Die Hoffnung aus dem Jenseits. Sabine von der Wellen
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Читать онлайн книгу Die Hoffnung aus dem Jenseits - Sabine von der Wellen страница 9
Der andere Brauch ist der mitternächtliche Schleiertanz. Da tanzt man unter einem Schleier und jeder, der Geld oben in den Schleier wirft, darf die Braut oder den Bräutigam küssen, während unter dem Schleier mit ihnen getanzt wird.
Das wurde sofort aus unserem Repertoire gestrichen und war wohl der Hauptgrund, warum wir um diese Zeit, nämlich vor Mitternacht, das Fest verlassen werden. Keiner küsst meine Braut. Selbst das andere sie im Arm halten und mit ihr tanzen ist mir schon zu viel. Lauter no go´s.
„Carolin, du bist so eine schöne Braut“, sagt meine Mutter und mein Vater bestätigt das, was Carolin erneut einen Hauch Rosa in ihr Gesicht zaubert.
Wir gehen nach draußen und ich kann mich zu Daniel umdrehen, der mir mit leuchtenden Augen den erhobenen Daumen zeigt.
Auf unserem Hof steht ein dunkelgrauer Bentley mit einem riesigen weißen Blumenbukett und weißen Bändern, die sich von den Blumen über die mächtige Kühlerhaube bis zu den Spiegeln ziehen und dort zu Schleifen gebunden wurden.
Ich sehe meinen Vater perplex an, der mit glänzenden Augen mit beiden Händen einladend auf das Auto zeigt, in das wir einsteigen sollen. „Euer Brautwagen“, sagt er dabei und ich nicke. Das war mir schon klar.
Der Fahrer kommt um das Auto herum. Er ist ein junger Bursche in einer schnieken Uniform, der uns die Tür aufhält, nachdem er sich als „Timo“ vorstellte.
Carolin sieht mich nur an, als verstehe sie die Welt nicht mehr und ich schenke ihr ein Lächeln. Alles was jetzt passiert, werden wir überstehen. Und eigentlich hat mein Vater recht. Dies ist das richtige Gefährt für unseren Tag.
Auf dem Vordersitz finden wir den Brautstrauß, den Carolin von dem Fahrer entgegennimmt, der uns aufmunternd entgegenlächelt.
Ich werfe Daniel einen schnellen Blick zu, der mich nur seltsam mustert. Weiß er, was in mir und Carolin vorgeht? Ahnt er, dass ich langsam in Panik ausbreche?
Ich setze mich neben Carolin, die verlegen wirkt. Als die Türen des Autos sich hinter uns schließen, atme ich auf. Endlich sind wir einen Augenblick allein.
In dem sauberen und nach Leder riechenden Wagen sitzend, der in seiner eleganten schwarzen Lederausstattung und dem vielen Holz wie ein Wohnzimmer wirkt, nimmt sie meine Hand. „Das ist wie im Märchen“, sagt sie leise und klingt erschreckend verunsichert.
„Ich wusste das mit dem Auto auch nicht. Ich dachte, wir nehmen Papas Merc.“
„Und die Blumen darauf. Unglaublich! Jeder wird wissen, dass wir zu unserer Hochzeit fahren.“
Ich sehe mich um und raune: „Aber die Scheiben sind getönt. Es sieht so aus, als wenn hier irgendein König mit seiner Königin zu seiner Hochzeit fährt. Und du bist meine Königin.“ Ich sehe ihr in die Augen und küsse ihre Fingerspitzen.
„Oh Mann, Erik, ich weiß nicht, ob ich das überstehe!“
Ich kann ihr nur ein etwas verlorenes Lächeln schenken. „Wir haben schon viel Schlimmeres überstanden. Und denk immer daran, dass dies der einzige Weg ist, das zu bekommen, was wir wollen: Uns!“
Ich spüre durch diese ganze Situation langsam etwas in mir hochkriechen, dass sich warm und weich anfühlt und voller säuselnder Gefühle nach außen drängt. Etwas, das weder ich noch sonst jemand in dieser Welt in mir vermuten würde. Nur dieses wunderschöne, zarte Wesen neben mir weiß um diesen Umstand, denn sie hat dieses Etwas zutage gefördert.
