal des Anblicks nöthig; darum aber sind alle diese Male doch nur Ein Anblick. Was