Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder страница 217
![Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder](/cover_pre1073368.jpg)
Auch würdig der Kunst des Malers? Mit dem vorigen zusammen; ob aber dieser letzte Zweck der Einige und Hauptzweck gewesen? ob die schönen Raisonnemens eintreffen, die Hr. L. dem Timanthes Schuld giebt,20 »daß er die Grenzen seiner Kunst gekannt, daß er das Häßliche, das Verzerrende im Gesicht Agamemnons gerne gelindert hätte; da es aber nicht angieng – so habe er ihn verhüllet. Die Verhüllung sey eben ein Opfer, das der Künstler der Schönheit gebracht habe;« weiß ich nicht; wenigstens konnte ihm das Opfer nicht schwer werden, denn er brachte es aus fremden Mitteln. Mehr als ein Dichter21 hatte schon im Schauspiele den Agamemnon verhüllet, und Timanth dorfte also nicht erst mit sich darüber vernünfteln. Er wäre frech gewesen, wenn er, was der Dichter verhüllt hatte, hätte entblössen wollen, zumal es auf seine Kunst so sehr zutraf. Warum ihn aber der Dichter verhüllt? ob etwa einem künftigen Timanthes zu gut? ob etwa eine Figur zu verhüten, die sich nicht malen ließe? ob um der Kunst ein Opfer zu bringen? Der Kunst freilich; aber kaum dem Pinsel des Timanthes, sondern seinem eigenen Schauspiel, und der Grazie desselben! Nicht, als wenn diese bei der Opferung eines Kindes einen stoischen Helden foderte; so unmenschlich ist die Griechische Grazie nicht. Nicht, als wenn sie einen betrübten ächzenden Vater nicht duldete; warum nicht, wenn es damit gethan wäre? Aber hier sollte er den höchsten Ton des väterlichen Schmerzes, und des entsetzlichsten Jammers: ihn sollte ein Held anstimmen, der zugleich König war, der dadurch die Griechen rettete, der ihnen die Opferung versprochen hatte: dieser also sein Wort brechen, sein Volk nicht lieben, dafür auch nicht etwas Saures thun wollen? Er lasse sie opfern, er rase nicht wie ein Klageweib vergebens umher: er wende sein Auge ab, und weine väterliche Thränen: so erscheint er – würdig dem Könige und dem Vater, mithin auch würdig der Theatralischen Grazie. Nur da diese einer andern Person, einer Clytemnestra, einer Hekuba und andern Helden noch wahrscheinlicher manches hätte erlauben können, was sie in dieser Situation, diesem Agamemnon nicht erlaubte: so sieht man, daß auch bei Euripides diese Verhüllung mehr ein Opfer für seinen Helden in dieser Situation, als für den Helden absolut, oder absolut für die Grazie der Schauspielkunst gewesen; und daß die Grazie einer fremden Kunst hier gewiß ganz beiseite trete.
Indessen, wie es sey: so bleibt Timanthes Gemälde, selbst bis auf den schreienden Ajax desselben,22 für Hrn. Leßing, und selbst der rasende Ajax, die fürchterliche Medea, der leidende Herkules, der seufzende Laokoon; und immer zehn Beispiele gegen ein gegenseitiges bestätigen seinen Satz, »wie sehr die griechischen Künstler das Häßliche vermieden, und wie sorgfältig auch in den schwersten Fällen Schönheit gesucht.« Sollte man aber in der neuern Zeit, mit Ausdehnung der Kunst auch über die Grenzen des Schönen, das Wesen derselben haben ändern, und ihr ein neues Obergesetz: »Wahrheit und Ausdruck« geben wollen?23 oder sollte diese Uebertragung über die Grenzen des Schönen nicht auch zu unsrer Zeit blos »Eigenschaft des Geschmacks in der und jener Schule« und also eine Kakozelie seyn, an der es den Griechen bei ihrem Pauson und Pyreicus auch nicht fehlte? die Frage wird sich im folgenden mehr ergeben. »Wenn man in einzelnen Fällen den Maler und Dichter« (und also auch die Kunst zwoer Zeiten) »mit einander vergleichen will, so muß man vor allen Dingen wohl zusehen, ob sie beide ihre völlige Freiheit gehabt haben, ob sie ohne allen Zwang auf die höchste Wirkung ihrer Kunst haben arbeiten können.«24 Und wer hat hier in einer freiern Luft geathmet?
1 Laok. p. 9–22.
2 Laok. p.16.
3 Laok. p. 11. not. b. wo Hr. L. die Worte Aristoteles anführet.
4 Hr. Klotz Geschichte der Münzen p. 41. 42.
5 Laok. p. 12. das Gesetz der Thebaner ις το χειρων iſt ist mir noch zweifelhaft.
6 Laok. p. 103.
7 Laok. pag. 12–15.
8 Ein Programm des Hrn. Prof. Heine, de caussis fabularum seu mythorum veterum physicis, hat mir mehr Gnüge gethan, als die ganze Philosophie des Banier; wie überhaupt dieser würdige Kenner der Alten von seinen Griechen das Schwerste gelernt: stille Grösse, ruhige Fülle, auch im Vortrage und Ausdrucke.
9 S. Klotz Gesch. der Münzen p. 106. 107.
10 Klotz Act. litt. conf. mit der Gesch. Der Münzen, und diese mit der Schrift über die geschnittenen Steine.
11 Klotz Gesch. der Münzen p. 46. 47.
12 Pausanias erzält ihre Geschichte noch bequemer für die Kunst; v. Corinth. c. 21.
13 Klotz Gesch. der Münz. p. 47. »Es ist wahr, daß unser Gefühl über diesen Punkt eben so verschieden von dem Gefühl der Griechen und Römer ist, als von der Empfindung des Kannibalen« u.s.w.
14 In Attic. c. 28.
15 Laok. p. 121. Die lessingische Erklärung des διεστρ διεστρ μμεν τους πωδας scheint dem Sprachgebrauche zu wiedersprechen; und wenn es aufs Muthmaßen ankäme, könnte ich eben so sagen: »sie schliefen mit über einander geschlagnen Füßen« d.i. des einen Fuß streckte sich über den andern hin, um die Verwandtschaft des Schlafs und Todes anzuzeigen u.s.w.