Klinische Hypnose und Hypnotherapie. Agnes Kaiser Rekkas
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Diese erforschten Hypnotisierbarkeitsvariablen lassen sich nun der Erfahrung nach aber keineswegs auf den „Menschen in Not“ übertragen. Wo Leid, Tragik, Schmerz, Angst und Trauma herrschen, erhöht sich spontan die bewußte, aber vor allem die unbewußte Motivation zur Veränderung der Situation und gleichzeitig die Suggestibilität und Hypnotisierbarkeit. In meiner Untersuchung im Rahmen einer Studie der Universität München, Medizinische Fakultät, und des Klinikums Großhadern zur Erforschung intraoperativer akustischer Wahrnehmung (mit Hypnose) in der Kardiochirurgie zeigte sich, daß die Patienten (die keine vorherige Erfahrung in Psychotherapie oder Hypnose aufwiesen) sich kurz vor dem operativen Eingriff ohne weiteres in der Hypnosetechnik anleiten ließen. Ihre Berichte lassen darauf schließen, daß sie sogar von der Intervention profitieren konnten:
„Untersucht wurden insgesamt 70 Patienten im Alter zwischen 42 und 71 Jahren, davon 19 Frauen. Das Angebot einer psychotherapeutischen Unterstützung wurde von den Patienten größtenteils positiv aufgenommen. Trotz der Knappheit des zeitlichen Rahmens am präoperativen Tag und der damit verbundenen nervlichen Belastung sowie der Fremdheit des Verfahrens konnte zu fast allen Patienten ein guter bis sehr guter Kontakt hergestellt und Interesse geweckt werden. Die Gelegenheit, das Verfahren der Hypnose zu erlernen, wurde von den Patienten bewußt/unbewußt vorteilhaft genutzt. So erlebten 95 % der Patienten eine Trance mit sichtbaren Trancemerkmalen, 92 % mit kataleptischer Handlevitation, 70 % mit ideomotorischem Signalisieren durch Fingerzeichen nach Cheek. Über 90 % der Patienten gaben an, durch die Therapie eine Unterstützung des subjektiven Wohlbefindens, innere Entspannung und Verminderung existentieller Ängste erhalten zu haben. Bei 50 % der Patienten war es möglich, eine positive Beeinflussung bezüglich Schmerzempfinden, Atemnot und anderer Mißbefindlichkeiten zu erzielen. Etwa die Hälfte der Patienten konnte anschließend an die Hypnose ein bestimmtes Tranceerlebnis – wie ein schönes, angenehmes Bild – wiedergeben. Einige Patienten übten aus eigenem Interesse nach der Intervention noch eigenständig Selbsthypnose mit Handlevitation. Bei über der Hälfte kam es im postoperativen Interview zur spontanen Handlevitation.
Folgende Patientenberichte mögen mit ihren eigenen Worten sprechen:
61jähriger Patient, Absatzmoduleur i. R. (OP: 2 x Bypass): „Die Übung hat mir sehr geholfen. Das Leichterwerden der Hand (die Handlevitation, Anm. der Verfasserin) war eine Art Genugtuung für mich. Ich bin mit einer gewissen Kraft in den OP hineingegangen. Dann habe ich die Frage gehört: ‚Was lieben Sie?‘ Ich habe gesagt: ‚Musik!‘ Dann spielte auf einmal Musik.“
69jährige Patientin, Hausfrau, (OP: Mitralklappenersatz). Diese Patientin visionierte in der präoperativen Trance, sie läge auf einer grünen Wiese und sähe in „schöne Wolken“. Postoperativ sagte sie: „Eigentlich liege ich immer noch auf dieser Wiese. Die Wolken sind auch noch da, aber bunter, prächtiger.“
66jähriger Patient, angestellt bei der Wach- und Schließgesellschaft (OP: Bypass). „Das ist jetzt gut gewesen, so beruhigend. Das liftet einen so richtig.“
Verglichen mit Erfahrungen aus der therapeutischen Anwendung von Hypnose in meiner Psychotherapiepraxis stellt sich hier ein besonders hoher Faktor an Trancebereitschaft und unbewußter Kooperation dar. So kann aus den oben aufgezeichneten Beobachtungen geschlossen werden, daß die Patienten vor einem kardiochirurgischen Eingriff einen – vor allem unbewußt – hohen motivationalen Status erreichen, um Hypnose zu erleben, zu genießen und die Erfahrung auf längere Dauer bewußt/unbewußt nutzbringend zu verwenden.“ (Kaiser 1992)
Auch meine langjährige Erfahrung mit Hypnotherapie zeigt, daß Hypnotisierbarkeit kein feststehender Faktor, sondern kontextabhängig und individuell unterschiedlich ist. Ein und dieselbe Person kann zu verschiedenen Zeitpunkten in unterschiedlichen Kontexten völlig verschieden reagieren. Abgesehen von der Stärke des aktuellen Leides, der Erwartungshaltung, Neugier und dem Willen zur Verbesserung der Situationen ist dabei verständlicherweise das Zusammenspiel mit dem Therapeuten, das sich in gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung der Kompetenz des anderen spiegelt, von großer Bedeutung.