„Ich liebe dich!“, sage ich und sie erwidert leise und mit leicht zittriger Stimme: „Ich dich auch.“
Die Fahrertür wird geöffnet. Der Fahrer steigt ein und lässt die Tür ins Schloss fallen. Er dreht sich nicht um, sieht uns aber durch den Rückspiegel an.
„Endlich mal ein junges Paar“, sagt er und grinst. „Ich dachte schon, die Romantik wäre bei den jungen Leuten vollends ausgestorben. Aber es gibt sie noch, sehe ich.“
Ich werfe Carolin einen schnellen Blick zu. Der hält uns für schwer romantisch. Wenn er wüsste, dass dieser Traum gar nicht unserer ist …
„Fahren wir direkt zum Rathaus?“, frage ich ihn, um das Thema nicht weiter zu vertiefen.
„Ist so geplant. Aber der Weg ist verdammt kurz.“ Der junge Mann dreht sich zu uns um und fragt verschmitzt: „Ihr könnt jetzt wählen. Sofort zum Rathaus und zu euren Gästen und eurer Familie oder noch einen kleinen Abstecher durch die Stadt.“
Wie aus einem Mund sagen Carolin und ich: „Wir nehmen den Abstecher.“
Unser Chauffeur lacht, was seine blauen Augen funkeln lässt. „Ich verstehe!“, sagt er und wirft den Motor an. „Ihr wollt noch etwas dem Rummel entkommen.“
„Ja“, murmelt Carolin. „Mir ist schon ganz schlecht.“
Mir geht es nicht anders.
„Gut! Alles klar! Wir machen eine Runde durch Osnabrück. Zur Beruhigung. Und ich mache ein wenig Musik und ihr entspannt euch, ja?“
Timo redet mit uns, als läge ihm höchstpersönlich viel daran, dass es uns gut geht, während er den Bentley vom Hof lenkt. Uns folgt Papas Merc mit Ellen und Daniel.
„Können wir die abhängen?“, frage ich Timo, der in den Rückspiegel grinst. Bevor er antwortet, biegt er schon in eine Nebenstraße ein und kurz darauf in die nächste und wir fahren wieder zurück Richtung Villa.
„Ich muss vorsichtig fahren … wegen der Blumen“, entschuldigt er sich. „Sonst würde ich eben einen Abstecher über die Autobahn machen und euch zeigen, was das Baby kann.“
Ich sehe Carolin an und sie mich und wir müssen lachen. „Ja, wirklich schade“, sage ich. „Eine wilde Fahrt über die Autobahn zu machen klingt wirklich verlockend. Das würde auch gut zu uns passen. Aber du hast recht. Wir sollten versuchen, die Blumen zu schonen.“
„Natürlich, Chef!“, sagt Timo und beginnt uns von anderen Paaren zu erzählen, denen auch der Arsch auf Grundeis ging. „Eine Braut hat sich das Kleid vollgekotzt, bevor ich sie bei der Kirche abliefern konnte. Das war echt Krass! Also ihr seid nicht die einzigen, die so aufgeregt sind. Dabei ist das ganz allein euer Tag und ihr müsst euch am wenigsten Gedanken machen und nur dafür sorgen, dass er für euch schön wird.“
„Das stimmt!“, kann ich nur bestätigen. „Und das haben wir auch vor. Und der Anfang ist ja schon gemacht … dank dir.“
Ich sehe die blauen Augen wieder im Rückspiegel, als wir an einer Ampel warten müssen, an der einige Autos zu hupen beginnen.
„Ich fahre euch, solange ihr wollt. Wann ist die Trauung?“
„Sechzehn Uhr.“
„Gut! Dann haben wir noch ein bisschen Zeit.“
Die Ampel wird grün und wir fahren quer durch die Stadt.
Immer wieder hupen Autos und Timo sagt: „Das ist für euch. Als Ehrerbietung, weil ihr euch traut.“
Ich sehe Carolin verdutzt an, die mich nur anlächelt und sich an mich schmiegt, ihre Haarpracht völlig außer Acht lassend.