Es kann davon ausgegangen werden, daß jeder Mensch hypnotische Zustände kennt und sie auch willentlich oder unwillentlich nach Bedarf einsetzt, was bedeutet, daß er hypnotisierbar ist. Das erklärt, weshalb dem Patienten anfangs dieser veränderte Bewußtseinszustand (ohne tieferen therapeutischen Inhalt) so vertraut vorkommt.
Erweist sich aber ein Patient als überhaupt nicht hypnotisierbar, bedarf dies der Abklärung. Die Ursache kann neben einer Störung der therapeutischen Beziehung im therapeutischen Setting liegen. Eventuell besteht auch zur Zeit kein Boden für eine therapeutische Intervention, oder der Patient hat einfach keine Lust. Die Ursache kann auch in einer unbewußt gespeicherten, unangenehmen ehemaligen Trancesituation liegen (das „Flashback-Phänomen“), die eine erneute Bereitschaft für Hypnose behindert. So konnte eine Freundin und Kollegin von mir, die Hypnose als Therapie zur Bewältigung der Schmerzen ihrer primär chronischen Polyarthritis wünschte, diesen Zustand nicht erreichen. Längeres Eruieren brachte zutage, daß sie – in Haiti aufgewachsen – unbewußt den Zustand der Hypnose mit den tranceinduzierenden, politischen Indoktrinationen von ‚Papa Doc‘ über Radio und Lautsprecher in Zusammenhang brachte. Bei derartigen Befunden ist natürlich keinesfalls zu drängen, sondern den Faktor Zeit für sich arbeiten zu lassen, Sicherheit zu schaffen und evtl. ein entsprechendes Trauma zu bearbeiten. Überhaupt sollte der Therapeut es sich zur Devise machen, in der Therapie eher auf die Bremse als aufs Gaspedal zu treten.
Ein Hinweis sei hier noch angefügt: Ein erstaunlich schnelles und tiefes Abgleiten in Hypnose kann ein Indiz für Gewalt und auch sexuelle Grenzüberschreitung in der Kindheit sowie für ‚Verrücktheit‘ im System der Ursprungsfamilie sein. Beobachtungen in dieser Richtung sollten auf jeden Fall notiert und während der Therapie im Auge behalten werden.
Nun, wie tief soll sie also sein, die Hypnose?
1. Generell braucht man für psychotherapeutische Prozesse keine tiefe Hypnose. Wenn auch praktiziert und in der Bevölkerung als Vorstellung verbreitet, geht es ja nicht darum, dem Patienten in einer Art „Tiefenhypnose“ Suggestionen zur Provokation neuer Verhaltensweisen „einzutrichtern“. Ziel ist vielmehr, ihm zur Erweiterung seiner Spielbreite maßgeschneiderte Ermutigungen zu geben. In sehr tiefen hypnotischen Zuständen könnte sogar die Gefahr liegen, daß uns der Patient entgleitet und sich der therapeutischen Arbeit entwindet.
2. Für die Arbeit mit ideomotorischem Signalisieren brauchen wir sogar nur eine oberflächliche Hypnose. Allein die Aufforderung: „Schließen Sie nun einfach mal die Augen – das tut gut –, und lassen Sie uns wissen, welches Ihr Finger für die Antwort ‚ja‘ etc. ist“, reicht schon als Induktion. Der Patient wird absorbiert, und die Hypnose vertieft sich automatisch und dem therapeutischen Prozeß angemessen.
3. Indikationen für tiefe Hypnose sind seelische und physische Erschöpfungszustände sowie die Therapie des somatischen Anteiles psychosomatischer Erkrankungen. Diese Hypnosen sollten, wenn möglich, im Liegen durchgeführt werden. Die ausgiebige Erholung „in der kristallklaren Stille“ (Meares 1983, ein australischer